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Studenten der Hochschule Science Po von Grenoble beschuldigen zwei Professoren angeblicher "Islamophobie".

© Philippe DESMAZES/AFP

Kulturkampf an französischen Hochschulen: So schnell wird man zum „islamophoben Faschisten“

Identitätsdebatten zerreißen das Land von Freiheit und Gleichheit. Jetzt traf es zwei deutsche Dozenten in Grenoble. Eine Kolumne.

Eine Kolumne von Andrea Nüsse

In Frankreich werden die Antirassismus- und Identitätsdebatten mit einer jakobinischen Unerbittlichkeit geführt, welche die deutsche Debatte um die Äußerungen Wolfgang Thierses zum Gendern zum Geplänkel degradiert: Jetzt hat sich der Furor an dem deutschen Dozenten der Hochschule Sciences Po in Grenoble, Kurt Kinzler, entladen, der dort seit 25 Jahren deutsche Sprache und Kultur lehrt.

Er wird von Studentenvertretern öffentlich als „Faschist“ angeprangert. Aber nicht, weil er Adolf Hitlers Autobahnbau als große Errungenschaft für die Menschheit gerühmt hätte, nein, weil er mitten in eine französische Identitätsdebatte getappt ist: Er hatte bei einem Hochschulprojekt zum Thema Gerechtigkeit in einer Arbeitsgruppe die Nutzung des Begriffs „Islamophobie“ – in einer Reihe mit Antisemitismus und Rassismus – in Frage gestellt: Die Diskriminierung von Muslimen falle unter den Begriff Rassismus – Islamophobie sei viel zu schwammig, so Kinzler.

Damit mischte er sich in eine Begriffsdebatte ein, die im Nachbarland seit 25 Jahren geführt wird und sich jüngst dramatisch zugespitzt hatte: Die einen verorten den Ursprung des Begriffs beim iranischen Regime, das damit jede Kritik an Politik von Muslimen als Islam-Kritik und besser noch: Blasphemie ersticken wollte; und der heute von linken Kreisen missbraucht werde, um jegliche Kritik am Islam oder autoritären Interpretationen der Religion als Rassismus zu verurteilen. Andere verstehen darunter die Diskriminierung von Muslimen.

Sicher ist: Der Begriff ist unglücklich und mehrdeutig. Aber Ambivalenz ist heutzutage kaum auszuhalten, und selbst junge Akademiker sind damit überfordert.

Und so fand sich der Name des Dozenten, der sich am Begriff "Islamophobie" rieb, an Wänden der Uni und im Internet wieder mit der Beschuldigung „Faschismus in unseren Hörsälen“ und der Behauptung „Islamophobie tötet.“

Ein ebenfalls deutscher Kollege, der "Zeitgenössischen Islam in Frankreich" an der Hochschule unterrichtet, wurde nach einem Schlagabtausch mit einer Studentengewerkschaft, die zur Bespitzelung seines Kurses aufrief, ebenfalls als "Faschist" angeprangert. Kinzler nimmt jetzt eine Auszeit, Schutz vom Innenministerium bekommen beide.

Das Forschungsministerium will jetzt den "LInks-Islamismus" eindämmen

Mit dieser Affäre sieht sich ein anderes Ministerium, das Forschungsministerium, in seiner jüngsten Politik bestätigt: Ministerin Frédérique Vidal hatte Mitte Februar das größte öffentliche staatliche Forschungszentrum CNRS beauftragt, das Ausmaß des "Links-Islamismus" (Islamogauchisme) im akademischen Bereich zu untersuchen und Forschungsarbeiten daraufhin abzuklopfen, ob sie wissenschaftlichen Standards genügen oder Züge von Militantismus aufwiesen.

