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Europa: Jung und alt gegen die Krise

Der Soziologe Ulrich Beck und der EU-Abgeordnete Daniel Cohn-Bendit fordern ein "Freiwilliges Europäisches Jahr für alle".

Die Zahlen sind alarmierend. In Spanien liegt die Jugendarbeitslosigkeit bei 51 Prozent, und auch in Griechenland hat derzeit die Hälfte der unter 25-Jährigen keinen Job. Vor allem im Süden Europas bekommen junge Menschen die Euro-Krise hautnah zu spüren. Schon ist die Rede von einer „verlorenen Generation“, die auf dem Abstellgleis zu landen droht – und von Europa desillusioniert wird. In dieser hoffnungslos scheinenden Lage haben der Sozialwissenschaftler Ulrich Beck und der Kovorsitzende der Grünen-Fraktion im Europaparlament, Daniel Cohn-Bendit, ein Manifest mit dem Titel „Wir sind Europa!“ verfasst, das sie als „Antwort auf die Euro-Krise“ verstehen. Darin fordern der Soziologe und der Europaabgeordnete gemeinsam mit weiteren Erstunterzeichnern die EU-Kommission, nationale Regierungen, das Europaparlament und die Abgeordneten in den EU-Mitgliedstaaten dazu auf, „ein Europa der tätigen Bürger zu schaffen und sowohl die finanziellen wie auch rechtlichen Voraussetzungen für ein Freiwilliges Europäisches Jahr für alle bereitzustellen“. Ein solches Freiwilliges Jahr könne „als Gegenmodell zum Europa von oben, dem bisher vorherrschenden Europa der Eliten und Technokraten“ dienen, heißt es in dem „Manifest zur Neugründung Europas von unten“ weiter. Deshalb soll sich ein neuartiges Freiwilligenjahr nach dem Willen der Initiatoren anders als bisher nicht ausschließlich an junge Menschen und „Ausbildungseliten“ richten, sondern alle Alters- und Berufsgruppen einbeziehen. Laut Cohn-Bendit und Beck, der den Begriff der „Risikogesellschaft“ prägte, könnte praktisch jeder ein solches Freiwilligenjahr nutzen. Das Angebot, einige Zeit in einem anderen europäischen Land zu verbringen, soll gleichermaßen gedacht sein für Taxifahrer und Theologen, Angestellte, Arbeiter und Arbeitslose, Musiker und Manager, Lehrer und Lehrlinge, Künstler und Köche, Richter und Rentner. Vor allem ist es aber das „jugendliche Prekariat“ Europas, das Beck und Cohn-Bendit auf den Plan gerufen hat. Weltweit wachse unter jungen Menschen „die Wut über eine Politik, die mit riesigen Summen Banken rettet, aber die Zukunft der Jugend verspielt“, schreiben die Autoren. Sie stellen die Frage: „Doch welche Hoffnung bleibt dann für ein Europa, das immer älter wird?“ Angesichts der allgemeinen Krisenstimmung wollen Beck und Cohn-Bendit allerdings „nicht zulassen, dass Europa dabei zum Feindbild wird, dass eine ,Wutbewegung’ der Bürger gegen ein Europa ohne Europäer entsteht“. Stattdessen setzen sie darauf, das Europa gerade in Krisenzeiten als Bürgergesellschaft neu begründet werden kann. In Anlehnung an den berühmten Appell von John F. Kennedy heißt in dem Manifest: „Frage nicht, was Europa für Dich tun kann, frage vielmehr, was Du für Europa tun kannst.“ Als Beispiele für die Themenfelder, um die sich die EU-Bürger im Rahmen eines Freiwilligenjahres über die Grenzen hinweg kümmern können, werden Klimawandel und Umweltzerstörung, Flüchtlingsströme und Rassismus genannt. In dem Appell, zu dessen Erstunterzeichnern neben Altbundeskanzler Helmut Schmidt, Ex-Außenminister Joschka Fischer und dem früheren EU-Kommissionschef Jacques Delors auch zahlreiche Künstler wie die Filmemacherin Doris Dörrie oder der Theaterregisseur Patrice Chéreau gehören, wird zudem darauf hingewiesen, dass die EU-Bürger „die europaweit vernetzten Kunst-, Literatur- und Theaterhäuser als Bühnen für Europa nutzen“ wollen. Der bestehende Europäische Freiwilligendienst, den die Initiatoren auf eine breitere Basis stellen wollen, bietet in seiner gegenwärtigen Form 16- bis 30-Jährigen die Möglichkeit, zwischen zwei Wochen und zwölf Monaten auf dem Gebiet der EU oder im außereuropäischen Ausland zu arbeiten und dabei Sprachkenntnisse und Fertigkeiten für das spätere Berufsleben zu erlangen. Während die jungen Menschen beim bestehenden Freiwilligenjahr neben den Reise- und Unterbringungskosten nur ein Taschengeld erwarten können, bedarf es laut Beck und Cohn-Bendit künftig einer „soliden Grundfinanzierung“. Sie schlagen vor, dass sich dabei sowohl die EU, die nationalen Regierungen oder beteiligten Kommunen als auch die Wirtschaft beteiligen. Laut EU-Kommission verfügen Teilnehmer beim Europäischen Freiwilligendienst derzeit im Schnitt über eine Beihilfe von jeweils 7000 Euro. Nach dem Willen der Initiatoren sollen auch künftig die Strukturen des Europäischen Freiwilligendienstes ebenso genutzt werden wie das ab 2014 geplante EU-Jugendprogramm „Erasmus für alle“. Das aktuelle Angebot des Europäischen Freiwilligendienstes läuft formal Ende 2013 aus. Nach den Worten von Frank Peil, des Sprechers der nationalen Agentur „Jugend für Europa“, ist die Fortführung des Programms zwischen EU-Parlament und den Mitgliedstaaten unstrittig. Es gebe daher eine „knapp hundertprozentige Sicherheit“, dass das Angebot des Europäischen Freiwilligendienstes auch ab 2014 weiter besteht.

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