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Jette Nietzard, Chefin der Grünen Jugend

© imago/Stefan Zeitz

„Machtmissbrauch“ und „Mobbing“: Neue Vorwürfe gegen die scheidende Grüne-Jugend-Chefin Nietzard

Der „Spiegel“ berichtet über internes Fehlverhalten von Jette Nietzard. Es ist beileibe nicht das erste Mal, dass sie für Aufsehen sorgt. Rückblick auf ein Jahr voller Skandale und Skandälchen.

Stand:

An diesem Wochenende kommt die Grüne Jugend in Leipzig zu ihrem Bundeskongress zusammen. Jette Nietzard und Jakob Blasel, bisher Sprecherin und Sprecher, sind aus dem Amt geschieden, am Samstagmittag wurden Henriette Held und Luis Bobga als neues Spitzen-Team gewählt.

Im Vorfeld der Wahl machte der „Spiegel“ neue Vorwürfe gegen Nietzard öffentlich. Es ist der vorerst letzte Punkt in einer langen Reihe der Skandale, Skandälchen und Empörungswellen. Ein Überblick.

1 Aktuelle Vorwürfe und Neuwahl

Der „Spiegel“ berichtet, Nietzard habe intern einen harten Machtkampf geführt – gegen ihren Co-Sprecher Jakob Blasel und generell Mitglieder, die andere Meinungen vertreten als sie selbst. Verantwortungsträger aus mehreren Landesverbänden bezeichneten Nietzards Verhalten dem Magazin gegenüber als „Machtmissbrauch“ und „Mobbing“. Die scheidende Chefin habe mit der Unterstützung eines zwar kleinen, aber schlagkräftigen Netzwerks andere Aktive „angeschrien, eingeschüchtert und diffamiert“.

Nietzard dementiere die Vorwürfe nicht, berichtet der „Spiegel“ und zitiert sie mit den Worten: „Wenn diese Vorwürfe im Raum stehen, wünsche ich mir, dass diese von einer unabhängigen Ombudsstelle untersucht werden. Wenn ich mich falsch verhalten habe, sollte ich die Konsequenzen tragen.“

In dem Bericht geht es auch um die Wahl der neuen Spitze. Eigentlich habe Blasel sich zur Wiederwahl stellen wollen. Doch dann habe sich Luis Bobga, bislang Beisitzer im Bundesvorstand und Vertrauter Nietzards, zur Kampfkandidatur entschieden. „Die Kampfkandidatur ist der Racheakt von Jette an Jakob“, sagt dem Bericht zufolge ein Insider – was die aber klar dementiert. Bobga habe sich eigenständig zur Kandidatur entschlossen. Auch er dementiert, von Nietzard zur Kandidatur motiviert worden zu sein.

Die Wahlergebnisse auf dem Bundeskongress zeigen allerdings, dass ganz offenbar auch das Vertrauen der Mitglieder der Grünen Jugend in Bobga getrübt ist. Er wurde mit nur 76 Prozent Zustimmung ins Amt gewählt, Co-Sprecherin Henriette Held hingegen mit fast 94 Prozent.

Bevor Bobga sich vorstellte, beantragte ein Mitglied, dass die Mitglieder dem Kandidaten mehr als die eigentlich geplanten zwei Fragen stellen dürfen, damit Raum für unangenehme Themen bleibe. Dieser Antrag wurde aber abgelehnt. Bei den zwei Fragen von Mitgliedern, die später ausgelost wurden, handelte es sich um harmlose Sachverhalte. Die aktuellen Vorwürfe kamen nicht zur Sprache.

Der Bericht des Nachrichtenmagazins dürfte den Start der neuen Spitze dennoch belasten, wie das Wahlergebnis zeigt. Und das nach einem Jahr im Amt, in dem Nietzard immer wieder für Negativ-Schlagzeilen sorgte.

2 Söder, der „Hundesohn“

Im September veröffentlichte Nietzard bei TikTok ein Video, in dem sie über Bayerns Ministerpräsidenten Markus Söder sprach. Der lebe das „gute Leben“, in dem er esse und reise, ohne zu arbeiten, denn er sei selten bei Bundesratssitzungen und im Parlament. „Dieser Hundesohn will einfach nur das gute Leben für sich und nicht das gute Leben für alle“, sagte sie.

Kurz darauf löschte Nietzard das Video, aber natürlich kursierte es weiter in den sozialen Netzen. Sie versuchte, auf die Situation mit Ironie zu reagieren. In einem neuen Video erklärte sie: „Ganz viele suchen nach einem Video über Hundesöhne und ich dachte mir, ich präsentiere einfach mal ein paar.“ Dabei handelte es sich um Hunde, die in Tierheimen auf eine Adoption warteten.

3 Bewaffneter Widerstand gegen die AfD

Im Podcast „Freitag Salon“ von Jakob Augstein sprach Nietzard über eine denkbare Regierungsbeteiligung der AfD nach der Bundestagswahl 2029. Sie sorgte für Aufsehen, indem sie darüber sinnierte, wie in diesem Fall Widerstand aussehen müsse: „Ist der dann intellektuell, ist der dann vielleicht mit Waffen?“

Augstein fragte nach, ob sie Widerstand „gegen den Willen der Wähler“ meine, worauf Nietzard antwortete: „Gegen den Faschismus.“

4 Verharmlosung des Hamas-Terrors

Im Juni 2025 sagte Nietzard in einem Video, seit dem 7. Oktober 2023 seien „über 50.000 PalästinenserInnen und 1200 Israelis bei militärischen Operationen umgekommen“. Damit bezeichnete sie die Gräueltaten des 7. Oktober als „militärische Operation“ und gab ihnen den Anstrich von Legitimität.

