zum Hauptinhalt
Liegen im Streit: Bundesfinanzminister Christian Lindner und sein Länderkollege Marcus Optendrenk (Nordrhein-Westfalen).

© picture alliance/dpa/Britta Pedersen

Update

Wer gibt, wer nimmt, wer schummelt?: Krieg der Papiere im Bund-Länder-Finanzstreit

Vor dem Treffen des Kanzlers mit den Länderchefs zu den Flüchtlingskosten prallen die Sichtweisen hart aufeinander. Vor allem einer macht ein großes Fass auf.

| Update:

Wer gibt? Wer nimmt? Wer hat Recht? Am kommenden Mittwoch ist wieder großes Bund-Länder-Palaver in Berlin. Kanzler Olaf Scholz (SPD) und die Ministerpräsidenten sitzen zusammen, Beginn 14 Uhr, Ende offen. Es geht um eine Frage, die vor sieben Jahren noch zu einem großen Streit geführt hat: Wer übernimmt welche Kosten angesichts steigender Flüchtlingszahlen?

Sieger damals waren die Länder, nicht zuletzt, weil der Bund angesichts der schieren Masse an Schutz- und Asylsuchenden vor allem aus Syrien überfordert und ohne schnelle Unterstützung durch Länder und Kommunen hilflos war. In diesem Jahr sieht etwas anders aus.

Weshalb der Bund blockt. Was wiederum die Ministerpräsidenten und die Verbände der Kommunen dazu verleitet, hartnäckig zu bleiben. In die Gipfelrunde hinein wird seit Wochen ein Kleinkrieg mit Papieren geführt. Ende März schon legte Bundesfinanzminister Christian Lindner (FDP) mit einem Rundumschlag im offiziellen Monatsbericht seines Ressorts vor. Tenor: Weil der Bund so viel an Länder und Kommunen zahle, auch für Flüchtlingskosten, hat er Haushaltsprobleme, unter anderem ein beträchtliches Defizit.

Drastische Einnahmenverschiebung zu Lasten des Bundes

Aus dem Papier der Bundesregierung

Die Länder konterten (weniger öffentlich) mit einem Papier der Finanzminister. Am 1. Mai dann der Gegenschlag Lindners mit einer zehnseitigen Ballung von Vorwürfen und Argumenten. Am Samstag ließ das Kanzleramt eine Beschlussvorlage für das Bund-Länder-Treffen am Mittwoch folgen, in der die Lindner-Position bekräftigt wird. Und nun legten die Länder auf 15 Seiten ihre Sicht der Dinge nochmals zugespitzt dar.

Brisant ist die Sache, weil es nicht allein um Flüchtlingskosten geht. Das Problem ist eigentlich überschaubar. Lindner aber sieht die Chance, ein größeres Fass aufzumachen – weshalb es nun nicht mehr nur um einige Milliarden etwa für die Kosten der Unterkunft für Flüchtlinge geht, sondern um die Frage, wie ausgewogen die Bund-Länder-Finanzverteilung insgesamt denn eigentlich ist. Angesichts der Probleme des Bundes, einen ausgeglichenen Etat für 2024 aufzustellen, hat der Streit mit den Ländern also einen sehr akuten und weitreichenden Hintergrund.

Auf den zehn Seiten des Bundes wird gleich zu Beginn eine jahrelange „drastische Einnahmenverschiebung zu Lasten des Bundes“ beklagt. Der Anteil des Bundes am gesamten Steueraufkommen sei seit 30 Jahren um zehn Prozentpunkte gefallen, er habe nur noch 38 Prozent der Einnahmen. Ein wesentlicher Faktor: Bei der Umsatzsteuer sei sein Anteil von 65 auf 45 Prozent gefallen.

Eine „Schuldenkluft“ zu Lasten des Bundes?

Vom verbliebenen Geld, so der Tenor, finanziere er auch noch haufenweise Leistungen der Länder und Kommunen. Fast 25 Milliarden Euro seien das 2021 gewesen, 6,6 Prozent des Bundesetats, über Ergänzungszuweisungen, Finanzhilfen, Kommunalprogramme. Krisenbedingt – Pandemie wie Ukraine-Krieg – mache der Bund zudem seit Jahren Defizite, muss also den Haushalt über neue Schulden ausgleichen, während die Länder schon seit 2021 wieder Überschüsse erzielten.

