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Außenpolitik und Wirtschaftspolitik gehen ineinander über, betont Kanzler Merz

© IMAGO/Political-Moments/imago

Update

„Leben seit Jahren über unsere Verhältnisse“: Kanzler Merz mahnt entschiedene Sozialreformen an – SPD irritiert

Friedrich Merz nimmt sich beim CDU-Landesparteitag in NRW erneut den Sozialstaat vor. Deutschland könne sich das aktuelle System nicht mehr leisten. Die SPD reagiert mit Unbehagen.

Stand:

Bundeskanzler Friedrich Merz hat energische Reformen der Sozialsysteme angemahnt, zugleich aber in den eigenen Reihen um Kompromissbereitschaft mit der SPD geworben. „Wir können uns dieses System, das wir heute so haben, mit dem, was wir wirtschaftlich erwirtschaften in der Bundesrepublik Deutschland, einfach nicht mehr leisten“, sagte der CDU-Vorsitzende am Samstag auf einem Landesparteitag der CDU-NRW in Bonn.

„Wir leben seit Jahren über unsere Verhältnisse.“ Erneut mahnte er eine deutliche Reform des Bürgergeldes an und verwies darauf, dass es zwar drei Millionen Arbeitslose, zugleich aber Hunderttausende offene Stellen gebe. „Ich sage es ganz ruhig, aber auch sehr klar und bestimmt: So wie es jetzt ist, insbesondere im sogenannten Bürgergeld, kann es nicht bleiben und wird es auch nicht bleiben.“

„Europapolitik ist Wirtschaftspolitik“

Merz sprach auch mit Blick auf die außenpolitischen Herausforderungen davon, dass sich Deutschland und Europa in einem Epochenbruch befänden und die Regierung die Wirtschaftspolitik ins Zentrum der Anstrengungen stellen müsse. Es sei aber völlig falsch, dabei die Außen- und die Innenpolitik gegeneinander auszuspielen.

„Mein Engagement in der Außenpolitik ist nicht eine Flucht in die Außenpolitik oder in die Europapolitik“, betonte Merz, der in der vergangenen Woche unter anderem Kanadas Ministerpräsident in Berlin empfing und Emmanuel Macron in Frankreich besuchte. „Außenpolitik ist Sicherheitspolitik und Friedens- und Freiheitspolitik für Deutschland. Europapolitik in Brüssel und in Straßburg ist Innenpolitik und Wirtschaftspolitik für Deutschland.“ Wenn er sich dort nicht engagiere, könne man alle Anstrengungen um die Innenpolitik vergessen.

Kurz vor den NRW-Kommunalwahlen am 14. September sagte Merz zu, dass der Bund ab dem 1. Januar 2026 Hilfe beim Abbau der kommunalen Altschulden anbieten werde. Er warnte aber, dass die Hilfe des Bundes nicht den Handlungsdruck und die Sparnotwendigkeit auf allen staatlichen Ebenen mindere.

„Wir verbinden das auch mit der klaren Botschaft und Erwartung, dass wir zwischen Bund, Ländern und Gemeinden einen Weg finden, wie wir die immer weiter explodierenden Ausgaben auf der kommunalen Ebene gemeinsam in den Griff kriegen.“

Trotz Sondervermögen muss gespart werden

Konsolidierung der Haushalte sei „verdammt schwer“, aber sehr wichtig. Man müsse der Bevölkerung vermitteln, dass zwei große Sondervermögen für die Bundeswehr und Infrastrukturinvestitionen am Konsolidierungsdruck in den öffentlichen Haushalten nichts ändere. Hintergrund ist auch die Warnung von Finanzminister Lars Klingbeil (SPD), dass im Haushalt 2027 ein Milliardenloch in Höhe von 30 Milliarden Euro drohe. Immerhin habe sich die Investitionsbereitschaft vieler Firmen seit dem Regierungswechsel wieder deutlich verbessert, betonte Merz.

Angesichts der Kritik aus der Union an angeblich zu vielen Zugeständnissen an die SPD mahnte Merz aber auch Realismus an. Man habe nun einmal eine Koalition mit der SPD. „Lassen Sie uns auch mit den Sozialdemokraten zusammen zeigen, aus der Mitte des Landes, aus der Mitte unserer Gesellschaft heraus, aus der Mitte der gesellschaftspolitischen Strömungen heraus, Entscheidungen möglich sind, die das Land voranbringen.“

Er halte wenig davon, von der „letzten Patrone“ der Mitte-Parteien gegenüber der AfD zu sprechen, sagte er in Anspielung auf einen Begriff von CSU-Chef Markus Söder. Aber es gebe eine Radikalität von links außen „und vor allem von rechts außen“, die mit ihren „apodiktischen politischen Vorstellungen (...) am Ende des Tages nicht mit der Demokratie vereinbar“ seien. Eine Demokratie lebe vom Ringen um Kompromisse und gemeinsamen Entscheidungen.

„Wir muten den Sozialdemokraten einiges zu, die uns auch“, betonte der CDU-Chef. Aber man sei nun einmal in einer gemeinsamen Regierung. „Und wir wollen den Erfolg dieser gemeinsamen Regierung“, sagte Merz auch in Anspielung auf die Klausurtagung der Fraktionsspitzen von CDU/CSU und SPD in Würzburg.

„Merz’ Attacken passen nicht zu sachlichen Gesprächen“, ist aus der SPD zu hören

Die SPD zeigte sich allerdings am Samstag erneut irritiert von den Äußerungen des Regierungschefs, der schon auf dem Parteitag der niedersächsischen CDU vor einer Woche die Sozialsysteme als „unbezahlbar“ bezeichnet hatte .„Merz’ heftige Attacken gegen unseren Sozialstaat passen nicht zu den sachlichen Gesprächen der Koalitionsfraktionen gerade in Würzburg“, sagte Parlamentsgeschäftsführer Johannes Fechner dem „Tagesspiegel“ mit Blick auf die Klausurtagung.

Nicht begeistert von Merz’ Offensive: Johannes Fechner (SPD)

© dpa/Bernd von Jutrczenka

Dort war nach den Unstimmigkeiten rund um die verschobene Richterwahl erst am Freitag ein neuer „Geist von Würzburg“ beschworen worden.„Auch wir in der SPD sehen sozialpolitischen Reformbedarf, aber in Würzburg haben wir uns gegenseitig zugesichert, nicht die schnelle Schlagzeile zu suchen, sondern die anstehenden Sozialreformen sachlich miteinander zu beraten“, sagte Fechner. „Es wäre gut, auch der Kanzler nähme sich diese Abmachung zu Herzen.“ (Reuters, chz)

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