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Millionen Tonnen Lebensmittel landen in Deutschland jährlich auf dem Müll.

© dpa/Frank May

Mehr als Mundraub: Containern ist wie Klimaschutz

Lebensmittelmüll ist eine Geißel des Kapitalismus. Wer etwas gegen Verschwendung unternehmen will, muss mehr tun, als Richtlinien für Staatsanwälte zu ändern.

Jost Müller-Neuhof
Eine Kolumne von Jost Müller-Neuhof

Stand:

Mundraub hieß es früher, wenn Menschen Essen klauten. Bestraft wurde es als „Verbrauchsmittelentwendung“ milder als Diebstahl; getreu dem Bibelvers, wonach man am Weinberg Trauben essen, aber nichts mitnehmen darf.

Der Mundraub wurde abgeschafft, alles wurde Diebstahl, auch der aus Hunger und Not – die Absolutsetzung von Eigentum und Eigentümer, der laut Bürgerlichem Gesetzbuch mit seinen Sachen „nach Belieben verfahren und andere von jeder Einwirkung ausschließen“ kann.

Vor diesem Erbe stehen nun Justiz- und Landwirtschaftsminister, wenn sie den Lebensmittelklau aus dem Supermarktmüll straffrei stellen wollen. Der Gesetzgeber ist hier ein Erzkapitalist. Eigentum ist ein Grundrecht und bleibt Eigentum, selbst wenn es in den Müll kommt.

In all jenen in Plastik eingeschweißten Paketen, den Bechern und Tüten, die in Hinterhöfen zur Abfuhr stehen, steckt ein Vorwurf: dass Verbraucher zu Verschwendern werden, dass Wohlstand ein Missstand sein kann.

Jost Müller-Neuhof

Was tun? Entkriminalisieren ist hier schwieriger, als man denkt. Den Diebstahlsparagrafen 242 im Strafgesetzbuch kann man nicht so einfach streichen. Ausnahmen schaffen? Das könnte kleinteilig werden und dazu einladen, Schlösser zu knacken und Zäune zu überklettern – Sachbeschädigung und Hausfriedensbruch.

Justizminister Marco Buschmann (FDP) und Ernährungsminister Cem Özdemir (Grüne) wollen die Richtlinien für die Staatsanwaltschaften so anpassen, dass Containern durch den Rost fällt. Das wäre ein Schritt, wenn auch kein gewaltiger; die meisten dieser Verfahren werden auf kleiner Flamme gekocht.

Containern ist ein Symbol: gegen die Überflussgesellschaft, den Massenkonsum, die Wegwerfmentalität. In all jenen in Plastik eingeschweißten Paketen, den Bechern und Tüten, die in Hinterhöfen zur Abfuhr stehen, steckt ein Vorwurf: dass Verbraucher zu Verschwendern werden, dass Wohlstand ein Missstand sein kann.

Ein paar neue Sätze in Verwaltungsvorschriften sind dafür eine Nummer zu klein; es braucht ein Gesamtkonzept, das den Handel einbindet und zu Verwertung anreizt oder sogar verpflichtet, begleitet von Kampagnen, die den Lebensmittelmüll der Privathaushalte in den Fokus nehmen.

Ich meine, die bisher praktizierte Art des Containerns einfach nur zu legalisieren, ist keine brauchbare Dauerlösung. Es muss neu organisiert werden, und zwar so, dass noch verzehrbare Lebensmittel gar nicht erst im Abfallcontainer landen, sondern auf zivilisierte Weise bedürftigen und interessierten Menschen zugänglich gemacht werden.

Schreibt Community-Mitglied Nante2014

Wenn die neuen Richtlinien einen Anfang markieren, wäre etwas gewonnen. Aber der Gesetzgeber könnte mehr tun. Er könnte zeigen, dass er hier eine echte Wende will. Wie beim Klima. Was zu schützen wäre: eine Ethik, ohne die selbst der Kapitalismus zugrunde gehen würde.

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