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Politik: „Nicht für jeden die Hand ins Feuer legen“ Attac-Aktivist Rätz über Proteste mit Bolzenschneidern,

die richtigen Themen der G 8 und Merkels Populismus

PRIVAT

Werner Rätz wurde am 13. Januar 1952 in Daun/Eifel geboren. Er studierte in Bonn Politik, Philosophie und Geschichte, war Koch, Fabrikarbeiter und ist arbeitslos. Als Hausmann zog er vier Kinder groß.

POLITIK

In Parteien gefiel es ihm nie lang. Mit 16 war er ein paar Monate lang Mitglied der Jungen Union. Länger hielt er es später auch nicht bei den Grünen und der PDS aus. Er engagiert sich für die Informationsstelle Lateinamerika.

PROTEST

In den 80er Jahren organisierte Rätz die großen Friedensdemos in Bonn, nun koordiniert er für Attac die Proteste gegen den G-8-Gipfel.

Herr Rätz, Sie organisieren die Proteste gegen den G-8-Gipfel in Heiligendamm an führender Stelle mit. Werden Sie sich im Juni selbst auf mecklenburgische Straßen legen, um das Treffen der führenden Industrienationen und Russland zu blockieren?

Wer an Aktionen zivilen Ungehorsams teilnimmt, muss auch die möglichen Folgen einkalkulieren. Er kann etwa von der Polizei für eine Weile aus dem Verkehr gezogen werden. Grundsätzlich würde ich das Risiko eingehen. Aber nur, wenn ich nicht noch für andere Dinge gebraucht werde. Den Aufruf zur Blockade habe ich persönlich unterzeichnet, selbst wenn ihn nicht alle in unserem Protestbündnis mittragen. Aber es wird von allen akzeptiert, dass die, die blockieren wollen, das auch tun.

Die Sicherheitsbehörden verdächtigen einige der G-8-Gegner terroristischer Aktivitäten am vergangenen Mittwoch fanden deshalb bundesweit Razzien statt.

Der Paragraf 129 a des Strafgesetzbuches erlaubt solches Vorgehen ohne konkreten Tatverdacht. Das genau ist hier geschehen. Unsere Mobilisierung hat in den vergangenen Monaten sehr breite Kreise erreicht. Da wollten die Bundesanwaltschaft und das Bundeskriminalamt mal schauen, was sie an Strukturen noch nicht kennen. Der angestrebte Effekt der Einschüchterung und Spaltung wird nicht eintreten. Wir werden jetzt erst recht zu den Protesten mobilisieren.

Ist Ihr Protest nicht von gestern? Die Themen, mit denen sich der Gipfel beschäftigt, lesen sich wie eine Attac-Tagesordnung: Afrikahilfe, Kontrolle der Finanzmärkte, Arbeitsschutz, Klimaschutz

Wir üben auch keine Kritik an den Themen. Die Themen sind genau die, die man aufgreifen muss. Auch wenn ein paar fehlen. Aber hier maßt sich eine nicht autorisierte Runde an, diese Themen für die gesamte Weltgemeinschaft zu regulieren. Das wollen wir nicht akzeptieren. Die Themen müssen dorthin, wo die Weltgemeinschaft sitzt, in die UN.

Könnte man es nicht auch als Anfang betrachten, dass sich die G 8 mit den auch aus Ihrer Sicht richtigen Themen befassen?

Die konkrete Politik der G 8 in all diesen Fragen bleibt im besten Fall schaumschlägerisch, im schlechteren Fall schlicht inhaltsleer. Beim vorletzten Gipfeltreffen im schottischen Gleneagles war vom größten Schuldenerlass der Geschichte für Afrika die Rede. 18 ärmste Länder sollten um etwa 40 Milliarden Dollar entlastet werden bei einem Gesamtschuldenbetrag von etwa 2,2 Billionen ein Kleckerbetrag. Betrachtet man den Schuldendienst absolut und relativ zur Wirtschaftsleistung, dann wurden gerademal zwei Länder, Tschad und Kamerun, tatsächlich entlastet. Die Schulden aller anderen Länder des Programms sind relativ oder absolut gestiegen.

Die britische Regierung unter Tony Blair hat ernsthaft etwas für Afrika getan. Sehen Sie darin keine Entwicklung?

