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Bei der Bischofskonferenz ging es auch um sexuellen Missbrauch.

© dpa

Katholische Kirche: Bischöfe wollen Täter an Missbrauchsopfer zahlen lassen

Der Missbrauchsbeauftragte der deutschen Bischöfe stellt Maßnahmen zur Entschädigung der Opfer vor. Doch die sehen grundsätzliche Probleme.

Der Verdächtige ist jetzt 85 Jahre alt. Er soll in den 1980er und 1990er-Jahren drei Jugendliche missbraucht haben, er, der katholische Priester im Bistum Osnabrück. Aber in diesen Fällen wird nicht mehr gegen ihn ermittelt, die Vorwürfe sind strafrechtlich verjährt. Erst Mitte Dezember 2018 hatte die Diözese öffentlich gemacht, dass dem Priester Missbrauch vorgeworfen wird. 2017 hatten sich nach Angaben des Osnabrücker Bischofs Franz-Josef Bode drei mutmaßlich Betroffene bei ihm gemeldet. Bode leitete alle Informationen an die Staatsanwaltschaft weiter. Nachdem die Vorwürfe bekannt gemacht wurden, meldeten sich weitere Menschen als Opfer. Ein Sprecher der Diözese geht davon aus, dass die Dunkelziffer im zweistelligen Bereich liegt.

Sexueller Missbrauch durch Kleriker, jahrzehntelang ein Tabuthema in der katholischen Kirche, ist inzwischen im Vatikan und auch bei den deutschen Bischöfen angekommen. Auf der Tagesordnung der viertägigen Frühjahrs-Vollversammlung der deutschen Bischofskonferenz in Lingen stand auch die Frage: „Wie kann sexueller Missbrauch in Zukunft verhindert werden?“

Stephan Ackermann, Bischof von Trier und Missbrauchsbeauftragter der Bischofskonferenz, kündigte Maßnahmen an: Den Tätern soll es den Geldbeutel gehen. Bisher zahlt die Kirche Opfern eine Entschädigung, in der Regel 5000 Euro. Bis jetzt sind rund 1900 Anträge bei der Zentralen Koordinierungsstelle der Kirche eingegangen. Dort werden die Anträge geprüft und im Bedarfsfall genehmigt.

Die Täter sollen für die Entschädigung selbst zahlen

Doch jetzt sollen die Verantwortlichen selber in die Tasche greifen. „Wo immer möglich, sollen die Schuldigen des Missbrauchs auch finanziell die Verantwortung übernehmen“, sagte Ackermann. Der Vorschlag geht eigentlich auf den Osnabrücker Bischof Franz-Josef Bode zurück. Der hatte so einen Gedanken schon im Februar öffentlich gemacht. Bode will den Tätern das Gehalt bis auf 1000 Euro kürzen. Rechtlich ist das allerdings schwierig umzusetzen.

Ackermann kündigte auch an, in allen 27 Bistümern dezentrale Anlaufstellen für Betroffene mit jeweils zwei unabhängigen Ansprechpartnern einzurichten. Damit soll Opfer eine niedrigschwellige, vertrauliche und anonyme Beratung angeboten werden. Solche Anlaufstellen gibt es bislang nur in 22 Bistümern. „Da ist noch Luft nach oben“, gab Ackermann zu. Zudem kündigte er eine Standardisierung der Personalakten von Priestern an. Damit soll sichergestellt werden, dass „Missbrauchsbeschuldigungen künftig in allen Diözesen verbindlich, einheitlich und transparent dokumentiert werden“.

Die Kirche hat nun auch Johannes-Wilhelm Rörig einbezogen, den Unabhängigen Beauftragten der Bundesregierung für die Aufarbeitung von sexuellem Missbrauch. Rörig hatte in der Vergangenheit immer wieder mehr Aufklärungswillen bei den Kirchen eingefordert. Jetzt wird die Kirche mit Rörig einen Leitfaden für die unabhängige Aufarbeitung in den Bistümern ausarbeiten. Dafür gibt es eine Arbeitsgruppe „Aufarbeitung Kirche“, die von Rörig eingerichtet worden ist. Rörig begrüßte diesen Schritt der Kirche.

