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Wahlplakat in Berlin.

© IMAGO/Christian Ender/IMAGO/Christian Ender

Macht. Endlich. Wahlkampf!: Keine Antworten auf die echten Probleme

Noch ein Monat bis zur Wahl. Doch ein echter Ideen-Wettbewerb findet nicht statt. Dieser Wahlkampf leidet an einem Burnout. Dabei sind die Herausforderungen seit Trumps Amtsantritt noch größer.

Christian Tretbar
Ein Kommentar von Christian Tretbar

Stand:

In gut einem Monat ist Bundestagswahl. Und die Zahl der unentschlossenen Wählerinnen und Wähler ist laut einer aktuellen YouGov-Umfrage mit über 30 Prozent noch sehr hoch. Und selbst von denjenigen, die in Umfragen eine Präferenz angeben, können sich über 60 Prozent auch vorstellen, am Ende etwas anderes zu wählen. Das geht aus einer Erhebung der Forschungsgruppe Wahlen hervor.

Die Zahl der Unentschlossenen dürfte eher noch steigen. Und man kann es ihnen nicht verdenken. Die Parteien führen einen Wahlkampf, der zwar Inhalte kreiert, aber es gibt keine echte Geschichte, kein Narrativ. Dabei sind die Herausforderungen spätestens seit dem Amtsantritt von Donald Trump riesig.

Trump will die USA verändern und die ganze Weltordnung gleich mit. Und er zögert nicht. Ja, vieles trägt er brachial vor, nur um die Preise hochzutreiben. Man darf ihn also nicht zu wörtlich nehmen, aber das ändert nichts an dem Einfluss, den seine grundsätzliche Politik auf uns in Deutschland haben wird.

Daraus ergeben sich Fragen, die den Wahlkampf prägen könnten, prägen müssten.

Verteidigung: Auf die USA wird man sich nicht mehr verlassen können. Europa muss sich künftig viel stärker selbst verteidigen. Wie soll das gehen? Wie viel Geld ist man bereit, für Verteidigung auszugeben? Braucht Europa eine eigene Armee?

Wirtschaft. Deutschland steckt in einer Krise fest. Und Trumps Kurs kann das noch weiter verschärfen. Wie geht Deutschland als drittgrößte Weltwirtschaft damit um? Was bedeutet das für die Exportabhängigkeit? Wird Europa selbst massiv Zölle erheben und damit einen Handelskrieg auslösen? Und was wird eigentlich aus dem Klimaschutz, einer grünen Industrie, wenn sich der globale Wind dreht?

Gesundheit. Die USA kündigen an, aus der Weltgesundheitsorganisation WHO auszutreten. Es wäre ein Kurs, bei dem es in einer Krisensituation um Leben und Tod gehen kann. Mag sein, dass Trump hier nur pokert, um Reformen der Weltgesundheitsorganisation zu bewirken. Aber auch da braucht es dann deutsche und europäische Konzepte und Antworten. Aber wie sehen die aus?

Technologie. Trump geht mit aller Kraft voran, um die Entwicklung der Künstlichen Intelligenz zu beschleunigen. 500 Milliarden Dollar sollen in die Weiterentwicklung investiert werden. Das ist mehr als im gesamten Bundeshaushalt 2024 an Ausgaben veranschlagt waren.

Der Wahlkampf leidet unter einem politischen Burnout.

Christian Tretbar, Tagesspiegel-Chefredakteur

Wieder droht Europa technologisch abgehängt zu werden. Wenn man das verhindern will, wird es nicht reichen, sich zu rühmen, strengere Regeln zu haben. Gibt es eine politische Vorstellung, wie man diesem Technologieschub begegnen, ihn gestalten will?

Europa. Überall, bei all den großen Fragen, schwingt mit, dass weder Deutschland noch ein anderes EU-Land die Antworten auf diese Fragen allein wird liefern können. Aber sind die Einzelstaaten wirklich bereit, eine starke europäische Einheit zu bilden? Das bedeutet Abgabe von Macht und Kompetenzen an die EU. Welche Strukturen braucht es? Gibt es den Willen zu einem starken Europa wirklich und was bedeutet das konkret?

Wo soll das Geld herkommen?

Finanzen. Alles, was zur Beantwortung dieser Fragen führt, wird Geld kosten. Nur zu rufen, die Schuldenbremse soll eingehalten werden, reicht nicht. Wo soll das Geld herkommen?

Antworten auf diese vielen Fragen finden sich im Wahlkampf kaum. Statt einen Wettbewerb um Ideen zur Lösung dieser Herausforderungen zu führen, unterschiedliche Erzählungen anzubieten, verlieren sich die Parteien im Klein-Klein oder ideologischen Schützengräben.

Der deutsche Wahlkampf ist nicht geprägt von Leitideen, Inspiration. Er leidet unter einem politischen Burnout. Das ist menschlich nachvollziehbar, vor allem bei den Ampelparteien, da sie aus einer harten Regierungskrise direkt in den Wahlkampf gezogen sind und die handelnden Akteure dieselben sind. Aber auch die Union agiert erstaunlich passiv. Offenbar aus Angst, Fehler zu machen.

Vielleicht ist es ganz gut, dass die Menschen sich immer später auf eine Partei festlegen. Noch ist ein Monat Zeit. Zeit für die demokratische Mitte, aus ihrer Ohnmacht angesichts der drängenden Fragen aufzuwachen.

Wir brauchen einen echten Wahlkampf, genau jetzt. Denn die Herausforderungen sind seit Trumps Amtsantritt noch mal größer geworden.

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