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Christian Lindner (FDP), Bundesminister der Finanzen, spricht bei der Zeremonie zur Amtsübergabe im Bundesfinanzministerium.

© Foto: dpa/Tobias Schwarz

Lindner rügt Wirtschaftsweise: Finanzminister lehnt Steuererhöhungen ab

Der Sachverständigenrat fordert, das Inflationsausgleichsgesetz zu verschieben und Topverdiener höher zu belasten. Lindner spricht von „Verunsicherung“.

Die Pressekonferenz der wichtigsten wirtschafts- und finanzpolitischen Berater der Bundesregierung läuft noch am Mittwochnachmittag, da tritt Christian Lindner selbst vor die Kameras. Er will den Wirtschaftsweisen etwas entgegnen – die ihn zuvor herausgefordert haben.

Gezieltere Entlastungen in der aktuellen Krise, höhere Steuern für Besserverdiener über einen Energie-Soli oder einen höheren Spitzensteuersatz, Verschieben des Inflationsausgleichsgesetzes – es steckt eine geballte Ladung Kritik am Finanzminister in dem Bericht des Sachverständigenrats. Aus Sicht der Wirtschaftsweisen, so lässt sich das Jahresgutachten interpretieren, handelt Lindner falsch.

Lindner hält den drei Ökonominnen und den beiden Ökonomen im Rat umgehend entgegen: „Es ist nicht die Zeit, in der wir zusätzliche Verunsicherung brauchen.“  Es sei völlig klar, dass die Bundesregierung keine Steuern erhöhen werde. Und nun gebe es wegen des Gutachtens, Lindner betont seinen Punkt, „große Verunsicherung“, dass Deutschland in einer Phase wirtschaftlicher Probleme Steuererhöhungen plane. Das wäre enorm gefährlich. „Ein solches Experiment möchte die Bundesregierung nicht unternehmen.“ Höflich formuliert war das der Vorwurf an die Wirtschaftsweisen, unverantwortlich zu handeln.

Es ist nicht die Zeit, in der wir zusätzliche Verunsicherung brauchen. 

Christian Lindner, Bundesfinanzminister

Die fünf Ökonomen haben in ihrem Gutachten, das sie am Mittwoch vorstellten, dem Bundesfinanzminister einige unwillkommene Ratschläge erteilt. Nicht zuletzt beim Thema „kalte Progression“ – was auf das Inflationsausgleichsgesetz zielt, das der FDP-Chef als eines seiner wichtigsten Vorhaben betrachtet. Er will den Kaufkraftverlust, den Steuerzahler durch die Preissteigerungen haben, möglichst weitgehend im Einkommensteuertarif berücksichtigen – eine weitere Entlastung oder, wie es im Bundesfinanzministerium lieber formuliert wird, die Verhinderung zusätzlicher Belastung.  

Die Wirtschaftsweisen schlagen vor, das Inflationsausgleichsgesetz zu verschieben – was einen Tag vor dem Beschluss im Bundestag natürlich ein etwas später Ratschlag ist. In der Pressemitteilung des Sachverständigenrats zu den wichtigsten Vorschlägen ist es der Ökonom Achim Truger, der zu diesem Punkt zitiert wird. „Steuersystematisch“ sei der Ausgleich der kalten Progression zwar „grundsätzlich geboten“. Aber aktuell gehe es „um eine zielgenaue Entlastung unterer und mittlerer Einkommensgruppen“.

In der Tat profitieren auch Besserverdiener von Lindners Inflationsausgleich – die Anpassung des Steuertarifs betrifft praktisch alle Steuerzahler. Und wer mehr verdient und höhere Steuern zahlt, bekommt in der Summe mehr Entlastung als ein Geringverdiener. Die Sachverständigen sind der Ansicht, dass das in der gegenwärtigen Lage nicht sein muss. Lindner hält dagegen, dass alle verbliebenen Zahler des Solidarzuschlags – zehn Prozent der Steuerzahler und viele Unternehmen – ihre Entlastung bei der Gaspreisbremse versteuern müssten.

40
Milliarden Euro Mindereinnahmen dürfte das Inflationsausgleichsgesetz dem Staat 2023 und 2024 bescheren.

Truger erlaubt sich in der Stellungnahme auch eine kleine Spitze gegen den Finanzminister, der ja auch mit seinem Beharren auf Einhalten der Schuldenbremse in der Koalition auf Kritik stößt – und stark auf solide Etatführung setzt. „Die öffentlichen Haushalte sollten nicht überstrapaziert werden“, sagt Truger zum Inflationsausgleichsgesetz, das dem Staat Mindereinnahmen von etwa 40 Milliarden Euro im kommenden Jahr und 2024 bescheren dürfte.

Aber es ist nicht Trugers Einzelmeinung, die gesamte Beraterrunde steht dahinter. „Wenn man Gutverdienern unnötigerweise Staatshilfen ausschüttet, sollte man ihnen einen Teil wieder wegnehmen. Deshalb schlagen wir vor, einen Energie-Solidaritätsbeitrag zu erheben oder den Spitzensteuersatz zu erhöhen“, sagte die Vorsitzende des Sachverständigenrats, Monika Schnitzer, dem „Handelsblatt“.

Die Wirtschaftsweisen sind zudem der Meinung, dass es auch im kommenden Jahr noch einmal möglich wäre, die Notfallklausel der Schuldenbremse zu nutzen, um nochmals höhere Kredite aufzunehmen. Auch das geht gegen Lindner. Um die Schuldenbremse wieder einhalten zu können, hat sich die Ampel-Koalition auf eine Finanzierung ihres 200-Milliarden-Pakets zur Milderung der hohen Energiepreise – vor allem Gas- und Strompreisbremse – über einen Nebenhaushalt verständigt.

Der Wirtschaftsstabilisierungsfonds kann daher Kredite in dieser Höhe aufnehmen und in eine Rücklage stecken. 2023 sollen nach dem Wirtschaftsplan des Fonds fast 165 Milliarden Euro auch genutzt werden, der Rest dann im Jahr 2024.

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