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Ein Paar steht an der deutsch-schweizerischen Grenze und umarmt sich.

© Felix Kästele/dpa

Mit Solidarität gegen das Coronavirus: Vertrauen lernt man in der Krise besonders gut

Nach dem Reflex der Abschottung setzt sich nun mehr Mitmenschlichkeit in der Corona-Krise durch. Wenn alles vorbei ist, wird Dankbarkeit bleiben. Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Gerd Appenzeller

Wenn es in diesem Frühjahr weniger Spargel auf dem Markt geben würde, weil die polnischen und bulgarischen Erntehelfer aus Angst der deutschen Politik vor Coronaviren nicht einreisen dürfen, wäre das zwar ärgerlich für Landwirte und Feinschmecker, aber verschmerzbar.

Wenn Lkw-Fahrer aus halb Europa, die mit ihren vollen Lastern nur Polen durchqueren oder allenfalls dort die Wagen entladen und mit neuer Fracht zurückfahren, an der Grenze behandelt werden wie gefährliche Infektionsträger, die es partout fernzuhalten gilt, ist das übertrieben und schlecht für die Wirtschaft, aber verkraftbar.

Wenn die Altenpflegerinnen aus Polen, Tschechien oder Bulgarien gar nicht erst zu ihren Arbeitsplätzen nach Deutschland kommen, weil sie bei der Rückkehr in ihre Heimatländer in wochenlange Isolation müssten, fern der eigenen Familie, wäre es für die Frauen selbst ein schmerzlicher Verzicht auf Einkommen – für hunderttausende alte und pflegebedürftige Menschen in Deutschland aber wäre es eine Katastrophe.

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So wird es nun wohl doch nicht kommen. Der Spargel wird gestochen, die Lkw-Fahrer können leichter passieren, und auch für die Pflegerinnen der Dementen oder Hilflosen, der alten Menschen in Deutschland, wird eine Lösung gefunden.

Es sieht so aus, als hätten nach dem ersten Reflex der Abschottung gegenüber dem Fremden nun doch in den meisten Ländern – allerdings freilich nicht allen – rationalere Kriterien die Oberhand gewonnen. Dabei sollte man die Behörden und Politiker, die teilweise aus Misstrauen so handelten, nicht vorschnell verurteilen. Wissen sie denn, ob die Menschen, die da reisen, nicht mit Trägern der Krankheit in Kontakt waren?

Doch hier geht es um etwas Anderes. Das Misstrauen gegenüber dem Fremden ist ein Ur-Instinkt. Erschütternd ist diese eruptive Dominanz fast schon atavistischer Instinkte jedoch, weil sie sich gegen Menschen richtet, mit denen wir seit Jahren, wenn nicht seit Jahrzehnten zusammenleben und arbeiten. Und wenn schon der Berliner dem Usedomer plötzlich so fremd ist, dass man nicht mal dessen Geld nimmt, dürfen wir uns nicht wundern, wenn auch zwischen Ländern Misstrauen in Angst umschlägt. Je weniger wir von anderen wissen, desto verschlossener werden wir ihm gegenüber.

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Diese Wagenburgmentalität bis in die kleinste Gemeinde wird uns vielleicht vorübergehend erlauben, der Illusion anzuhängen, wir wären besonders gut beschützt. Aber ihr Haltbarkeitswert ist gering. Denn der andere, der, den ich zurückwies, wird das nicht vergessen. Er wird lange nicht mehr meine Nähe suchen – wobei dieser Begriff auch die Nähe in materiellen, geschäftlichen und politischen Dingen umfasst. Wenn reflexhaftes Misstrauen – und damit ist nicht die Angst vor einer Infektion gemeint – aus dem Zweifel an der Gleichwertigkeit des Anderen entsteht, wachsen plötzlich wieder Grenzen, die seit Jahrzehnten verschwunden waren.

Gegen die Angst hilft nur sich mit ihr vertraut zu machen

Es ist eine Illusion, ja, geradezu eine Wahnvorstellung, wir könnten uns anderen Ländern gegenüber abschotten, mit denen uns tatsächlich so viel verbindet wie die Berliner mit den Usedomern. Gegen die Angst vor dem fremden Nachbarn hilft nur, sich mit ihm vertraut zu machen. Dann hilft er uns vielleicht, wenn wir in Not sind – und wir ihm, wenn wir seine existentiellen Sorgen spüren.

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Wir Deutschen haben dank des Vertrauens in uns nach dem Krieg den Wiederaufstieg in den Kreis der geachteten Nationen geschafft. Jetzt können wir zeigen, dass wir nicht nur sekundäre Tugenden wie Fleiß und Sparsamkeit pflegen, sondern auch primäre wie Klugheit und Mitmenschlichkeit.

Vertrauen lernt man in Zeiten der Krise besonders nachhaltig. Wenn aller Spargel gegessen und alle Lastwagen entladen sind, wird die Dankbarkeit bleiben – dass wir einander nicht vergessen haben, dass wir Mitmenschlichkeit empfangen und gezeigt haben.

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