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Liveblog zur Brexit-Entscheidung: Schäuble findet Brexit "zum Weinen"
Der Bundesfinanzminister warnt die EU vor Rache an Großbritannien. Der britische Premier schließt ein zweites Referendum aus. Viele Briten beantragen einen irischen Pass. Die Ereignisse des Tages im Liveblog.
Stand:
Und am Ende ...
Das war ein Tag ...
... an dem es für England nach dem Brexit ganz knüppeldick gekommen ist. Das sensationelle Ausscheiden nach einer 1:2-Demütigung im EM-Achtelfinale gegen Island ist ein Tiefschlag für das "Mutterland des Fußballs".
Doch der EM-Exit nach dem Brexit sorgte für reichlich Sarkasmus Häme im Netz.Nach dem Brexit der Exit bei der Fußball-EM
Labour-Chef Corbyn kämpft
Der Vorsitzende der Labour-Partei hat vor dem morgigen parteiinternen Misstrauensvotum Rückhalt gesucht. Vor einer Menge von Anhängern hielt Jeremy Corbyn eine Rede.
Zuvor hatten einer Parteisitzung zahlreiche Labour-Abgeordnete Corbyn zum Rückzug aufgefordert. Sie fürchten, mit Corbyn an der Spitze schwere Verluste bei Neuwahlen.
Teilnehmer bezeichneten die Stimmung des Treffens als "feindselig" und "katastrophal". Dabei wird laut der BBC geheim abgestimmt. Dieses Votum sei aber nicht rechtlich bindend, sagte eine Sprecherin der Labour-Partei der Deutschen Presse-Agentur.
Ein enger Vertrauter Corbyns sagte, der Labour-Chef werde auf keinen Fall weichen. Es seien lediglich einige Abgeordnete, die sich gegen ihn stellten. Notfalls werde sich Corbyn erneut einer Urwahl der Partei stellen.
Der 67-jährige, der dem linken Parteiflügel angehört, war erst vor neun Monaten bei einer Urwahl mit breiter Mehrheit an die Parteispitze gekommen - in der Fraktion gab es aber schon immer viel Kritik.
Unmittelbar nach der Sitzung stellte sich Corbyn seinen Anhängern. Man solle jetzt nicht die „Schuld-Karte“ ausspielen, rief er der jubelnden Menge in London zu.
Schäuble findet Brexit "zum Weinen"
Nach dem Volksentscheid in Großbritannien für einen Austritt aus der EU gibt es für die Briten nach Ansicht von Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) keinen Weg in die Gemeinschaft zurück. "Ich glaube nicht, dass die Entscheidung reversibel ist", sagte Schäuble am Montagabend bei einem Vortrag in Künzelsau. "Ich finde es schon zum Weinen", sagte er. "Man hat das Gefühl, die Briten finden es auch zum Weinen - das nützt jetzt auch nichts, das hätten sie sich vorher überlegen sollen", ergänzte Schäuble.
Schäuble sprach sich dafür aus, dass die britische Regierung bald ihren Austrittsantrag stellt. Zugleich warnte er die EU-Politiker vor Rachegedanken. "Wir wollen den Briten nicht möglichst viel Schaden zufügen", sagte der Finanzminister.
Mit seinen Amtskollegen beobachte er die Lage an den Finanzmärkten weiter genau. Das befürchtete Chaos sei bisher ausgeblieben, sagte Schäuble weiter. "Es ist entscheidend wichtig, dass wir klug und umsichtig handeln, um den Schaden so klein wie möglich zu halten."
Britischer Ansturm auf irische Pässe
Aus Angst vor dem EU-Austritt beantragen viele Briten einen irischen Pass. Irlands Außenminister sah sich am Montag genötigt, um Zurückhaltung zu bitten: Der Ansturm könne die Behörden lähmen, so dass diejenigen Anwärter in Schwierigkeiten kämen, die wirklich dringend einen Pass bräuchten. "Das gestiegene Interesse zeigt deutlich, dass einige britische Bürger sich sorgen, dass sie plötzlich ihre Rechte als EU-Bürger verlieren", sagte Charles Flanagan. Das sei "in absehbarer Zukunft" aber nicht der Fall.
Einen irischen Pass kann beantragen, wer entweder im Land geboren wurde oder irische Eltern hat. Unter bestimmten Umständen reichen auch irische Großeltern. Am Wochenende nach dem Brexit-Referendum, in dem die Briten für den Austritt aus der EU stimmten, gingen in Irland der Nachrichtenagentur PA zufolge die Bewerbungsbögen für den Erwerb der Staatsbürgerschaft aus.
Cameron schließt erneutes Referendum aus
Der britische Premier David Cameron hat klar gemacht, dass es kein weiteres Referendum über einen EU-Austritt Großbritanniens geben wird. "Es kann keinen Zweifel an dem Resultat geben", sagte er am Montag im Parlament. Die Entscheidung der Wähler für den Brexit müsse akzeptiert und umgesetzt werden.
Eine Online-Petition für ein zweites Referendum hat enormen Zuspruch bekommen. BIslang haben 3,8 Millionen Menschen unterschrieben. Allerdings wurden auch Zehntausende gefälschte Unterschriften festgestellt.Ratingagentur stuft Großbritannien herab
In Reaktion auf das Brexit-Votum hat die US-Ratingagentur Standard & Poor's Großbritannien die Top-Kreditwürdigkeit aberkannt. Die Bonität des Landes sei von der besten Stufe „AAA“ auf „AA“ herabgestuft worden, teilte die Agentur am Montag mit. Zudem sei der Ausblick negativ.