Von einer „Schuldenkluft“ ist zudem noch die Rede – bald 2,1 Billionen beim Bund, mehr als doppelt so viel wie Länder und Kommunen zusammen aufwiesen.

Und bei den Flüchtlingskosten? Zuständig seien dafür nach der Verfassung Länder und Kommunen, wird angemerkt. Beim Zahlen aber, so die Berliner Sicht zusammengefasst, sei vor allem der Bund gefragt. 15 Milliarden habe man schon 2022 gegeben, im laufenden Jahr seien es 15,6 Milliarden – für Sozialleistungen, Unterbringung, Betreuung, Integration.

Mehr als 15 Milliarden

Während 2016 viel Geld geflossen sei, weil Bundesbehörden bei der Registrierung und der Bearbeitung von Asylanträgen lange brauchten, sei das jetzt nicht mehr nötig. Auch gebe es mittlerweile deutlich weniger unbegleitete Minderjährige unter den Ankommenden als 2016.

Das Problem aus Ländersicht (und auch aus Sicht der Kommunen) ist allerdings, dass der Bund sich auf Pauschalzahlungen zurückgezogen hat. Die Ministerpräsidentenkonferenz favorisiert dagegen die Rückkehr zu dem bis 2021 geltenden Modell, in dem es Geld je nach Flüchtlingsaufkommen gibt. Aber dafür sehen weder der Kanzler noch der Bundesfinanzministereinen einen Anlass. In den Ländern gilt als Minimalziel offenbar, den Bundesanteil an den Kosten der Unterkunft von jetzt 69 auf bis zu 100 Prozent zu erhöhen. Das würde die Kommunen entlasten.

Was das große Fass der Bund-Länder-Finanzen angeht, gibt es ein elfseitiges Papier für die Finanzministerkonferenz. Der Tenor dort lautet, dass der Bund seine vorübergehende höhere Belastung durch Pandemie und Krieg (und das daraus resultierende Defizit) ausnutze, um sich als dauerhaft ärmere Seite darzustellen. Nach 2024 würden sich die „Haushaltsergebnisse“ von Bund und Ländern aber wieder annähern. Das derzeit hohe Defizit des Bundes gehe weder auf hohe Abtretungen von Steueranteilen an die Länder zurück noch auf „stark erhöhte Zahlungen an die Länder“.

Wer verantwortet Finanztransfers?

Im Übrigen beruhe „eine Vielzahl von Finanztransfers“ an die Länder auf Entscheidungen der vorherigen und jetzigen Bundesregierung. Will heißen: Der Bund beklagt, was er selbst verantwortet hat. Als aktuelles Beispiel wird die Wohngeldreform der Ampel-Koalition genannt, deren Mehrausgaben im Übrigen zur Hälfte von den Ländern gestemmt werden müsse.

Was die Steuerverteilung angeht, machen die Länder eine andere Rechnung auf. Während sie ihre Einnahmen aus reinen Ländersteuern, etwa der Grunderwerbstreuer, erhöht haben, reduzierte der Bund seinen Steueranteil über das Auslaufen des Solidaritätszuschlags – über den allerdings jahrelang mehr eingenommen worden war, als tatsächlich noch an die ostdeutschen Länder floss. Von 2023 an beträgt der Bundesanteil am Steueraufkommen nach der Länderrechnung 42,5 Prozent, der Anteil der Länder liegt bei 39,5 Prozent.

Die Bundessicht hatte Lindner schon vor einigen Tagen den Landesfinanzministern bei einem Treffen vorgetragen. Der Kommentar der rheinland-pfälzischen Finanzministerin Doris Ahnen (SPD), seit 2014 im Amt: Was Lindner sage, sei keine objektive Bewertung der finanziellen Lage, sondern eben die Ansicht des Bundesfinanzministeriums.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false