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Politik: Köder für die Vetomacht

Die USA setzen tschetschenische Separatisten auf ihre Anti-Terror-Liste. Sie erhoffen sich von Russland Entgegenkommen im Weltsicherheitsrat

Am Donnerstag geschah, worauf die russische Führung über drei Jahre lang gewartet hatte: Die USA erklärten drei Organisationen der tschetschenischen Separatisten zu terroristischen Vereinigungen. Dieser Schritt, freute sich Außenamtssprecher Alexander Jakowenko, helfe nicht nur, Brandherde in der Rebellenrepublik selbst auszutreten. Auch die Finanzquellen der Terroristen, so hoffte Jakowenko, lassen sich nun trocken legen.

Zwei der fraglichen Organisationen – der „Kongress der Völker Tschetscheniens und Dagestans“, sowie der „Oberste Rat der kaukasischen Mudschahiddin“ (Glaubenskrieger) – standen auch auf einer Moskauer Liste von insgesamt 15 Vereinigungen der Separatisten, die das Oberste Gericht Russlands auf Antrag der Generalstaatsanwaltschaft offiziell verboten hatte. Chef der Glaubenskrieger ist Schamil Bassajew, Drahtzieher des Geiseldramas im südrussischen Budjonnowsk im Sommer 1995. Seither ist er steckbrieflich als Terrorist gesucht.

Bei Bassajew ist der Terrorismus-Vorwurf berechtigt. Er befehligt auch die dritte, von Washington verbotene Organisation, das Regiment der Schahids, und soll der Drahtzieher der Geiselnahme im Moskauer Musical-Theater Ende Oktober gewesen sein. Das Regiment der Schahids besteht aus islamistischen Selbstmordattentätern.

Anders liegen die Dinge bei Mowladi Udugow, dem Gründer des „Kongresses der Völker Tschetscheniens und Dagestans“. Er diente dem 1997 gewählten Präsidenten Aslan Maschadow zunächst als Außenminister, sorgte jedoch mit Unterstützung saudischer Emissäre schon Anfang der neunziger Jahre in der bereits damals von Moskau de facto unabhängigen Republik für die Verbreitung einer bis dahin im Kaukasus unbekannten militant-fundamentalistischen Seitenrichtung des Islam – dem Wahabbismus.

Eine aktive Unterstützung von Terrorismus dagegen ist Udugow höchstens virtuell nachzuweisen: Er betreut die in Russland inzwischen gesperrte Website der Separatisten und sorgte als Propagandachef des damaligen Präsidenten Dschochar Dudajew dafür, dass die Tschetschenen Moskaus ersten Kaukasuskrieg an der Medienfront gewannen.

Bis vor kurzem gaben sich in Washington noch Vertreter beider Tschetschenen-Führer die Klinke in die Hand. Dass sich Washington ausgerechnet jetzt zu dem Verbot der tschetschenischen Gruppen durchrang, hat vor allem mit der Irak-Krise zu tun. Es dürfte auch kaum ein Zufall sein, dass jetzt in Großbritannien das Verfahren zur Auslieferung von Maschadows Sonderbotschafter Ahmed Zakajew begann.

Besorgt verfolgten die USA den Schulterschluss des russischen Präsidenten Wladimir Putin mit Frankreichs Präsident Jacques Chirac und Kanzler Gerhard Schröder in der Irak-Krise. Beobachter, die zunächst von einer Stimmenthaltung Moskaus im Weltsicherheitsrat ausgegangen waren, schließen nun nicht mehr aus, dass Russland eine neue Resolution, die die Anwendung von Gewalt erlaubt, per Veto verhindern könnte.

In der gegenwärtigen Situation, da die Tschetschenen-Organisationen auch auf dem amerikanischen Index stehen, könnte sich das Blatt erneut wenden. Im Zweifelsfall ist Moskau die ungeklärte Lage im Nordkaukasus wichtiger als die handfesten russischen Interessen im Irak: Angesichts nahender Wahlen – im kommenden Dezember wird das Abgeordnetenhaus neu gewählt, im März 2004 muss Putin sein Präsidentenamt verteidigen – gewinnt das Tschetschenien-Problem zunehmend an Brisanz. Putin hatte bei Kriegsbeginn im Oktober 1999 erklärt, dass Verhandlungen gleichbedeutend mit unehrenhafter Kapitulation wären. Die Alternative indes – eine harte Lösung, wie sie hier nicht nur das Militär fordert – scheiterte bisher am Widerstand des Westens.

Am liebsten aber würde Moskau vermeiden, sich für den Freundschaftsdienst überhaupt revanchieren zu müssen und die USA als erfolgreicher Vermittler gleichzeitig dezent in die Schranken weisen. Chancen dafür bestehen durchaus: Ex-Premier Jewgeni Primakow reiste am Samstagabend in geheimer Mission nach Bagdad. Der studierte Arabist ist ein intimer Kenner des Irak und gilt sogar als persönlicher Freund Saddams. Im russischen Privatsender TWS, in dessen Aufsichtsrat Primakow sitzt, hieß es am Samstag, der frühere Politiker sei „das schwerste Geschütz, das gegen den Krieg in Stellung gebracht werden kann". Und wohl auch das letzte: Schon 1991 versuchte Primakow, Saddam zum Einlenken zu bewegen. Damals scheiterte seine Mission.

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