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Wie gefährlich ist der Linksextremismus in Deutschland?

© imago/ / Christian Mang

Nach dem Urteil gegen Lina E.: Wie gefährlich sind Linksextremisten?

Linksextremistische Gewalt hat sich verändert, sagen Experten. Sie sei nicht mehr primär ereignisbezogen, sondern von langer Hand geplant.

Das Urteil gegen die Linksextremistin Lina E., das vom Oberlandesgericht Dresden am Mittwoch nach fast 100 Verhandlungstagen gesprochen wurde, hat hohe Wellen geschlagen. Fünf Jahre und drei Monate soll die 28-jährige Studentin ins Gefängnis. In der Bundesregierung wurde das Urteil positiv aufgenommen.

Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) bezeichnete linksextreme Gewalt als zunehmende Gefahr. In linksextremistischen Gruppen seien Hemmschwellen gesunken, politische Gegner auch mit äußerster Brutalität anzugreifen, sagte die Politikerin.

Die Zahlen des Bundeskriminalamts sprechen auf den ersten Blick eine andere Sprache: In einer Statistik zu politisch motivierten Kriminalität nahm die Zahl der linksmotivierten Straftaten von 10.113 auf 6976 um 31 Prozent ab, während die rechtsmotivierten Straftaten von 21.964 auf 23.493 um sieben Prozent stiegen.

Inzwischen werden die Opfer systematisch ausgewählt, Menschen gezielt über Tage lang ausgespäht, Teams gebildet, Kampfsport trainiert, Perücken genutzt, Wegwerfhandys, falsche Kennzeichen. 

Hendrik Hansen, Extremismusforscher und Professor an der Hochschule des Bundes für öffentliche Verwaltung.

Doch wer diese Zahlen miteinander vergleicht, macht mitunter einen Denkfehler, erklärt Extremismusforscher Hendrik Hansen. Die rechtsmotivierten Straftaten seien bei jeder Erhebung etwa doppelt so hoch wie die linksmotivierten, der Grund dafür seien die Propagandastraftaten, die es nur auf der rechten Seite gebe, sagte Hendrik Hansen, Extremismusforscher und Professor an der Hochschule des Bundes für öffentliche Verwaltung, dem Tagesspiegel.

„Wer den Hitlergruß zeigt oder ein Hakenkreuz irgendwohin schmiert, der macht sich im Sinne des Strafgesetzbuches strafbar“, erklärt der Professor. „Ein roter Stern als Zeichen für den Kommunismus ist hingegen keine Straftat. Wenn man solche Delikte herausrechnet und sich auf die Gewalttaten konzentriert, dann liegen Rechtsextremismus und Linksextremismus im Durchschnitt ungefähr gleich auf.“

6976
linksmotivierte Straftaten hat es im Jahr 2021 in Deutschland gegeben.

Laut dem Verfassungsschutzbericht aus dem Jahr 2021 ist das linksextremistische Personenpotenzial in Deutschland um 1,2 Prozent auf 34.700 Personen gestiegen – mehr als jeder vierte Linksextremist sei als gewaltorientiert einzustufen, heißt es weiter. Das rechtsextremistische Personenpotenzial liegt bei 33.900 Personen, von denen 13.500 als gewaltorientiert gelten.

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Anders als durch rechtsextreme Gewalt sind durch linksextreme Gewalt seit der RAF keine Menschen mehr zu Tode gekommen. Hansen spricht aber von einer neuen Qualität der Gewalttaten. Früher sei von Links vor allem ereignisbezogene Gewalt ausgegangen, etwa auf Demonstrationen.

