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Nach den Explosionen in Kiew befinden sich noch immer Menschen unter den Trümmern.

© Foto: Yulia Valova

Kiew zeigt sich nach den Angriffen unbeirrt: „Wir sind erschöpft, aber wir machen weiter“

Wieder werden bei Angriffen auf die ukrainische Hauptstadt Menschen getötet und verletzt. Die Einwohner Kiews lassen sich dennoch nicht einschüchtern.

17. Oktober, 7 Uhr. Wieder greifen russische Truppen die ukrainische Hauptstadt Kiew mit iranischen Kamikaze-Drohnen vom Typ Shahed-136 an. Mehrere Explosionen ereignen sich im Stadtteil Shevchenkivskyy, drei Wohngebäude werden getroffen.

Die Drohnenangriffe beschädigen auch eine Infrastruktureinrichtung in der Nähe des Hauptbahnhofs. Die Anlage bleibt dennoch in Betrieb. In einem Gebäude bricht auf mehr als 250 Quadratmetern ein Großbrand aus. Um 14 Uhr ist das Feuer gelöscht.

Bis 15 Uhr Kiewer Zeit gelingt es den Rettungskräften, 18 Bewohner aus einem der beschossenen Häuser zu befreien. Einige von ihnen sind verletzt. Unter den Trümmern befinden sich noch immer Menschen. Man weiß bereits, dass vier Personen ums Leben gekommen sind.

Nach Angaben der Rettungskräfte vor Ort flog in den frühen Morgenstunden eine Armada von Drohnen - etwa 13 an der Zahl - den Standort der Infrastruktur an.

Polizeibeamte patrouillierten gerade in der Gegend. Als sie die Drohnen sahen, eröffneten sie das Feuer mit Maschinengewehren und Pistolen, heißt es. Sieben Drohnen seien von ukrainischen Ordnungskräften zerstört worden. Auf dem Wrack einer der abgeschossenen Drohnen wurde die Aufschrift „Für Belgorod“ gefunden.

Kommandant Petro sagt: „Wir sind erschöpft, aber wir machen weiter.“
Kommandant Petro sagt: „Wir sind erschöpft, aber wir machen weiter.“

© Foto: Yulia Valova

Petro, der Kommandant der Rettungseinheit, berichtet, dass die Arbeit sehr schwierig sei, einige Mitarbeiter vom Anblick der blutigen Leichen stark belastet seien. „Wir sind erschöpft, aber wir arbeiten weiter. Vielleicht können wir mehr Menschen retten, die unter den Trümmern liegen. Das ist die Hauptsache“, sagt Petro.

„Niemand beschwert sich. Wir sind im Krieg und wir sind ein Volk, wir verteidigen unser Land, unsere Stadt. Wir sind entschlossen, den Feind zu bekämpfen. Ich bin stolz auf die Ukraine und unser Volk.”

Rentnerin Irina und ihr Mann wurden von den Explosionen am Morgen aus dem Schlaf gerissen.
Rentnerin Irina und ihr Mann wurden von den Explosionen am Morgen aus dem Schlaf gerissen.

© Foto: Yulia Valova

Die Sirene heult von Zeit zu Zeit brutal auf. Sich draußen aufzuhalten, ist nicht sicher. Dennoch ist Rentnerin Irina, die in der Nähe wohnt, mit ihrem Mann auf dem Weg zu einer Bank, um ihre Stromrechnung zu bezahlen.

Sie sei am Morgen von lauten Explosionen aufgewacht, erzählt die 66-Jährige. Zuerst habe sie ihren Ohren nicht getraut, dann schaute sie aus dem Fenster und sah Rauchwolken. Irina bat Gott um Rettung, erzählt sie, und ging mit ihrem Mann nach draußen.

In meinem Herzen fühle ich Schmerz für mein Heimatland.

Rentnerin Irina

Irina sagt, sie wolle keine Schulden anhäufen. Ihr ganzes Leben habe sie darauf geachtet, ihre Rechnungen zu bezahlen. Und jetzt, in Zeiten des Krieges, sei es besonders wichtig, dies pünktlich zu tun.