Die britische Rate öffentlicher Entwicklungshilfe liegt bei knapp über 0,5 Prozent des Bruttosozialprodukts. Sie ist substanziell gestiegen, aber liegt immer noch deutlich unter den 0,7 Prozent, auf die sich die Industriestaaten vor langer Zeit verständigt hatten. Die deutsche Rate liegt noch einmal halb so niedrig wie die britische, bei gerademal 0,3 Prozent. Das ist ein Armutszeugnis für die deutsche Regierung. Und die Briten sie haben im Schlechten etwas weniger schlecht gemacht. Noch immer zielt die Politik der Europäischen Union faktisch auf eine Verschlechterung der Situation der afrikanischen Länder. Hier wird im Rahmen wirtschaftlicher Partnerschaftsabkommen an der Durchsetzung eines Freihandelsregime gebastelt. Die Konzentration der afrikanischen Märkte auf Weltmarktexporte hat aber für die lokale Versorgung katastrophale Folgen.

Vietnam ist ein Gegenbeispiel für Ihre These. Das südostasiatische Land hat mit seiner Orientierung auf die Exportwirtschaft den größten entwicklungspolitischen Erfolg aller Zeiten erzielt, innerhalb von zehn Jahren mehr Menschen aus der Armut geholt, als es jemals in einem anderen Land prozentual gelungen wäre.

Es mag solche Entwicklungen in einem einzelnen Land geben. Dies geschieht aber immer auf Kosten anderer Länder. Es funktioniert einfach nicht, die gesamte Weltwirtschaft auf Exporte zu organisieren. Exporterfolge exportieren tendenziell zugleich Arbeitslosigkeit.

Malen Sie nicht zu schwarz? Sehen Sie keine Bewegung bei den G 8? Kanzlerin Angela Merkel etwa fordert, dass die Sozialstandards der Internationalen Arbeitsorganisation durchgesetzt werden. Eine alte Attac-Forderung, oder?

Es wird geredet, aber nichts umgesetzt. Merkel nimmt eine Forderung der Bewegung auf und unterfüttert ihre hehren Worte dann nicht mit realer Politik. Das ist populistische Anbiederei.

Sie sehen Bewegung in keinem Punkt der G-8-Agenda? Vielleicht in der Klimafrage?

Ich sehe auch hier keinen wirklichen Einstieg in das, was dringend notwendig wäre. Wir würden uns ja freuen, wenn Frau Merkel standhafter gegenüber US-Präsident Bush wäre. Aber auch Greenpeace die ebenfalls zu den Protesten gegen die G 8 aufrufen beurteilt die Politik der Bundesregierung an dieser Stelle als Worthülsen ohne jede Substanz.

Ist es angesichts der enormen globalen Herausforderungen nicht eine gute Sache, dass sich die mächtigsten Industrieländer der Welt in einem ständigen Verständigungsprozess befinden?

Nein, weil das nur eine gute Sache für die Interessen ist, die dort vereinheitlicht werden das sind die Interessen der großen Konzerne und der Finanzanleger.

Wenn Sie drei Bedingungen stellen könnten für einen G-8-Gipfel, der aus Ihrer Sicht einen wirklichen substanziellen Erfolg bedeutet, welche wären das?

Natürlich gäbe es Erfolge, die man anerkennen müsste: etwa wenn sich die G 8 auf eine Verringerung des CO2-Ausstoßes um 30 Prozent, in der Bundesrepublik um 40 Prozent, festlegen würden. Oder wenn es einen Einstieg in die weltweite Durchsetzung der Arbeitsnormen geben würde. Anerkennen müsste man auch eine Abkehr von der Strukturanpassungspolitik, die die schuldenbelasteten armen Länder des Südens nur noch tiefer in die Armut drängt. Ich kann mir aber überhaupt nicht vorstellen, dass die G 8 dazu bereit und in der Lage sind. Sollte ich mich täuschen, umso besser.

Wer soll die drängenden Probleme der Welt sonst lösen?

Das können nur die UN sein. Bei allen Schwächen, die die Weltorganisation hat etwa, dass auch diktatorische und korrupte Regierungen in ihr vertreten sind. Aber es bleibt der einzige Ort, an dem die Weltgemeinschaft zusammenkommt, an dem in zentralen Fragen Konsense erzielt werden können. Selbst wenn die dann meist nur auf dem Papier stehen.

Fassen wir zusammen: Es gibt die guten UN, deren Beschlüsse leider nicht durchsetzbar sind. Und es gibt die bösen G 8, denen Sie die Legitimität absprechen?

Ich bin nicht blauäugig. Ich weiß um die mangelnde Durchsetzungsfähigkeit der Forderungen der globalisierungskritischen Bewegung. Jetzt kommt es darauf an, innerhalb der G-8-Länder eine Politik durchzusetzen, die es möglich macht, dass die in den UN erreichbaren Ergebnisse auch verbindlich werden. Wir treten in Heiligendamm mit der Absicht an, Politik real zu verändern.

Ziviler Ungehorsam bleibt insbesondere bei G-8-Protesten doch selten friedlich. Welche Bilder wünschen Sie sich?

