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Ein Mitglied der freiwilligen Kämpfer in der Ukraine.

© Daniel Carde/Imago

Missbrauch, körperliche Bedrohung, Diebstahl: Freiwillige Ukraine-Kämpfer klagen über Missstände in der Internationalen Legion

Legionäre in Diensten der Ukraine beschuldigen die Führer einer Einheit etlicher Vergehen. Sie sollen etwa Soldaten auf Selbstmordmissionen geschickt haben.

Freiwillige Kämpfer in der Ukraine haben über Missstände in der Internationalen Legion geklagt. „Wir wurden buchstäblich zurückgelassen, und sie wollten uns nicht evakuieren“, berichtete ein amerikanischer Soldat dem Online-Medium „Kyiv Independent“. Sein Kamerad sei bei dem Einsatz in der Nähe der südlichen Stadt Mykolaiv, einem der Brennpunkte des Krieges, gestorben. Drei weitere wurden schwer verletzt.

Kurz nachdem sie dem Beschuss entkommen war, erhielt eine andere Gruppe derselben Einheit den Befehl, dieselbe Stellung einzunehmen. Als Selbstmordmission beschreiben der Soldat und andere Legionäre die Einsätze, zu denen sie unvorbereitet geschickt werden.

Berichte über Ausländer, die die Internationale Legion wegen schlechter Organisation, mangelnder Ausrüstung und unbefristeter Verträge verlassen haben, sind nicht neu. Sie haben schon öfter für Schlagzeilen gesorgt.

Doch was „Kyiv Independent“ in einer aufwendigen Recherche aufgedeckt hat, zeigt eine Reihe schwerwiegender Missstände in einem Flügel der internationalen Freiwilligen-Truppe. Diese werden dem Bericht zufolge von dessen Führung nicht nur geduldet, sie ist sogar selbst daran beteiligt, wie aus zahlreichen Interviews mit Legionären und einem 78-seitigen Bericht hervorgeht. Es geht um Diebstahl von Waffen und Gütern, Aufforderung zur Plünderung, sexuelle Belästigung, Übergriffe und die Entsendung in selbstmörderische Einsätze.

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Nach den Recherchen des ukrainischen Mediums steht eine Gruppe Männer im Zentrum der Vorwürfe: Major Vadym Popyk, der den Flügel der Einheit leitet, Major Taras Vashuk, ein Geheimdienstoffizier, Vashuks Onkel, ebenfalls Geheimdienstoffizier, sowie der 60-jährige Sasha Kuchynsky.

Die Beschwerden der Legionäre richten sich demnach vor allem gegen Kuchynsky, den sie als starken Trinker bezeichnen, der Untergebene misshandle und ausbeute.

So berichtete ein Soldat davon, dass Kuchynsky einen Anteil an der Ausrüstung verlangte, die er, der Soldat, für seine Kameraden von der Legion gekauft hatte. Als er sich weigerte, diese herauszugeben, richtete Kutschynski eine Waffe auf ihn.

„Und dann fing Sasha (Kuchynsky, Anm. der Redaktion) einfach an zu schreien, zu brüllen“, erinnerte sich der Mann. „Er sagte: 'Ich weiß, dass es hier Sachen gibt. Gib mir deine Sachen'.“

Seine Schilderungen werden von anderen Soldaten bestätigt, die ähnliches erlebt haben. Kuchynsky habe ihnen einen Teil der Munition weggenommen, die sie von Freiwilligen und Spendern erhalten hatten. Es wird vermutet, dass er sie verkauft und sich selbst daran bereichert.

„Dafür bin ich nicht in die Ukraine gekommen“

Ähnlich dubios auch ein Auftrag, den die freiwilligen Kämpfer Anfang Juni von ihm erhielten: Sie sollten von ihrem Stützpunkt zu einem örtlichen Einkaufszentrum in der Frontstadt Lysychansk im Gebiet Luhansk fahren und Waren aus den Geschäften mitnehmen. Kuchynsky hätte ihnen befohlen, alles mitzunehmen, was ihnen gefiel: Schuhe, Frauenkleidung, Schmuck, Uhren und Elektronik.

„Die Einheimischen haben gesehen, wie wir die Möbel verladen haben, was mir sehr unangenehm war. Es fühlte sich an, als ob wir sie ausrauben würden. Dafür bin ich nicht in die Ukraine gekommen“, erzählt ein Soldat aus Kolumbien.  

Widerspruch oder gar Widerstand habe es nicht gegeben. Viele der Legionäre gehorchten, weil sie aus einem professionellen militärischen Umfeld kommen, in dem sie die Befehle ihrer Vorgesetzten nicht in Frage stellen.

Und wenn sich jemand beschwert habe, sei dies bisher ohne Folgen geblieben. Weibliche Sanitäter, die in ihrer Einheit von Kuchynsky mit sexuell anzüglichen Ausdrücken belästigt wurden, hätten darauf aufmerksam gemacht. Doch niemand habe etwas unternommen, heißt es.

