Politik: Mit der Flatrate ins Koma
Von Lorenz Maroldt
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Zweiundfünfzig Tequila reichen aus für einen politischen Rausch. So viel von dem Agavenbrand soll ein sechzehnjähriger Berliner gekippt haben, bevor er ins Koma fiel. Seitdem herrscht unter Politikern ein besoffener Aktionismus, der nüchtern kaum zu ertragen ist. Sie wetteifern darum, wer am lautesten nach Verboten ruft, um die Jugend zu retten – und übersehen dabei, dass fast alles, was sie fordern (von wem eigentlich?) bereits gesetzlich geregelt ist.
Im Mittelpunkt der Empörung stehen Flatrate-Partys, also Veranstaltungen, bei denen zum Festpreis so viel getrunken werden kann, wie vor dem Koma reinpasst. Wir erinnern uns: Vor ein paar Jahren waren die Alkopops am Verderben der Jugend schuld. Da brauchte die Politik keinen Vermittlungsausschuss. Die Alkopops wurden mit dem „Alkopopsteuergesetz“ besiegt. Schon war das Thema wieder weg – aus dem Bundestag. Der Alkoholmissbrauch durch Jugendliche blieb. Wodka fließt auch anderswo.
Der Staat kann ohnehin kaum jemanden daran hindern, sich zu Tode zu saufen. Bei Prohibition wird schwarz gehandelt. In Schweden, wo Alkohol oberhalb der Leichtbiergrenze nur im staatlichen Monopolgeschäft Systembolaget zu kaufen ist, wird jede Fährüberfahrt – oder ein Spiel der „Tre Kronors“ in Berlin – zur Druckbetankung genutzt. In England, wo den Trinkern in den meisten Pubs um 11 p.m. die Glocke schlägt, werden die Pints und Shots im Dutzend bestellt.
Anders als beim Rauchen verursacht das Passivsaufen weder Krebs noch Kopfweh. Den meisten Leuten ist es egal, wenn sich einer die Kante gibt, solange er sich nicht auf ihre Jacke erbricht. Da hat der Staat wenig Chancen. Abgesehen von den miserablen Erfolgsaussichten ist auch fraglich, mit welcher Logik die Politik gegen Flatrate-Partys vorgehen will. Flatrates verführen immer zum Obszönen und Gefährlichen. Im All-inclusive-Urlaub und am Buffet geht es darum, sich mit möglichst viel herzschädlichem Fett, Süßkram und Cholesterin vollzustopfen. Internetflatrates verleiten zur Wirklichkeitsverweigerung in einem Second Life. Und Berliner Sonnenstudios bieten zur Flatrate Hautkrebs an: „Jeden Tag bis zu 30 Minuten sonnen!“
Soll jeder selbst entscheiden, was er oder sie sich antun mag – jeder Erwachsene. Am Problem aber zielt die Flatrate-Party-Phobie vorbei. Nicht um Alkohol geht es, sondern um Jugendliche. Denen sind beim Selbstentscheiden Grenzen gezogen, gesetzlich und biologisch. Neurologen vergleichen das Gehirn von Pubertierenden mit einer Baustelle: Hier wird der Grundstein für eine Sucht gelegt. Zugleich ist das junge Gehirn auf schnelle Befriedigung ausgelegt, die Risikokalkulation funktioniert nur unzuverlässig. Wer früh anfängt, oft und viel zu trinken, schadet sich irreparabel. Deshalb darf hochprozentiger Alkohol erst an Volljährige ausgeschenkt werden.
Doch der Jugendschutz funktioniert nicht, weil die Kontrolle nicht funktioniert, weder die institutionelle noch die gesellschaftliche. Bei trinkenden Jugendlichen ist man tolerant: Weil man ja auch schon mal einen zu viel hat; weil man kein Spießer sein will; weil man doch selber mal jung war und hin und wieder betrunken. Ist alles gut gegangen, gehört irgendwie dazu. Alkohol wird nicht geächtet, sondern geachtet, ist positiv besetzt. Alkohol steht für feiern und freuen, festliche Gefühle, Erfrischung, Belohnung. Dementsprechend werden in Berlin die meisten Alkoholvergiftungen bei Jugendlichen auch nicht dort registriert, wo man soziale Verwahrlosung vermutet, sondern in eher bürgerlichen Ecken wie Pankow, Steglitz und Zehlendorf.
Bier und Wein darf nicht an unter Sechzehnjährige ausgeschenkt werden, Schnaps nicht an unter Achtzehnjährige, an Betrunkene darf gar nichts ausgeschenkt werden. So ist die Lage, und doch weiß jeder, dass der Staat das Wettsaufen unter Jugendlichen, das es immer schon gab, nicht ganz verhindern kann. Dass aber Verkäufer und Wirte Jugendlichen beim Wettsaufen helfen, davon profitieren, und dann, wenn sie überhaupt mal dabei erwischt werden, mit ein paar hundert Euro Strafe davonkommen, ohne ihre Konzession zu riskieren: das ist nicht gut. Mal nüchtern gesagt.
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