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Protest gegen den S-Bahn-Bau im Sommer 2020 im Berliner Tiergarten

© Stefan Boness/imago

Mahnmal des Völkermords an Sinti und Roma: „Die Bahn bringt die Erinnerungskultur in Gefahr“

Die Reichsbahn übernahm den Transport im NS-Völkermord. Sinti und Roma werfen der Nachfolgerin DB vor, nun das Gedenken daran zu beschädigen.

In einem offenen Brief protestieren Sinti und Roma gegen die drohende Beschädigung ihres Mahnmals im Berliner Tiergarten. Die Denkmäler und Informationsorte für die Opfer der nationalsozialistischen Verfolgung in Berlin seien "das sichtbarste Zeichen der Erinnerungskultur und der historischen Verantwortung unseres Landes". heißt es im Brief des Bündnisses "Unser Mahnmal ist unantastbar", der dem Tagesspiegel vorliegt Neben dem für die ermordeten Juden Europas, die Homosexuellen und die Opfer der von den Nazis "Euthanasie" genannten Morde an Behinderten und psychisch Kranken gelte dies auch für Mahnmal der Sinti und Roma. Es erinnert seit neun Jahren an die Ermordung von etwa 500.000 Menschen der Minderheit durch das NS-Regime.

In den Zügen der Reichsbahn in den Tod geschickt

Man bedaure, dass von Plänen eines der großen deutschen Unternehmen - gemeint ist die Deutsche Bahn - nun "die potentielle Gefahr ausgeht, die Erinnerungskultur der Bundesrepublik nachhaltig zu beschädigen und Opfer des Holocaust zutiefst zu verletzen". Das Bündnis, das sich im vergangenen Jahr gründete, setzt sich gegen die drohende Beschädigung, etwa durch Untertunnelung, des Denkmals in den Bau der geplanten S-Bahn zum Berliner Hauptbahnhof ein. Seine Mitglieder fürchten, dass dies den Ort auf Dauer schädigen wird. Projektträgerin ist die Bahn.

Zum diesjährigen Holocaust-Gedenktag am 27. Januar hatte die DB zusammen mit vier anderen Traditionsunternehmen erklärt, man engagiere sich "gegen Antisemitismus und gegen das Vergessen. Deshalb fördern wir die Erinnerungskultur an das im Nationalsozialismus von Deutschen begangene Menschheitsverbrechen gegen Juden und andere verfolgte Gruppen.".

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Sinti und Roma seien die größte dieser andern verfolgten Gruppen, schreibt dazu das Bündnis, das seinen Brief bewusst auf den 8. März datiert hat. Im März 1943 wurden die meisten noch lebenden Mitglieder der Minderheit, die der NS-Rassenwahn als "Zigeuner" verfemte und verfolgte, in das Vernichtungslager Auschwitz deportiert. "Der Weg in den Tod begann in den Zügen der Deutschen Reichsbahn", schreibt das Bündnis. Die heutige Deutsche Bahn ist deren Rechtsnachfolgerin; der Brief richtet sich an sie wie an die anderen Unterzeichnerinnen der Erklärung vom Januar, den Fußballverein Borussia Dortmund, den Daimler-Konzern, die Deutsche Bank und Volkswagen.

Auch die Bank und die beiden Autokonzerne profitierten von der Entrechtung und Enteignung von Jüdinnen und Juden und anderer Verfolgter. In ihrer gemeinsamen Erklärung zum Holocaust-Gedenktag ist allerdings nur allgemein von der gemeinsamen "historischen Verantwortung" die Rede, unter der Zwischenüberschrift "Wir tragen Verantwortung" schreibt Bahn-Vorstand Richard Lutz: "Als Deutsche Bahn bringen wir Menschen zusammen, überwinden Distanzen und leisten einen Beitrag zum Zusammenwachsen von Europa."

Vorwurf an die Bahn: Kein Plan schützt das Mahnmal wirklich

Die Pläne für das S-Bahn-Projekt sind Jahrzehnte alt. Inzwischen nähert es sich aber seiner Verwirklichung. Während sich der nahe Bundestag anscheinend erfolgreich dagegen zur Wehr setzen konnte, dass seine Liegenschaften von den Bauarbeiten tangiert werden, ist das Mahnmal der Sinti und Roma nicht nur nach Auffassung des Bündnisses seiner Verteidigerinnen konkret in Gefahr. Die Berliner Verkehrssenatorin Regine Günther gab auf der Gedenkveranstaltung von Sinti und Roma am Holocaust-Gedenktag zu, der Bau werde das Mahnmal "berühren".

Sinti und Roma gilt der Ort nicht nur als sichtbare Erinnerung an die Verfolgung , sondern auch als Trauerstätte, da es für ihre ermordeten Angehörigen keine Gräber gibt oder sie sie nicht kennen. Da es einzig ist in Europa, ist es in den Augen auch der nichtdeutschen Rom:nja ihr Ort, sagt Romeo Franz. Der Musiker und Abgeordnete der Grünen im Europäischen Parlament, ist Mitautor des Denkmals. Er hat die Melodie "Manu Manuschenge" komponiert, deren Geigenton Teil der Installation ist. Der 90-jährige israelische Bildhauer und Landschaftskünstler Dani Karavan hat das Mahnmal konzipiert und dabei auch die Umgebung und die Bäume auf dem Gelände einbezogen. Franz wie Karavan sind entschlossen, ihr Urheberrecht zu verteidigen.

Die Bahn hat bisher immer betont, ihr sei die Einzigartigkeit des Ortes und sein Recht auf Schutz bewusst und wichtig. Sie wie die Verkehrssenatorin betonten bisher, es sei noch nichts entschieden. Das wird im Offenen Brief bezweifelt: "Im Gegensatz zu anderslautenden Darstellungen in der Öffentlichkeit existiert für dieses Bauvorhaben, das das Denkmal für die im Nationalsozialismus ermordeten Sinti und Roma Europas tangiert, keine Planungsvariante, die das Denkmal unbeschädigt lässt." Man bitte daher die fünf Konzerne, "Ihrer öffentlichen Erklärung Taten folgen zu lassen und sich dazu zu verpflichten, die Teilnahme an allen Vorhaben abzulehnen, die die Erinnerungskultur gefährden und Opfergruppen des Holocaust verletzen." Unterzeichnet habe es unter anderem die frühere Bundestagspräsidentin Rita Süssmuth (CDU), der langjährige SPD-Abgeordnete Gert Weisskirchen, die Musiker Ferenc Snetberger und Sebastian Krumbiegel, der Staatsminister für Europa im Auswärtigen Amt, Michael Roth (SPD) und die Professorin an der Berliner Alice-Salomon-Hochschule Nivedita Prasad.

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