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Brexit-Befürworter in London

© AFP/Adrian Dennis

EU-Austritt Großbritanniens: Keiner ist vorbereitet auf einen harten Brexit

Beim EU-Austritt Großbritanniens kann mehr Zeit helfen. Sonst wird der Brexit zur Katastrophe: für Briten, Deutsche und die EU. Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Christoph von Marschall

Was tun, wenn ein guter Freund sich in eine Sackgasse manövriert hat und allein keinen Weg heraus findet? Hilfe anbieten, natürlich. Der Freund muss diese Hilfe freilich auch annehmen wollen, wenn die Geschichte glimpflich enden soll.

In London kommt es am Dienstag zum Showdown. Wenn nicht alles täuscht, wird Theresa May keine Mehrheit für den Brexit-Deal finden. Dann werden Heulen und Zähneklappern ohrenbetäubend zunehmen, auf der Insel wie auf dem Kontinent. Keine Seite ist wirklich vorbereitet auf einen „harten Brexit“ ohne Vertrag und Übergangsregeln. Der Stichtag 29. März würde zu einer Katastrophe: für die Briten, für die Deutschen, für die EU.

Es liegt im deutschen Interesse, das zu verhindern. Deshalb ist die Idee, die Uhr anzuhalten, richtig. Besser noch einmal reden. Besser alle Absprachen noch einmal überprüfen. Können die EU und die Briten irgendwo nachbessern und einen gesichtswahrenden Ausweg öffnen?

Nicht beliebig nachbessern

Allerdings muss das ohne Illusionen geschehen. Was die EU und London mühsam vereinbart haben, lässt sich nicht beliebig nachbessern. Und das Anhalten der Uhr ist noch keine Lösung. Mehr Zeit ist allenfalls ein Hilfsmittel, um doch noch eine zu finden. Dass es wirkt, ist nicht ausgemacht. In der Politik ist der Faktor Zeit zweischneidig. Das Gefühl, Zeit zu haben, nimmt meist den Druck weg, unangenehme Entscheidungen zu fällen. Die Brexit-Gespräche waren ein Beispiel, wie die Briten sich Zeit, die sie nicht hatten, nahmen. Sie verhakten sich in falschen Hoffnungen, was sie gewinnen und wie wenig sie aufgeben müssten. Sie wechselten, wenn sich das als Illusion erwies, lieber Verhandler und Minister aus, als sich harten Einsichten zu stellen.

Nun, da die Zeit wegläuft, kehrt der Realismus langsam zurück. Sehr langsam. Die Berichte über die Notfallvorkehrungen der Regierung, um das Chaos bei einem harten Brexit zu reduzieren, machen auf viele Eindruck. Die öffentliche Meinung ist in Bewegung geraten. Sie hat sich aber noch nicht belastbar neu sortiert. Keine der drei Optionen – harter Brexit, weicher Brexit auf Grund eines Vertrags, Kehrtwende und Verbleiben in der EU – findet eine klare Mehrheit. In dieser Lage kann mehr Zeit helfen, den Gärungsprozess auf der Insel voranzubringen. Danach lässt sich ernsthafter bereden, was geht und was nicht.

So traurig es ist, Reisende soll man nicht aufhalten. Wenn sich die ganzen Träume von vorteilhaften Tradedeals mit der ganzen Welt in Luft auflösen und der Zusammenbruch der EU doch nicht so schnell kommt, wie von Brexitern prophezeit, kommen sie halt wieder rein. Dann aber zu den Bedingungen der EU.

schreibt NutzerIn lutz.wehmeyer

Uhr-Anhalten mit Risiken

Ein Ausweg wird da attraktiver. Die Briten können einseitig den Austritt zurücknehmen: um Zeit zu gewinnen für Nachverhandlungen. Freilich ist auch ein Uhr-Anhalten mit Risiken verbunden. Alle EU-Staaten müssten einem neuen Deal zustimmen. Gut möglich, dass manche neue Zugeständnisse für ihr Ja verlangen: das EU-Mitglied Irland mit Blick auf sein Verhältnis zur britischen Provinz Nordirland, Spanien wegen Gibraltar undsoweiter…

An den unveräußerlichen Interessen hat sich nichts geändert. Deutschland braucht beides: ein freundschaftliches Bündnis mit Großbritannien, das nicht durch Scheidungsfrustrationen vergiftet ist, und eine funktionierende EU. Die Briten müssen zu fairen Bedingungen austreten dürfen, Zusammenhalt und Handlungsfähigkeit der EU dürfen aber keinen Schaden nehmen. Weder bei der Freizügigkeit noch bei der Irlandfrage bleibt da viel Spielraum. Und ob die Briten es sich noch einmal überlegen wollen, entscheidet sich nicht an deutschen Wünschen; das entscheiden sie selbst. Zeit, heißt es, könne heilen. Hoffentlich auch hier.

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