Die Abstufung sei darauf zurückzuführen, dass das Brexit-Votum „die Vorhersehbarkeit, die Stabilität und die Effektivität der politischen Prozesse in Großbritannien“ schwächen werde, so die Ratingagentur. Zudem seien Auswirkungen auf die britische Wirtschaft und die Staatsfinanzen zu erwarten.
Ein schlechteres Rating kann letzten Endes dazu führen, dass ein Land höhere Zinsen am Kapitalmarkt zahlen muss oder allgemein schlechter an frisches Geld gelangt. Großbritannien gehörte zu den wenigen Ländern mit der Top-Note „AAA“. Deutschland wird weiterhin mit der Bestnote bewertet.
Labour-Chef Corbyn füllt Schattenkabinett wieder auf
Polnischer Außernminister: Teil der EU-Führung sollte zurücktreten
Polens Außenminister Witold Waszczykowski verlangt, die Macht in Europa stärker von der EU-Kommission auf die Staats- und Regierungschefs im Europäischen Rat zu verlagern. „Ein Teil der Führung der EU sollte ihren Rücktritt einreichen“, sagte Waszczykowski am Montag nach einem Treffen mit den Chefdiplomaten von neun anderen Staaten in Warschau. „Die europäischen Institutionen sollten anfangen, sich an die Brust zu schlagen“, sagte er.
Zugleich rief er zur Arbeit an einem neuen EU-Vertrag auf. Die polnische Regierungschefin Beata Szydlo forderte, die Vertreter der Kommission sollten die politische Verantwortung für das Brexit-Votum übernehmen. Sie sprach sich für einen Umbau der Union aus, der „den Europäern die Möglichkeit gibt, über ihre Angelegenheiten zu entscheiden“. Bei dem Treffen der Außenminister von Polen, Großbritannien, Österreich, Bulgarien, Rumänien, Griechenland, Ungarn, Slowenien, Spanien und der Slowakei ging es um die Lage nach dem Nein der Briten zur EU.
Es seien „ziemlich radikale Vorschläge“ erörtert worden, sagte Waszczykowski. „Wir denken darüber nach, dass der Europäische Rat die führende Rolle in der Union übernimmt, nicht die Europäische Kommission. Auch der nationalkonservative polnische Parteichef Jaroslaw Kaczynski sprach sich für personelle Konsequenzen aus.
Der aus Polen stammende EU-Ratsvorsitzende Donald Tusk trage die „persönliche Verantwortung für den Brexit und sollte aus der europäischen Politik verschwinden, aber das gilt auch für die gesamte EU-Kommission in ihrer jetzigen Zusammensetzung“, sagte Kaczynski im ostpolnischen Bialystok.
Merkel, Hollande und Renzi zur EU nach Brexit
Angela Merkel hat am Montag mit Frankreichs Präsdient Francois Hollande und Italiens Regierungschef Matteo Renzi über das weitere Vorgehen nach dem Brexit beraten. Bei einer Pressekonferenz am Montagabend in Berlin strichen die drei ihren Wunsch nach einem eng abgestimmten Vorgehen in der EU hervor, da man "keine Fliehkräfte stärken wolle".
Merkel betonte noch einmal, dass der Antrag für den Austritt aus der EU auf Grundlage von Artikel 50 von Großbritannien gestellt werden müsse. Vorher werde es deshalb auch "keine formellen oder informellen Verhandlugnen" geben, so die Kanzlerin. Das unterstrich auch Hollande, der allerdings anders als Merkel doch deutlich machte, dass jetzt rasch Klarheit herrschen solle.
Auch in der Zukunft werde man enge Beziehungen mit Grobritannien haben, sagte Hollande. Er versicherte zugleich seine Einigkeit mit "Angela", welche Prioritäten die EU jetzt in den nächsten Monaten setzen werde. Francois Hollande nannte hier neben der Inneren und Äußeren Sicherheit seien dies Wachstum und Beschäftigung, Investitionen vor allem in Energie und digitale Wirtschaft sowie die europäische Jugend.
Matteo Renzi betonte ebenfalls, wie wichtige dies Schwerpunkte für die EU in der Zukunft sein würden und kündigte die Erarbeitung einer konkreten Strategie in den kommenden Monaten an.Osteuropäer wollen weniger Europa
Mehrere Staaten Osteuropas sehen die von Berlin und Paris angestrebte vertiefte Integration der EU kritisch. Sie wollen nicht mehr, sondern weniger Europa.
So sprach sich der Vorsitzende der polnischen Regierungspartei PiS, Jaroslaw Kaczynski am Montag für einen neuen europäischen Vertrag aus: „Die Union muss sich radikal verändern.“ Sie solle eine Supermacht sein, in der aber die Nationalstaaten ihre Autonomie bewahrten.
Kaczynski fordert seit langem ein Europa der Nationalstaaten und kritisiert, dass Deutschland zu viel Macht in der EU habe. Aus Sicht der polnischen Regierungspartei verliert Polen mit einem Austritt Großbritanniens aus der EU einen wichtigen Verbündeten, der der angenommenen deutschen Übermacht etwas entgegensetzen könnte und der ebenfalls eine weitere Integration mit Skepsis sieht. Kaczynski sprach sich daher für ein zweites Referendum in Großbritannien aus.
Mehr über die Haltung der Osteuropäer lesen Sie hier.
Labour stimmt morgen über Corbyn ab
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