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Michael Kretschmer, Ministerpräsident von Sachsen, aufgenommen bei der Vereidigung.

© IMAGO//Florian Gaertner

Gewagte Koalition in Sachsen: Ein Hoch auf kreative Regierungsformen

Ministerpräsident Kretschmer regiert Sachsen ohne Mehrheit. AfD und BSW zwingen zu Kreativität. Minderheitsregierungen sind anspruchsvoll – und die richtige Antwort.

Daniel Friedrich Sturm
Ein Kommentar von Daniel Friedrich Sturm

Stand:

Vor 25 Jahren, da war die Welt für die CDU in Sachsen noch in Ordnung. Nur ein paar Mandate fehlten den Christdemokraten im Landtag zu Dresden zu einer Zwei-Drittel-Mehrheit.

Bequem konnte Ministerpräsident Kurt Biedenkopf (CDU) mit satter absoluter Mehrheit regieren. Als „König Kurt“ wurde Biedenkopf gar betitelt, etwas seltsam in einer parlamentarischen Demokratie.

Das ist eine kluge, erwachsene Politik

Daniel Friedrich Sturm

Im gegenwärtigen Sächsischen Landtag, gewählt im September, kommt die CDU selbst zusammen mit SPD und Grünen auf keine Mehrheit.

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Das dürfte ein Vorgeschmack sein

Dennoch ist es Michael Kretschmer (CDU) am Mittwoch gelungen, als Ministerpräsident wiedergewählt zu werden - obwohl der von ihm angestrebten Minderheitsregierung mit den Sozialdemokraten zehn Mandate zur absoluten Mehrheit fehlen.

Kretschmer ist für eine kluge Strategie belohnt worden, wo doch die Stärke von AfD und BSW in Sachsen Mehrheiten der politischen Mitte verhindern. Sein Weg zurück in die Staatskanzlei war steinig. Das dürfte ein Vorgeschmack sein für das Regieren in den kommenden Jahren.

Erfolglos war Kretschmer nach der Landtagswahl über seinen Schatten gesprungen, hatte ein Bündnis mit der Wagenknecht-Partei zu bilden versucht.

Anders als in Brandenburg und Thüringen aber will das sächsische BSW Politik à la Sahra Wagenknecht betreiben: also Parolen dreschen, Ressentiments schüren und Papiere für den Papierkorb verfassen, statt zu gestalten. Wagenknecht pur also. Sachsens BSW ließ die Sondierungen platzen, floh vor der Verantwortung.

Zersplitterte Parlamente und Politik-unfähige Parteien zwingen zu politischer Kreativität. Das war schon in der vergangenen Woche in Thüringen zu beobachten, als Mario Voigt (CDU), der mit BSW und SPD ebenfalls nur eine Minderheitsregierung gebildet hat, zum Ministerpräsidenten gewählt wurde.

Hier ermöglichten die (von der CDU ausgegrenzten) staatstragenden Linken um Ex-Ministerpräsident Bodo Ramelow mit ihrer Zustimmung eine reibungslose Wahl.

Die CDU/BSW/SPD-Koalition in Erfurt wird noch öfter auf die Linken angewiesen sein, etwa beim Haushalt. Mit Absprachen und Angeboten soll das möglich werden.

Das ist eine kluge, erwachsene Politik, die verhindert, dass die an Mandaten starke AfD ein Machtvakuum zu füllen vermag.

Kretschmer dürfte es nun ähnlich angehen wie sein neuer Amtskollege Voigt. Dass er die Grünen, mit denen er einst regiert hat, so verprellte, war wenig klug. Die Suche nach Mehrheiten in Sachsen wird schwer, der erste erfolglose Wahlgang am Mittwoch deutet darauf hin.

Abermals erweist sich der Osten als politisches Labor für das ganze Land (in Sachsen-Anhalt regierte übrigens schon von 1994 bis 2002 eine Minderheitsregierung, das „Magdeburger Modell“). Auch in den Ländern im Westen dürfte es mittelfristig zu verzwickten Mehrheitsverhältnissen kommen.

In Deutschland haben Minderheitsregierungen zu Unrecht einen Ruf des Anrüchigen, in Skandinavien etwa sind sie üblich.

Noch immer prägt die Erinnerung an einstige absolute Mehrheiten in den Ländern (Bayern! NRW!) den politischen Blick auf das Jetzt. Doch in den 16 Ländern regiert nur noch Saarlands Ministerpräsidentin Anke Rehlinger (SPD) mit absoluter Mehrheit. Zweier-Koalitionen werden immer seltener.

Koalitionen in Ländern ohne parlamentarische Mehrheit sind politisch anspruchsvoll und anstrengend. In Landtagen mit starker Präsenz der AfD nach Mehrheiten zu suchen, kostet Zeit, Kraft, Kompromissfähigkeit und die Gabe, mit politischen Gegnern ein Klima des Vertrauens zu schaffen.

All das ist nur wenigen Spitzenpolitikern zu eigen. Anders als an Rechtsradikale und Linkspopulisten richtet sich dabei an Vertreter der demokratischen Mitte die Erwartung von Ausgleich und Kompromiss.

Bei allem Verdruss über die traditionellen Parteien dürfte der Bundestag nach seiner Wahl am 23. Februar 2025 der politischen Mitte mehrere Machtoptionen bieten.

So sinnvoll eine Minderheitsregierung in Ländern sein kann, so sehr sollten sich die Parteien im Bund vor solch einem Experiment hüten.

Die Zentralmacht Europas braucht eine stabile Regierung mit Mehrheit. Was Sachsen erlaubt ist, ist Deutschland noch lange nicht erlaubt.

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