Ganz im Gegenteil. Bei Problemen würde sich Kuchynsky immer an Taras Vashuk wenden, der ihm eine Art Freibrief gewähre, erzählt ein Soldat aus Skandinavien dem „Kyiv Independent“.

Falsche Identität?

Neben Fehlverhalten würde sich der Mann auch eine Art falsche Identität leisten. Wie „Kyiv Independent“ recherchiert hat, ist Sasha Kuchynsky gar nicht der wahre Name des Mannes. Angeblich handelt es sich um Piotr Kapuscinski, ein ehemaliges Mitglied einer kriminellen Organisation aus Polen. Er soll dort mehrmals mit dem Gesetz in Konflikt geraten sein, 2014 sei er in die Ukraine geflohen. In Polen wird Kapuscinski wegen Betrugs gesucht, ihm drohen bis zu acht Jahre Gefängnis. Wie die polnische Tageszeitung „Gazeta Wyborcza“ berichtet, hat er bereits eine Haftstrafe verbüßt.

Auch in der Ukraine wurde schon gegen ihn ermittelt - wegen schweren Raubes und sexueller Nötigung. 2016 musste er für ein Jahr ins Gefängnis.

Im Mai 2021 durchsuchte die Strafverfolgungsbehörden sein Fahrzeug und fand dabei eine halbautomatische Pistole samt Kugeln. Ihm drohten bis zu sieben Jahre Haft wegen illegalen Waffenbesitzes, allerdings wurde er gegen eine Kaution von 2.500 Dollar freigelassen.

Und nach Ausbruch des Krieges im Februar trat Kapuscinski in das Militär ein, woraufhin die Gerichte sein Verfahren aussetzten. Er avancierte trotz seines kriminellen Hintergrunds zu einem De-facto-Kommandeur einer hochrangigen ukrainischen Militäreinheit. In der Legion bezeichnet er sich als Oberst.

Eine Gruppe erstattete Anzeige

Als er in dieser Funktion wieder einmal eine Gruppe von Legionären unvorbereitet in einen Einsatz geschickt hatte, erstattete diese Anzeige. Ein brasilianischer Offizier, der sie anführte, berichtet davon, dass sein Team zunächst zwei Wochen lang auf einen Minenräumeinsatz im Gebiet Saporischschja vorbereitet wurde. Wenige Tage nach Beginn des Einsatzes habe sie Kutschynski plötzlich nach Sjewjerodonezk im östlichen Gebiet Luhansk geschickt, um dort eine Position in der Nähe der feindlichen Linien zu halten.

Der Brasilianer und seine Leute waren überrascht, begannen aber mit der Planung der Operation. Sie erhielten allerdings weder von Kuchynsky noch den anderen Kommandeuren Informationen über die Lage vor Ort. Sjewjerodonezk galt zu dem Zeitpunkt als schwer umkämpft. Doch das wussten die Ausländer nicht. Genauso wenig, dass vor ihnen bereits eine andere Ausländereinheit hingeschickt und angegriffen wurde.

Sie blieben mehrere Tage, hatten kein Wasser und Essen mehr. Ihre Bitte nach Ablösung wurde abgelehnt.

„Niemand hat geschlafen, alle sind super müde. Einige meiner Jungs sind dehydriert, und einer ist verletzt. Und wir standen da“, berichtet der Brasilianer. Dies sei der Moment gewesen, in dem Kuchynsky von der Bildfläche verschwand. Über Funk erhielten sie schließlich von einem unbekannten Soldaten den Hinweis, dass sie von einer anderen Einheit abgelöst werden.

„Mir wurde klar, dass diese Wichser uns nicht planen lassen“, sagte der Brasilianer über Führung der Einheit. „Sie haben uns einfach mitten in den Ort gebracht und uns dort zum Kämpfen und Sterben abgeladen.“

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Die Militärstaatsanwaltschaft, bei der sie Anzeige erstattet haben, hat indessen Ermittlungen aufgenommen. Ob es für Kuchynsky Folgen hat?

Eine andere Gruppe, die sich nach der Entwendung ihrer Munition durch Kuchynsky zunächst bei ihren Kommandeuren beschwert hat, dann bei den Gesetzgebern und schließlich beim Büro des ukrainischen Präsidenten, habe bisher nur wenig Hilfe bekommen, sagen sie.

Aljona Verbytska, die Beauftragte des Präsidenten für die Rechte der Soldaten, erklärte „Kyiv Independent“, dass sie ihre Vorgesetzten über die Beschwerden der Legionäre informiert habe. Die Bitte um eine Stellungnahme aus dem Präsidialamt wiederum blieb unbeantwortet.

Einige Kämpfer zogen daher ihre eigenen Konsequenzen und verließen die Legion aus Enttäuschung. Auch das Team des brasilianischen Offiziers. Er erinnert sich an die Aussage seiner Untergebenen: „Wir sind hierhergekommen, um diesen Menschen zu helfen, für dieses Land und gegen diese Invasion zu kämpfen. Wir sind nicht hierhergekommen, um genau das zu tun, was die verdammten Russen tun, wenn sie auf ukrainischem Boden sind.“ (Tsp)

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