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Die gesperrte Brücke der Stadtautobahn A100

© dpa/Sebastian Gollnow

Kaputte Infrastruktur in Deutschland: Die Ringbahnbrücke zeigt das Versagen der Politik

In den nächsten Jahren dürften noch viele Autobahnbrücken gesperrt werden. Denn der Staat hat seine Kernaufgaben vernachlässigt. Die Bürger brauchen viel Geduld – trotz Reform der Schuldenbremse.

Caspar Schwietering
Ein Kommentar von Caspar Schwietering

Stand:

Es liest sich wie der Versuchsaufbau, um eine Stadt möglichst effektiv lahmzulegen. Am Donnerstag streikten nicht nur die Berliner Verkehrsbetriebe. Seit Mittwochabend ist auch die Ringbahnbrücke der Stadtautobahn A100 vollständig gesperrt. Die Risse an dem Bauwerk sind so groß, dass Autos und Lkw es nicht mehr befahren dürfen. Es herrscht Einsturzgefahr.

Am Dreieck Funkturm, einem der meistbefahrenen Autobahnkreuze der Republik, können Autofahrer damit nur noch auf Schleichwegen und umständlichen Not-Umfahrungen gen Norden fahren. Entsprechend angespannt war die Verkehrslage am Donnerstag. Während die BVG ab Freitag wieder fährt, wird es wohl Jahre dauern, bis die Ringbahnbrücke durch einen Neubau ersetzt ist.

Für Autofahrer ist das Dreieck Funkturm das wichtigste Tor nach Berlin. Dass es von der Avus nun jahrelang nur über Notrouten in die nördlichen Stadtteile Wedding, Pankow und Reinickendorf gehen wird, ist bitter. Leider ist die Ringbahnbrücke kein Einzelfall, das Problem trifft die ganze Republik.

Wie das Bundesverkehrsministerium angibt, müssen allein 8000 Brücken an Autobahnen und 3000 Brücken an Bundesstraßen ersetzt oder grundlegend erneuert werden, außerdem 1200 Bahnbrücken und 110 Brücken an Bundeswasserstraßen. Dazu kommen noch die Brücken in der Verantwortung von Ländern und Kommunen. Angesichts des schleppenden Sanierungstempos lässt sich leicht ausrechnen, dass die Ringbahnbrücke nicht die letzte vollgesperrte Autobahnbrücke bleiben wird.

8000
marode Autobahnbrücken müssen vollständig erneuert oder ersetzt werden.

Akzeptabel ist das nicht. Erst die Vollsperrung der Rahmedetal-Autobahnbrücke, die der 70.000-Einwohner-Stadt Lüdenscheid jahrelangen Dauerstau bescherte, dann der Einsturz der Carolabrücke in Dresden und jetzt das Chaos am Dreieck Funkturm – diese Ereignisse lösen Wut aus, weil der Staat nicht mehr funktioniert.

Die Schuldenbremse hat den Jungen geschadet

Dabei hat sich das Problem lange angekündigt. Die meisten deutschen Brücken sind in den 1960er und 1970er Jahren gebaut worden. Die Politik wusste, dass eine Sanierungs- und Neubauwelle auf sie zukommt. Für die vergangenen Bundesregierungen war der Erhalt der Infrastruktur aber nie eine Priorität.

Die Regierung von Bundeskanzler Gerhard Schröder (SPD) sanierte ihren Haushalt, indem sie der Deutschen Bahn die Zuschüsse zusammenstrich. 2009 wurde dann die Schuldenbremse eingeführt, die eine unheilvolle Wirkung entfaltet hat. Sie sollte den Staat zwingen, sich auf seine Kernaufgaben wie den Erhalt der Infrastruktur zu konzentrieren. Nachfolgende Generationen sollten nicht unter übermäßigem Konsum in der Gegenwart leiden. Doch sie hat das Gegenteil bewirkt.

Bundesregierungen aller Couleur haben seit dem Inkrafttreten der Schuldenbremse 2011 nicht den Erhalt von Schienen, Straßen, Brücken und der Bundeswehr priorisiert, sondern in wirtschaftlich fetten Jahren lieber teure Geschenke für große Wählergruppen verteilt – Stichwort Mütterrente und Rente mit 63. Bei der Infrastruktur haben sie gespart – um die Schuldenbremse einzuhalten.

Mit einer maroden Infrastruktur erben die Jungen nun Schulden in ihrer schlimmstmöglichen Form. Denn zum einen wird es viel Geld kosten, die Infrastruktur wieder in Ordnung zu bringen. Und zum anderen lähmt der schlechte Zustand die wirtschaftliche Entwicklung und kostet Lebensqualität.

Dass der Bundesrat die Schuldenbremse an diesem Freitag de facto beerdigen wird, ist deshalb richtig. Aber niemand muss sich der Illusion hingeben, dass Deutschlands Brücken nun schnell in Ordnung gebracht werden. Die Bürger brauchen viel Geduld. Wer Jahrzehnte zu wenig gemacht hat, braucht auch Jahrzehnte, um den Sanierungsstau aufzulösen.

Noch immer baut Deutschland zu umständlich

500 Milliarden Euro zusätzlich für Infrastruktur allein reichen dafür nicht. Deutsche Bahn, Autobahn GmbH und die für Autobahnplanung zuständige Deges GmbH haben weiter zu wenig Planer. Genehmigungsbehörden arbeiten weiter zu langsam. Und die Bauwirtschaft hat ihre Kapazitäten im Tiefbau in den vergangenen Jahren nicht wirklich ausgebaut.

Nun allerdings hat die Baubranche Gewissheit, dass der Staat investiert, und muss aufrüsten. Zugleich braucht es trotz aller Planungsbeschleunigungsgesetze weiterhin schnellere Verfahren. Es ist gut, dass für Ersatzneubauten inzwischen keine Planfeststellungsverfahren mehr nötig sind. Das spart viel Bürokratie. Es braucht aber noch mehr Vereinfachungen, damit das große Sanierungsprogramm möglichst schnell gelingt.

Ein Vorbild könnte der Neubau der Rahmedetalbrücke in Lüdenscheid sein. Hier hat die Autobahn GmbH Planung und Bauleistung zusammen vergeben. Das verhindert unnötige Reibungsverluste. Dadurch wird der erste Teil der neuen Brücke wohl Anfang 2026 eröffnet werden können – etwas mehr als vier Jahre nach der Vollsperrung. Für Deutschland ist dieses Tempo schon ein Fortschritt. Dieses Vorgehen sollte deshalb Schule machen.

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