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Defekte Implantate können lebensgefährlich sein. Hier ein Herzschrittmacher auf dem Röntgenbild.

© Stefan Sauer/ picture alliance / dpa

Krank durch Implantate: Patienten dürfen keine Versuchskaninchen sein

Medizinprodukte müssen dringend strenger kontrolliert werden – auch wenn sich die Industrie dagegen sperrt. Ein Kommentar.

Vor acht Jahren war es schon mal so weit. Tausende Frauen erlitten schwere Gesundheitsschäden, weil ein Brustimplantat-Hersteller mit billigem Industrie-Silikon hantiert hatte. Eine Patientin starb, es gab Schadenersatzforderungen in Millionenhöhe, Verfahren wegen fahrlässiger Körperverletzung. Politiker aller Couleur klagten über Versäumnisse, versprachen schärfere Kontrollen und Vorgaben.

Sie können ihre empörten Statements von damals wieder herausholen. Medienrecherchen zufolge wurden 2017 deutschlandweit insgesamt mehr als 14.000 Todesfälle, Verletzungen und andere Komplikationen im Zusammenhang mit Medizinprodukten gemeldet. Und die Dunkelziffer dürfte noch weit höher liegen. Das EU-weite Kontroll- und Zulassungssystem, so das vernichtende Resümee, sei „manipulierbar, fehlerhaft und verantwortlich für ungezählte Tote“.

Weder staatliche Zulassung noch Nutzenbewertung

Wirbelsäulen-Prothesen, die im Körper zerbröseln. Künstliche Hüftgelenke, die giftiges Kobalt freisetzen. Herzschrittmacher, die lebensgefährliche Stromstöße abfeuern. Wie viele Skandale, wie viel menschliches Leid braucht es, bis die Medizintechnik-Hersteller endlich stärker an die Kandare genommen werden?

Die neue EU-Verordnung, die 2020 in Kraft treten soll, wird jedenfalls nicht groß helfen. Auch danach werden Herzklappen, Knieprothesen und Insulinpumpen zum Einsatz kommen, für die es weder verlässliche Patientenstudien noch staatliche Zulassung oder Nutzenbewertung gibt. Es wird sich nichts daran ändern, dass private Kontrollunternehmen gegen Gebühr oft nur überlassene Unterlagen sichten und gar nicht die Geräte selber. Hersteller, denen das Prüfergebnis nicht passt, können sich ihr CE-Siegel weiterhin von einer anderen der 50 europaweit zugelassenen Prüfstellen holen, die es weniger genau nimmt.

Nicht mal eine Haftpflichtversicherung ist den Herstellern vorgeschrieben

Nicht mal eine Haftpflichtversicherung, wie sie jeder Autobesitzer haben muss, wird der Branche für ihre Hochrisiko-Produkte vorgeschrieben. Bei einer Firmeninsolvenz werden Geschädigte also auch künftig ohne finanziellen Ausgleich dastehen.

Implantate sind Garanten für Lebensqualität, oft sogar fürs Überleben. Sie werden in den Körper gepackt und verwachsen mit ihm, nehmen Einfluss auf das Nerven, das Immun-, das Herz-Kreislauf-System. Und sie lassen sich, im Falle eines Defekts, auch nicht bei jedem ohne Weiteres wieder herausoperieren. Es gibt keinen vernünftigen Grund, sie bei Zulassung und Kontrolle anders zu behandeln als Arzneimittel.

Unrühmliche Rolle eines CDU-Politikers

Außer eben handfeste Geschäftsinteressen. Dass die milliardenschwere Branche massiv auf die Politik Einfluss genommen hat und nimmt, ist ein offenes Geheimnis. Beim Ausbremsen schärferer Vorgaben hat der frühere Unionsfraktionschef Volker Kauder, aufgrund solcher Firmen in seinem Wahlkreis, eine unrühmliche Rolle gespielt. Mit dem Ergebnis, dass Patienten in Europa weiterhin die Versuchskaninchen für den weit strenger reglementierten US-Markt spielen.

Man darf gespannt sein, ob und wann der nicht als konfliktscheu geltende Gesundheitsminister Jens Spahn das Problem erkennt und handelt. Vieles ließe sich bereits auf nationaler Ebene verbessern. Noch mehr durch weniger Blockade in den EU-Gremien.

Am Mittwoch debattierte der Bundestag über Organspenden – und auf welche Weise sich die erschreckend niedrige Spenderzahl erhöhen ließe. Es geht hier wie dort um das Vertrauen in Medizin, in Krankenhäuser, die Prüfinstanzen. Ist es erst einmal verloren, haben alle Beteiligten ein Problem.

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