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Ein leerer Alexanderplatz.

© Paul Zinken/dpa-Zentralbild/dpa

Streit um Ausgangssperren: Karlsruhe wird ein Machtwort sprechen müssen – aber was bringt das?

Die Debatte um die nächtlichen Ausgehverbote wird symbolisch überhöht. Es verstellt den Blick darauf, worum es eigentlich geht. Ein Kommentar.

Jost Müller-Neuhof
Ein Kommentar von Jost Müller-Neuhof

Stand:

Ein kurzer Moment zurückgewonnener Freiheit im Norden, das war es dann wieder: Am Freitag hat das Oberverwaltungsgericht Greifswald die landesweite nächtliche Ausgangssperre für Mecklenburg-Vorpommern gekippt, doch ab Samstag greift die Bundesnotbremse, wenn das erneuerte Infektionsschutzgesetz in Kraft tritt. Das bedeutet wiederum eine Ausgangssperre, nur von 22 bis 5 Uhr statt wie bisher von 21 bis 6 Uhr. Komische Welt.

Viele dürften darin einen weiteren Beleg sehen, dass die Regierung es einfach nicht hinbekommt, dass alles durcheinandergeht und vor allem, dass sehenden Auges verfassungswidrige Gesetze durchgedrückt werden, die Bürgerinnen und Bürger im empfindlichen Bereich ihrer eigenen Bewegungsfreiheit rechtlos stellen.

[Mehr zum Thema: Bundes-Notbremse greift ab Samstag – das sind die neuen Regelungen]

Nicht zuletzt weckt die Situation auch Zweifel am Gewicht der Justiz im gewaltengeteilten Staat. Wie kann, was eben in Ansehung der Grundrechte zu Unrecht erklärt wurde, am Tag darauf plötzlich wieder gutes Recht sein?

Manche Ministerpräsidenten nutzten ihren Freiraum als Lizenz zum Experiment

Es ist Pandemie, aber das ist nicht alles. Es ist eben auch die Stimmung in der Pandemie. Ein Talkshowauftritt der Kanzlerin trieb den Bundesgesetzgeber in ein übereiltes Projekt, das den Ländern Spielräume nimmt. So richtig überzeugend war dieser Ansatz nie. Regionaler Freiraum, da sind sich im Prinzip alle einig, ist sinnvoll im Kampf gegen einen Virus. Nur schien es hier, als nutzten manche Ministerpräsidenten ihren Freiraum als Lizenz zum Experiment.

In Karlsruhe häufen sich die Klagen gegen die Sperre.

© Uli Deck / dpa

Das Ergebnis: Statt vieler Entscheidungen vieler Verordnungsgeber, die von vielen Gerichten in unterschiedlichen Situationen verschieden beurteilt wurden, wird es demnächst, jedenfalls in Sachen Ausgangssperre, zu einem Bundesmachtwort aus Karlsruhe kommen. Wie es lautet, ist offen.

Eine komplexe Angelegenheit mit begrenztem Erkenntniswert

Aber ist das wichtig? Die symbolische Überhöhung des Themas, die nun in dramatisch eingereichten Klagen beim Bundesverfassungsgericht mündet, verstellt den Blick darauf, dass es vordringlich darum geht, das Feiervolk für beschränkte Zeit am Feiern zu hindern. Fachleute haben in diesen Zusammenhängen einen Infektionstreiber ausgemacht. Um ihn effektiv einzudämmen, ist eine nächtliche Sperre zumindest geeignet.

Ob sie auch verhältnismäßig ist, hängt davon ab, welche Verläufe der Pandemie und welche Strategien ihrer Bekämpfung man in den Blick nimmt. Eine komplexe Angelegenheit mit einem Erkenntniswert, der mit der nächsten Zahlenkurve überholt sein kann.

Das Gericht in Greifswald hat es sich einfacher gemacht: So nicht. Das ist zwar auch Recht. Aber es ist zu schlicht.

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