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Klingbeils Milliarden-Lücke im Haushalt: Für Klientelpolitik ist kein Geld mehr da
Der Finanzminister steht vor der Aufgabe, ein riesiges Haushaltsloch zu stopfen. Dafür muss er seinen Koalitionspartner und zugleich die eigene Partei zu unpopulären Maßnahmen bewegen.

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„Der Mythos des Sisyphos“ sei das politische Buch, das man gelesen haben müsse, sagte der frühere Vizekanzler Robert Habeck vor vier Jahren in einem Zeit-Interview. Die Hauptfigur im Roman von Albert Camus muss zur Strafe einen riesigen Felsbrocken einen Berg hinaufrollen, der immer wieder herunterrollt. Die Botschaft ist, auch praktisch unlösbare Aufgaben anzunehmen und dabei nicht auf einfache Lösungen zu hoffen.
Sein Amtsnachfolger Lars Klingbeil steht vor einer ähnlichen Mission. Er muss ein über 172 Milliarden Euro großes Haushaltsloch bis 2029 schließen. Überraschend kommt die Zahl nicht; schon in den Koalitionsverhandlungen war das absehbar.
Vieles davon hat er von Vorgängerregierungen geerbt: einen Investitionsstau in dreistelliger Milliardenhöhe sowie jahrzehntelang aufgeschobene Reformen. Manche Extra-Milliarden hat der spendierfreudige SPD-Vorsitzende selbst zu verantworten. Doch jetzt trägt nun einmal er die Verantwortung, sie zu schließen – und bisher überzeugen seine Konzepte dafür ganz und gar nicht.
Man muss kein Haushaltsexperte sein, um die Aufgabe grob zu umreißen. Es gibt prinzipiell drei Möglichkeiten: Einnahmen erhöhen, Ausgaben senken oder noch mehr Schulden aufnehmen.
Vizekanzler setzt vor allem auf Wachstum
Klingbeils Strategie ist, Investitionen ermöglichen und Wachstum generieren, sodass die Lücke durch steigende Steuereinnahmen en passant sinkt. Ökonomen halten das für illusorisch. Natürlich profitieren Unternehmen wie Steuerzahlende davon. Doch die Größenverhältnisse passen nicht. Das weiß auch Klingbeil. Deswegen appelliert er, wenn auch allgemein und bisher vage: Wir müssen sparen.
Doch die von der Regierung bisher ins Schaufenster gestellten Einsparungsmöglichkeiten reichen bei Weitem nicht aus. Der angekündigte Personalabbau in der Bundesverwaltung, die Verringerung von Bundesbeauftragten, Kürzungen beim Bürgergeld (sofern verfassungsrechtlich möglich), weiteres Eindampfen der Entwicklungshilfe – das sind allenfalls symbolpolitische bis kosmetische Maßnahmen. Sie lindern weder die Finanzierungsprobleme spürbar, noch gewinnt Schwarz-Rot damit an die AfD verlorene Wählerinnen und Wähler zurück.
Klingbeil muss auch der SPD noch mehr abverlangen
Um die Milliardenlücke zu schließen, muss Klingbeil allen drei Regierungsparteien Großes abverlangen. Ob CDU, CSU oder SPD: Jede muss ihre rote Linie neu ziehen sowie Mut und Kompromissbereitschaft zeigen. Gefragt ist der Abschied von Dogmatismus und Klientelpolitik.
Die CDU darf sich nicht mehr kategorisch gegen höhere Steuern für Spitzenverdiener und Wohlhabende sowie eine Reform der Erbschaftsteuer oder der Schuldenbremse stellen – gerade, wenn das Fachleute der dafür eingesetzten Kommission mehrheitlich für sinnvoll halten.
Die CSU muss aufhören, Klientelprojekte auf Kosten der Allgemeinheit durchsetzen. Man mag die Senkung der Gastro-Mehrwertsteuer sowie die Vollendung der Mütterrente noch so häufig als Gewinn für bedürftige Familien und Mütter verkaufen. Studien zeigen, dass gerade die nicht davon profitieren. Im Gegenteil: Alle drei Maßnahmen stören das Gerechtigkeitsempfinden der Gesellschaft. Zudem sind sie teuer – entweder als direkte Ausgaben oder indirekt als fehlende Einnahmen.
Die schwerste Mission wartet auf Klingbeil allerdings in der eigenen Partei. Er will die SPD wieder zur Partei der Arbeiter machen – dann kann sie nicht die Partei der Rentner bleiben. Zumindest nicht nur. Rentenzuschüsse machen schon heute ein Viertel des Bundeshaushalts aus. Eine höhere Lebensarbeitszeit und ein Ende der Frühverrentung dürfen keine Tabus sein.
Auch bei den Sozialleistungen muss der Fokus künftig viel stärker auf der Vermittlung von Arbeit liegen. Historische Vorbilder für unpopuläre Maßnahmen gegen die eigene Parteilinie gibt es: Die Hartz-Reformen wurden von einem SPD-Kanzler initiiert, die Wehrpflicht unter einer CDU-Kanzlerin ausgesetzt.
Wer kann den Sozialdemokraten eine echte Renten- und Sozialstaatsreform abringen, wenn nicht Klingbeil? Er hat die Partei voll auf sich ausgerichtet und dafür bei der Wahl zum Parteivorsitz die Quittung erhalten. Am Tiefpunkt der persönlichen Zustimmung hat er ohnehin nicht mehr viel zu verlieren. Nun ist der Pragmatiker, der Organisator Klingbeil gefragt.
In ihren jeweils eigenen Positionen muss der Vizekanzler also Friedrich Merz, Markus Söder und Bärbel Bas gegen sich aufbringen, damit alle hinter sich bringen und Reformen durchsetzen, um das milliardenschwere Defizit im Haushalt zu schließen.
Robert Habeck hat es nur mit Christian Lindner aufgenommen – und ist gescheitert. Nun ist Lars Klingbeil gefordert, das schwer Lösbare anzugehen. Kann er scheitern? Klar. Gelingt Klingbeil aber das Kunststück, kann er sich als Staatsmann empfehlen. Vielleicht findet er in der Sommerpause durch Camus neue Inspiration.
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