„In meinem Herzen fühle ich Schmerz für mein Heimatland, für meine geliebte Stadt“, sagt Irina. „Ich glaube an die Vorstellungskraft der Ukraine und an unseren Sieg.“ Irinas Mann ist sichtlich nervös, möchte sofort wieder nach Hause zu.

Journalist Jose Hernandez traf als einer der Ersten am Ort der Explosionen ein.
Journalist Jose Hernandez traf als einer der Ersten am Ort der Explosionen ein.

© Foto: Yulia Valova

Als einer der Ersten traf Jose Hernandez am Ort der Explosionen ein, dokumentierte die Zerstörungen mit seiner Kamera. Der französische Journalist lebt und arbeitet seit mehreren Monaten in Kiew. Sich in Gefahr zu begeben, ist der 45-Jährige gewohnt, in der Vergangenheit hat er unter schwierigen Bedingungen in Israel und Palästina gearbeitet.

Hernandez bewundert die Menschen in Kiew, die auch unter so schwierigen Bedingungen nicht in Panik gerieten und würdevoll agierten.

Polizist Vasiliy hat seine Familie seit mehreren Wochen nicht gesehen.
Polizist Vasiliy hat seine Familie seit mehreren Wochen nicht gesehen.

© Foto: Yulia Valova

Vasiliy, ein Beamter der ukrainischen Nationalpolizei, bewacht den Bereich um den Explosionsort. Er und seine Kollegen seien im Dienst und dächten nicht daran, sich auszuruhen, sagt der 41-Jährige.

Seine Familie hat Vasiliy seit mehreren Wochen nicht gesehen. Er habe sehr wenig Zeit zum Schlafen, erzählt er. In letzter Zeit ruht er sich nur noch auf der Polizeistation aus.

Wenn es richtig hart wird, versuchen wir, Witze zu machen.

Polizist Vasiliy

Sein ganzer Geist sei von Schmerz für die unschuldigen Menschen erfüllt, die unter dem Krieg leiden, sagt Vasiliy. Zugleich empfinde er Wut und Hass gegenüber seinen Feinden.

„Im Moment denken wir nicht über unsere Gefühle und unser Wohlbefinden nach. Unsere Aufgabe ist es, durchzuhalten und zu gewinnen“, sagt der Polizist. „Wenn es richtig hart wird, versuchen wir, Witze zu machen, damit wir in dieser von Putin erschaffenen Hölle nicht verrückt werden.“

Olga wird heute wohl nichts von ihren Produkten verkaufen: Petersilie, saure Sahne und Eier.
Olga wird heute wohl nichts von ihren Produkten verkaufen: Petersilie, saure Sahne und Eier.

© Foto: Yulia Valova

Rentnerin Olga lebt in einem Vorort der Hauptstadt. Wie jeden Tag hat die 67-Jährige ihren „Laden“ in der Nähe des Hauptbahnhofs eingerichtet, nur 700 Meter vom Ort der Explosion entfernt. Olga verkauft Petersilie aus ihrem eigenen Garten, selbstgemachte saure Sahne und Eier.

Es sei nicht so, dass sie nicht genug Geld zum Leben hätte, sagt sie. Sie komme einfach in die Stadt, um mit den Menschen zu sprechen, den Stammkunden, die zu den vereinbarten Zeiten zu ihr kommen, um ihre Lebensmittel zu kaufen.

Heute bleiben sie wegen des Angriffs und des wiederkehrenden Luftalarms aus. Dennoch hat es Olga nicht eilig, nach Hause zu kommen. Sie habe keine Angst vor der Drohne. „Wovor muss ich schon Angst haben?“, fragt die Rentnerin.

„Der Krieg dauert nun schon mehr als ein halbes Jahr an. Daran sind wir gewöhnt. Die Ukrainer sind stark und wir werden uns mit allen Mitteln wehren.“

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