Wir wünschen uns Bilder von großen friedlichen Demonstrationen, aber auch von entschiedenen und energischen Protesten. Von Menschen, die sich etwa am Flughafen Rostock-Laage oder an den Zufahrten zum eingezäunten Gipfelgelände der Politik der G 8 symbolisch in den Weg stellen. Wir finden es richtig, dass es einen scharfen inhaltlichen Widerspruch zur Politik der Bundesregierung gibt. Und dieser scharfe Widerspruch soll in den Bildern sichtbar werden.

Machen Sie den Menschen in der mecklenburgischen Provinz mit Ihren Aktionen nicht eher Angst?

Es ist natürlich ein Problem, dass dieser Gipfel in einer Region stattfindet, in der es bisher sehr wenige politische Strukturen der Alternativbewegung gibt. Es gibt tatsächlich Sorgen der Menschen in der Region, was die Aktionsformen betrifft. Aber viele erkennen auch an, dass wir für die richtigen Ziele streiten.

Wie breit ist Ihr Protestbündnis überhaupt? Die Grünen haben den gemeinsamen Demonstrationsaufruf nicht unterschrieben, Parteivertreter sollen auf der Kundgebung am 2. Juni in Rostock nur eine Nebenrolle spielen. Und die Gewerkschaften halten sich auch weitgehend heraus.

Katja Kipping, die stellvertretende Vorsitzende der Linkspartei, und Paula Riester, die Sprecherin der Grünen Jugend, werden in Rostock sprechen. Ansonsten müssen wir nicht Leuten Öffentlichkeit verschaffen, die sie ohnehin Tag für Tag haben. In der Tat ist das Verhältnis zwischen globalisierungskritischer Bewegung und Grünen gespannter geworden. Was die Gewerkschaften angeht: Da kommt was in Bewegung, aber wir sind noch lange nicht zufrieden.

Wie will das Protestbündnis eine Eskalation hin zu Gewalt vermeiden?

Wir wollen durch die Zahl der Menschen Aufmerksamkeit schaffen, nicht durch das Eskalieren der Aktionsformen. Wir haben mit unseren Bündnispartnern intensiv über diese Frage diskutiert, ganz bewusst auch linksradikale Gruppen einbezogen. Bei allen Aktionen, an denen Attac beteiligt ist, gibt es Übereinstimmung über den friedlichen Charakter. Sollten Aktivisten Angriffe auf die rote Zone planen: Letztlich kann man bei den Zigtausenden von Menschen, die anreisen werden, nicht für jeden die Hand ins Feuer legen.

Und was sagen Sie den Leuten, die mit dem Bolzenschneider kommen, um den Zaun zu durchbrechen, der weiträumig den Tagungsort abriegelt?

Der Zaun ist illegitim. Im Urteil des Bundesverfassungsgerichts zu Brokdorf ist eindeutig festgestellt worden, dass den Adressaten des Protests zuzumuten ist, den Protest auch zu hören und zu sehen. Der Zaun verhindert dies. Wir erörtern derzeit ein juristisches Vorgehen gegen diesen unrechtmäßigen Zaun. Aber ich kann mir nicht vorstellen, dass aus unseren Aktionen heraus jemand mit dem Bolzenschneider zu diesem Zaun kommt. Wir haben keine Aktionen geplant, die darauf hinauslaufen, den Zaun zu überwinden. Wir wollen nahe am Zaun blockieren. In der Friedensbewegung hat es aber auch immer wieder Menschen gegeben, die solche Zäune überwunden haben. Um der symbolischen Wirkung der Tat willen haben sie in Kauf genommen, wegen Sachbeschädigung und anderer Verstöße belangt zu werden. Würde das in solch einer Weise getan, fände ich das in Ordnung.

Die bittere Lehre von früheren Protesten gegen die G 8, etwa 2001 in Genua, ist aber, dass die Anliegen der Protestbewegung erst wahrgenommen werden, wenn es Krawallbilder gibt. Hoffen Sie nicht insgeheim doch auf Grenzüberschreitungen?

Nein, darauf hoffe ich nicht. Die Beschreibung von Genua ist zwar richtig. Aber gerade dort hat sich Sympathie für unser Anliegen gerührt, als klar wurde, dass die Polizei den Krawall mit angezettelt, einen Demonstranten erschossen und eine Schule überfallen hat. Seitdem hat sich die Stimmung uns gegenüber weltweit geändert, sie ist viel freundlicher geworden.

Sind Sie in diesem Sinn froh, dass es diese G-8-Gipfel gibt? Diese bieten doch ein ideales Forum für Attac und die gesamte globalisierungskritische Bewegung?

Das ist wie beim Fußball. Vorlagen des Gegners muss man verwerten.

Das Gespräch führten Barbara Junge, Matthias Meisner und Harald Schumann. Das Foto machte Mike Wolff.

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