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Der Begriff "Links-Islamismus" ist seither in aller Munde - ein Kampfbegriff, der ursprünglich eine politische Allianz zwischen extremer Linken und pro-palästinensischen Gruppen bezeichnete. Dann wurde er als rechter Kampfbegriff auf so unterschiedliche Personen wie den Grünen-Politiker und früheren Bauernaktivisten José Bové, den Herausgeber der linksliberalen "Le Monde Diplomatique", Alain Gresh, oder Journalisten der linksliberalen Tageszeitung "Liberation" angewendet.

Vertreter der Studentengewerkschaft "Union Syndicale", welche die beiden deutschen Dozenten als Faschisten bezeichnet hatte.
Vertreter der Studentengewerkschaft "Union Syndicale", welche die beiden deutschen Dozenten als Faschisten bezeichnet hatte.

© Philippe DESMAZES / AFP

Schließlich übernahm ihn nach dem Mord am Geschichtslehrer Samuel Paty der Bildungsminister, Jean-Michel Blanquer, der den "Islamogauchisme" als gefährliche Ideologie beklagte. Und nun startet die Forschungsministerin einen Feldzug gegen das, was sich hinter dem schwammigen Begriff verbergen soll.

Der Aufschrei war groß. Die einen fordern, eine unabhängige Institution solle die Untersuchung machen. Das CNRS selbst klagt, der Begriff "Links-Islamismus" sei ein politischer und kein wissenschaftlicher Begriff und befürchtet eine Instrumentalisierung der Wissenschaft - durch die Politik. Die Politik wiederum fürchtet die Instrumentalisierung der Wissenschaft durch Anhänger einer Untergruppe von Identitätspolitik.

Das Vorgehen der Ministerin ist unglücklich, das Anliegen ist richtig

Das Vorgehen der Ministerin ist sicher unglücklich: Statt eine Debatte anzuschieben, sollen Wissenschaftler ihre Kollegen kontrollieren, will der Staat gute von schlechter Wissenschaft unterscheiden. Statt alle Formen radikaler Identitätspolitik einzuschließen, die Aufklärung und freier Wissenschaft entgegenstehen könnten, wird ein einzelner Aspekt hervorgehoben. Das wirkt auch auf Seiten der Regierung merkwürdig hilflos. Dabei hat sie recht, genauer hinzuschauen: Die Empörungsspirale dreht sich immer schneller, Begriffe werden politisiert und emotionalisiert und ideologische Überzeugungen führen zu Ausgrenzung –selbst in Universitäten, deren Daseinsberechtigung das freie und kontroverse Denken und Diskutieren ist.

Und auch die Debatte ist legitim, ob linke politische Kreise in ihrem Kampf gegen die Diskriminierung von Muslimen aufgrund deren Herkunft, Kultur oder Religionszugehörigkeit zu viel Verständnis selbst für radikale Islaminterpretationen oder menschenfeindliche kulturelle Praktiken haben. Sie wird auch in Deutschland geführt. Der Vorwurf kommt immer wieder auch von Muslimen selbst, so von dem Psychologen und Autor Ahmad Mansur. Diese Debatte darf und muss geführt werden, auch wenn das gemeinsame Ziel das Ende von Diskriminierung sein sollte. Vielleicht können wir dank des Reichtums der deutschen Sprache die Chance, einen Konflikt wie ihn Frankreich derzeit erlebt, vermeiden.

Der Begriff Islamophobie drückt hierzulande die subjektive ausgeprägte Angst einer Person vor dem Islam aus – und wird hier entsprechend wenig genutzt. Dafür stehen Begriffe und Konzepte wie Islamkritik, Islamfeindlichkeit, Muslimenkritik, antimuslimischer Rassismus zur Verfügung, um Kritik an Religion und Diskriminierung von Muslimen zu unterscheiden.

Aber die Gefahr, dass radikale Identitätspolitik oder anderer politischer Aktivismus mit der Freiheit der Wissenschaft kollidieren, gibt es in Deutschland auch. Die Vorfälle von Grenoble sollten zu mehr Besinnung führen.

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