„Inzwischen werden die Opfer systematisch ausgewählt, Menschen gezielt über Tage lang ausgespäht, Teams gebildet, Kampfsport trainiert, Perücken genutzt, Wegwerfhandys, falsche Kennzeichen“, sagt Hansen. Da werde geplant. „Einer spricht die Zielperson an, wenn er abgelenkt ist, greift der Rest der Gruppe an.“, berichtet der Extremismusforscher. „Diese kaltblütige Brutalität in dieser Form ist neu.“

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Ähnlich dürften auch Lina E., inzwischen eine Ikone in der linksextremistischen Szene, und ihre Mittäter vorgegangen sein. Zwischen Oktober 2018 und Frühjahr 2020 haben sie in Sachsen und Thüringen mindestens sechs Überfälle auf Rechtsextreme begangen - heimlich geplant, präzise ausgeführt, mit brutaler Gewalt.

Woher rührt die erhöhte Gewaltbereitschaft? Felix Neumann, Sicherheitsexperte bei der Konrad-Adenauer-Stiftung nennt dem Tagesspiegel verschiedene Erklärungsansätze.

Echokammern in den sozialen Medien fördern Radikalisierung

„In der Szene wird davon ausgegangen, dass der Staat übergriffig handelt und in manchen Bereichen einschränkend wirkt“, sagt Neumann. „Man argumentiert damit, dass der Staat aktuelle Probleme nicht zielführend lösen kann, wodurch die Tendenz entsteht, das Recht in die eigene Hand zu nehmen und entsprechend zu handeln.“

Nicht zu vernachlässigen sei auch die Rolle der sozialen Medien mit ihren Echokammern – also Gruppen in denen verstärkt die eigene Meinung repliziert werde, während andere, teils den Diskurs fördernde Aspekte, nur schwer den Weg nach innen fänden. 

Die linke Szene argumentiert damit, dass der Staat aktuelle Probleme nicht zielführend lösen kann, wodurch die Tendenz entsteht, dass Recht in die eigene Hand zu nehmen und entsprechend zu handeln.

Felix Neumann, Sicherheitsexperte der Konrad-Adenauer-Stiftung.

Thomas Haldenwang, Präsident des Bundesamtes für Verfassungsschutz, äußert sich am Mittwoch nach der Urteilsverkündung besorgt darüber, dass eine zunehmende Anzahl gewalttätiger Linksextremisten versuche, sich der Strafverfolgung zu entziehen und möglicherweise untergetaucht sei. So vermutlich auch der Partner von Lina E.

Immer mehr Linksextremisten befinden sich im Untergrund

Hansen sieht hier eine mögliche Parallele zum NSU und der RAF. „In der Vergangenheit hat sich durch das Verschwinden in den Untergrund Terrorismus entwickelt“, sagt Hansen. Das habe Logik. „Wer untertaucht, verschwindet absolut in der radikalen Szene, trifft nur noch auf Extremisten“, erklärt der Extremismusexperte. „Das ist sehr gefährlich.“

Er warnt davor, den Linksextremismus zu verklären. „Die haben was gegen Rechtsextremismus, wir doch auch, so klingt es oft, wenn über das Thema gesprochen wird - oder auch: Wir sind alle Antifa“, sagt Hansen. „Dabei wird aber verkannt, dass ein autonomer, linksextremistischer Antifaschist den Staat abschaffen will und unsere Demokratie ablehnt. Die Taten richten sich nicht nur gegen Personen, sondern gegen unsere Verfassung.“

Unvermindert Anlass zur Sorge gebe laut Verfassungsschutzbericht die Entwicklung in den Szeneschwerpunkten Berlin, Hamburg und Leipzig. Aber auch in anderen Bundesländern radikalisierten sich einzelne Kleingruppen, schotten sich vom Rest der Szene ab und begehen konspirativ, arbeitsteilig und planvoll zahlreiche Straf- und Gewalttaten.

Thomas Haldenwang sieht die Schwelle zum Terrorismus aktuell noch nicht überschritten, sprach aber von einer Radikalisierungsspirale. „Wenn die sich weiterdreht und die Taten immer brutaler und hemmungsloser werden, dann rückt der Moment näher, in dem man auch von Linksterrorismus sprechen muss.“

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