Bei dieser Entgleisung erkannte Nietzard selbst, dass sie einen Fehler gemacht hatte und postete bei Instagram: „Ich habe gestern ein Video hochgeladen zu einem Thema, das den ganzen Verband emotional sehr mitnimmt. Und dabei habe ich einen Fehler gemacht, für den ich mich offen und ehrlich entschuldigen will. Vor allem bei Jüdinnen und Juden weltweit und in Deutschland.“

5 Der Pulli aller Pullis

Die Sache sorgte für einen Sturm der Entrüstung: Bei Instagram ließ Jette Nietzard ihre Followerinnen und Follower über ein Outfit abstimmen, mit dem sie „auf dem Weg in den Bundestag“ sei. Sie trug ein Cap mit der Aufschrift „Eat the rich“ und den mittlerweile fast berühmten Pullover mit der Abkürzung „ACAB“ („All Cops are Bastards“). Ihre Frage an die Welt war: „Was findet Julia Klöckner schlimmer?“

Das beschäftige die Öffentlichkeit weniger. Stattdessen diskutierte die halbe Republik in der Folge über Respekt vor Polizistinnen und Polizisten.

6 Häme gegen Wahlverlierer Lindner

Am Tag der Bundestagswahl zeigte sich Nietzard öffentlich hämisch in Richtung des Noch-FDP-Vorsitzenden Christian Lindner, dessen Partei den Wiedereinzug in den Bundestag verpasst hatte. Sie postete: „Ich freue mich, dass der Mann von Franca Lehfeldt jetzt kürzertritt, um ihr Karriere und Kind zu ermöglichen.“ Damals erwarteten Lindner und Lehfeldt ihr erstes gemeinsames Kind, das mittlerweile auf der Welt ist.

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Nietzards Posting rief öffentliche Kritik aus den eigenen Reihen hervor. „Jette, das ist unsouverän und macht Dich sehr klein“, schrieb die Ur-Grüne Renate Künast. Danyal Bayaz, grüner Finanzminister in Baden-Württemberg, nannte Nietzards Spruch „nicht sonderlich feministisch, sondern schlicht niveaulos“.

Diese Kritik konterte Nietzard sogar noch. „Christian Lindner geht freiwillig, daher verstehe ich nicht, was an meinem Tweet falsch oder hämisch sein soll“, sagte sie dem Tagesspiegel. Zurückzunehmen habe sie nichts: „Ich stehe zu meinen Worten und mache nebenbei darauf aufmerksam, dass Männer zu häufig auf die unbezahlte Care-Arbeit von ihren Frauen angewiesen sind, um am Arbeitsmarkt teilzuhaben. So werden Frauen vom Arbeitsmarkt ferngehalten. Dieses Schicksal trifft Franca Lehfeldt nun zum Glück nicht.“

Nietzard richtet sich auch an die Adresse ihrer parteiinternen Kritiker: „Mein Tweet hat überhaupt nur so viel Beachtung gefunden, weil Realos wie Renate Künast und Danyal Bayaz ihn kommentiert haben. Da sage ich: Danke, Realos!“ Deren Meinung annehmen will sie aber nicht: „Wenn ich als Vorsitzende der Grünen Jugend auf Renate Künast hören würde, wäre ich schlecht beraten.“

7 Keine Unschuldsvermutung für Männer

Vor der Bundestagswahl tobte bei den Grünen die Affäre um Stefan Gelbhaar, dem Fehlverhalten gegen Frauen vorgeworfen wurde. Es stellte sich dann aber heraus, dass die Vorwürfe mindestens in Teilen erfunden waren.

Aus Sicht von Nietzard kam es darauf aber gar nicht so richtig an. Bei einer Pressekonferenz sagte sie: „Was es aber bedeutet, in einer feministischen Partei zu sein, ist, dass Betroffenen geglaubt wird.“ Sie wisse nicht, wie groß Gelbhaars Fehler seien. „Die Unschuldsvermutung gilt immer vor Gericht. Aber wir sind eine Organisation.“ Es gelte „nicht unbedingt moralisch das Gleiche wie gerichtlich“.

8 Zynismus in Sachen Böller

Zur Silvesternacht 2024/25, in der sich wie jedes Jahr Menschen beim Böllern schwer selbst verletzten, postete Jette Nietzard im Netzwerk X: „Männer, die ihre Hand beim Böllern verlieren, können zumindest keine Frauen mehr schlagen.“ Es folgte viel Protest, Nietzard löschte den Post daraufhin und kommentierte: „Hab meinen Tweet gelöscht. Wäre gut über systematische Lösungen für häusliche Gewalt zu sprechen statt über gekränkte Männeregos. Jede 4. Frau wird Opfer durch (Ex)Partner. Hoffe da diskutiert ihr auch so leidenschaftlich mit.“

Ein Mangel an leidenschaftlichen Debatten rund um ihre Person: Darüber kann sich Jette Nietzard zum Ende ihrer Amtszeit sicher nicht beklagen.

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