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Hohe Kreditaufnahme: Was Kanzler Olaf Scholz und Finanzminister Christian Lindner zur Krisenbewältigung unternehmen, wird die Bundeshaushalte auf Jahrzehnte hinaus belasten.

© Imago/Thomas Trutschel/photothek.de

Kreative Schuldenpolitik der Ampel: Die Krise macht’s möglich

Die Union nennt Finanzminister Lindner einen „Schuldenbremsen-Umgehungsminister“. Der FDP-Chef kontert: In kritischen Zeiten sind außergewöhnliche Wege nötig.

Es sind harte Vorwürfe, die sich der Bundesfinanzminister zum Auftakt der Haushaltswoche im Bundestag am Dienstag im Plenum anhören muss. „Rekordschuldenmacher“ – so nennt ihn der CDU/CSU-Fraktionsvize Mathias Middelberg. „Genauer gesagt: Rekordschuldenbevorrater.“ Und dann noch: „Schuldenbremsenumgehungsminister.“

In diese Ecke will die Union Lindner drängen. Er soll erscheinen als einer, der falsch spielt. Er habe „alle denkbaren Methoden angewendet, um die Schuldenbremse zu umgehen“, wirft Middelberg dem FDP-Chef vor. Um so ein Kernversprechen seiner Partei einhalten zu können: Dass die Schuldenbremse nach drei Haushaltsjahren, in denen die Notlagenklausel eingesetzt wurde, wieder ohne Ausnahme gilt. Dieses „Credo der FDP“, so Middelberg, werde aber nicht umgesetzt, „tatsächlich machen Sie das Gegenteil“.

Verschuldung auf Vorrat – der Vorwurf ist formal nicht falsch: Kreditermächtigungen in Höhe von 60 Milliarden Euro hat die Ampel-Koalition schon zu Jahresbeginn über einen Nachtragsetat aus dem Jahr 2021 in die Zukunft verschoben – sie stehen dem Klima- und Transformationsfonds (KTF) zur Verfügung, einem großen Investitionstopf, der auf Jahre hinaus angelegt ist. Ein weiteres Sondervermögen ist im Frühjahr für die Bundeswehr aufgelegt worden, bestückt mit Kreditermächtigungen in Höhe von 100 Milliarden Euro.

Der Haushalt 2023 ist nicht ehrlich und nicht nachhaltig.

Mathias Middelberg, Unions-Fraktionsvize

Den Abwehrschirm gegen die Energiepreisexplosion, bekannt als „Doppelwumms“, wickelt die Ampel ebenfalls über einen Nebenhaushalt ab. Der Wirtschaftsstabilisierungsfonds (WSF) darf neue Schulden in Höhe bis zu 200 Milliarden Euro aufnehmen – und muss das formal auch schon in diesem Jahr tun, denn sonst würde diese Kreditaufnahme mit dem Wiedereinhalten der Schuldenbremse 2023 kollidieren.

Fügt man dieser Verschuldung über Sondervermögen – zusammen 360 Milliarden Euro – noch die 140 Milliarden Euro hinzu, die im laufenden Jahr eingeplant sind, landet man bei 500 Milliarden Euro. Noch nie habe ein Finanzminister binnen eines Jahres eine solche Rekordverschuldung auf den Weg gebracht, stellt Middelberg fest. 2023 ist eine weitere Nettokreditaufnahme in Höhe von gut 45 Milliarden Euro vorgesehen. Das erlaubt die Schuldenbremse wegen der absehbar schwächeren Konjunktur. Die Bundesschuld geht damit in Richtung zwei Billionen Euro.

Die Union kritisiert diese Summen gar nicht so sehr. Sie weiß auch, warum sie entstehen. Sie rügt das Vorgehen. Die Finanzierung der Krisenmaßnahmen würden in Sondervermögen ausgelagert, um mit dem eigentlichen Haushalt – sozusagen im Normalitätsmodus – Vorhaben der Ampel voranzubringen. Der Etat 2023 sei so „nicht ehrlich“, sagt Middelberg, und er sei auch nicht nachhaltig, weil Lindner zu wenig Vorsorge für spätere Jahre treffe.

Lindner hält dagegen

Was entgegnet der Finanzminister? Er widerspricht nicht grundsätzlich. Die Opposition habe schon auch einige Argumente. Aber angesichts großer wirtschaftlicher Unsicherheit und nach einer „Abwägung der Pros und Cons“ hält Lindner das Vorgehen der Ampel für richtig. Die Trennung – Krisenausgaben in Sondervermögen, Ampel-Programm im regulären Etat – dient nach seinen Worten auch der Transparenz. Es sei ja noch unklar, wie sich die Kosten der Maßnahmen im kommenden Jahr entwickeln würden.

Andererseits werden die Ausgaben im Kernhaushalt mit der Schuldenbremse begrenzt. In Richtung Union sagt Lindner, er habe den Eindruck, „dass die aktuelle gesellschaftliche und ökonomische Realität nicht bei allen angekommen ist“. Will heißen: Kritische Zeiten gestatten außergewöhnliche Wege.

Aktienrente über Kredite finanziert

Zu denen gehört auch, dass das FDP-Kernprojekt der Aktienrente – eine kapitalgedeckte neue Säule in der Rentenversicherung – eine Anschubfinanzierung von zehn Milliarden Euro bekommt. Auch diese Summe wird aus Krediten finanziert, sie erhöht zudem die Investitionssumme im Etat auf 71 Milliarden Euro. Middelberg gefällt das nicht. Wegen der Kreditfinanzierung könne hier die Rendite durch die fälligen Zinsen wieder aufgezehrt werden.

Ukraine-Krieg, Energiepreisinflation, Pandemielasten – Lindner hat in seinem ersten Jahr als Finanzminister ein sehr dichtes Krisenszenario zu bewältigen gehabt, vielleicht dichter und unberechenbarer als alle Krisen, die seine Vorgängersahen. Die Schuldenaufnahme der Ampel wird die Bundeshaushalte auf Jahrzehnte hinaus belasten. Wegen der Zinswende muss Lindner schon 2023 mit fast 40 Milliarden Euro Zinslast kalkulieren – eine Verzehnfachung im Vergleich mit dem letzten „Nullzinsetat“ 2021.

Bei zwei Billionen Bundesschuld wird sich diese Summe in späteren Jahren wohl noch deutlich erhöhen. Und weil die Schuldenregel im Grundgesetz auch Tilgungspflichten vorsieht, muss der Bund von 2028 an – gestreckt über mehr als dreißig Jahre – jährlich Kredite zurückzahlen. Üblicherweise tut er das nicht oder nur in geringem Umfang – Altschulden werden fortlaufend durch neue Kredite abgelöst. Mindestens zwölf Milliarden Euro werden künftige Finanzminister dafür Jahr für Jahr einzukalkulieren haben.

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