Zu lange hat die Kirche beim Thema Missbrauch versagt

Die katholische Kirche hat sich in den vergangenen Jahren ihrem Tabuthema Missbrauch zweifellos angenommen, keine Frage. Es war längst überfällig. Nach einer Studie der Universität Ulm ist die Zahl der Opfer sexuellen Missbrauchs Minderjähriger in den Kirchen in Deutschland deutlich höher als bisher angenommen. Die Forscher gehen von 114.000 Opfern durch katholische Kleriker aus. Die Zahlen sind allerdings hochgerechnet, eine genau Untersuchung gibt es nicht.

Die Enthüllung der Missbrauchsfälle am katholischen Canisius-Kolleg in Berlin vor neun Jahren hat eine öffentliche Empörung ausgelöst, die auch die katholische Kirche überspült hat. Der wichtigste Schritt war erstmal, dass die Kirche das Problem mit Missbrauch durch Kleriker zugegeben hat. Verdachtsfälle werden jetzt automatisch an die Staatsanwaltschaft weitergegeben, es gibt Ansprechpartner für Missbrauchsopfer, und die erhalten zudem eine Entschädigung. Und immer mehr Bischöfe geben zu, dass die Kirche in der Vergangenheit bei diesem Thema versagt habe und die Opfer allein gelassen hat. Die Bischofskonferenz gab bei Wissenschaftlern eine umfangreiche Studie zum Missbrauch in der Vergangenheit in Auftrag. Erschütterndes Ergebnis, im September 2018 vorgestellt: 1670 Kleriker tauchen als Beschuldigte in den Akten auf, 3677 Kinder und Jugendliche waren Opfer, jeder zweite davon jünger als 13 Jahre.

Allerdings durften die Wissenschaftler nicht selber in die Archive, Kirchenmitarbeiter gaben ihnen Akten. Und die Orden der Kirche sind erst gar nicht untersucht worden. Die Dunkelziffer dürfte also erheblich höher liegen.

Doch den Opfern reichen die Schritte der Kirche bei weitem nicht aus. Sie empfinden vieles nur als Kosmetik. Sie fordern grundsätzlich, dass die Bischöfe viel stärker als bisher an der Aufarbeitung mitwirken müssten. Die Kirche müsse als Institution ihr Versagen einräumen und die Fälle nicht als bedauerliche Einzelaktionen darstellen. „In Wirklichkeit gab es eine Kultur des Missbrauchs und der Vertuschung“, hat Matthias Katsch, Betroffener im Canisius-Skandal und jetzt Sprecher des Opfervereins „Eckiger Tisch“, im Oktober 2018 gesagt.

Opfer haben kein Vertrauen in die Aufklärungsarbeit der Kirche

Und so lange nicht das System Kirche mit ihren männerbündlerischen Strukturen, ihrem Hierarchiedenken, der Abhängigkeit von einem Bischof, der fehlenden Möglichkeit, die Arbeit leitender Kleriker unabhängig zu kontrollieren, modifiziert wird, so lange vertrauen Opfer nicht der Kirche. „Das System, das diesen Missbrauch ermöglicht hat, funktioniert noch“, sagte Katsch. „Kinder und Jugendliche sind noch akut gefährdet.“

Auch die finanziellen Leistungen der Kirche empfinden Opfer wie Katsch schlichtweg als Hohn. Erstens sind 5000 Euro aus ihrer Sicht viel zu wenig. Zudem zahlt die Kirche nicht „in Anerkennung der Schuld“, sondern „des Leids“. Aus Sicht der Kirche ein Entgegenkommen. Wenn ein Opfer glaubhaft sein Schicksal schildere, werde es entschädigt. Eine umfassende Untersuchung sei nicht nötig. Doch für Katsch „wird dadurch die Schuld allein auf die Täter abgewälzt, aber die Mitschuld der Institution für die Tat und den Umgang mit der Tat beiseite gewischt“. Auch Rörig empfindet 5000 Euro Entschädigung als zu gering. Für Opfer könnte diese Summe wie ein Almosen wirken.

Entschädigungen sind viel zu gering

Und kirchenintern gibt es noch genügend Widerstand gegen eine umfassende Aufarbeitung der Vergangenheit. Es gibt durchaus Bistümer, sagen Insider, in denen eher gebremst wird, in denen der Ruf und das Ansehen der Kirche wichtiger genommen wird als das Leid der Opfer. Aber oft beginnt dieser Widerstand auch schon an der Basis, in den Kirchengemeinden. Wenn sich ein Opfer dort an seine Kirchengemeinde wendet, kann es sein, dass es auf emotionale Kälte stößt. Einerseits, weil man die Taten einem möglicherweise beliebten Priester nicht zutraut, oder weil so ein Vorwurf die Harmonie in der Gemeinde stört und sie möglicherweise spaltet. Sehr viele Opfer beklagen sich, dass sie auf verschiedenen kirchlichen Ebenen nicht gehört würden oder sich nicht ernst genug genommen fühlten.

Astrid Mayer ist als Achtjährige von einem Pfarrer in der Nähe von Stuttgart missbraucht worden. Sie hat Bischof Ackermann bei der Frühjahrsvollversammlung zugehört, aber sie ist danach genauso ernüchtert wie zuvor. Sie empfand seinen Vortrag als mechanisches Abarbeiten eines Punkte-Katalogs. Und Ackermann stehe symbolisch für viele führende Kirchenleute. „Die haben nicht die Sensibilität für die Sache. Die haben kein Gefühl dafür, was es bedeutet, von einem Priester sexuell missbraucht worden sein.“ In ihrem Fall bedeutet das: Ehe kaputt, große Probleme im Studium, riesige Bafög-Schulden, weil sie durch enorme Depressionen sehr spät ihren Abschluss machen konnte. „Mein Leben ist völlig aus den Fugen geraten.“

Auch sie verlangt eine umfassende Aufarbeitung der Missbrauchsfälle durch die Kirche. Die 1900 Opfer, die sich gemeldet hätten, „die sind doch nur die Spitze des Eisbergs“. Es gebe viele Opfer, die Angst hätten sich zu melden. In einer Kirchengemeinde in Berlin-Kreuzberg erklärte vor kurzem ein etwa 60-Jähriger Mann nach rund 50-jährigem Schweigen, dass er als Junge missbraucht worden sei.

Das Misstrauen in die Kirche ist bei Astrid Mayer so groß wie bei anderen Opfern. Deshalb, sagt sie, sollten möglichst keine Kirchenmitarbeiter an der Aufarbeitung beteiligt sein. Es gebe ja Alternativen, die Opferberatung „Wildwasser“ zum Beispiel. Man könne auch einen Rechtsanwalt einschalten, der sich dann um die Aufarbeitung eines Falles kümmere und Kontakt zur Kirche habe.

Und das Geld? Die Entschädigung? Da kann Astrid Mayer nur bitter lachen. Sie hat sogar 8000 Euro erhalten. Das sei angesichts des Leids, das sie erfahren habe viel zu wenig. Aber fast noch wichtiger findet sie, dass die Kirche durch Abgeben von Geld klarmache, dass sie schwere Fehler gemacht habe. Sie könnte etwa Therapiezentren finanzieren, in denen Opfer von sexueller Gewalt gute und professionelle Hilfe fänden.

Konkrete Reformen sollten sichtbar sein

Thomas Sternberg, der Präsident des Zentralrats der deutschen Katholiken, sagte zur Vollversammlung, konkrete Reformen müssten vor allem sichtbar sein. „Dazu gehöre, dass bestehende gesetzliche und kirchenrechtliche Möglichkeiten konsequent angewendet würden, wie die Aberkennung des Priesterstatus’ oder Rückversetzungen“, sagte er dem NDR. Matthias Katsch, der Sprecher des „Eckigen Tisches“, hatte in einer ersten Bewertung der Vollversammlung gegenüber dem NDR erklärt: „Das war nichts. Die Antworten der Bischöfe auf die drängenden Fragen der Opfer sind ungenügend.“

Astrid Mayer ist ähnlich frustriert. „Es gibt etliche Mitglieder der Kirche, die etwas ändern wollen, aber ich habe den Eindruck, die haben es schwer.“

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