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Atomdebatte: Niederlande: Anders gepolt

Während in Deutschland über den Ausstieg aus der Atomenergie debattiert wird, planen die Holländer den Bau eines neuen Atomkraftwerks. Wie läuft die Diskussion in unserem Nachbarland?

Es wäre ein unvorstellbares Szenario: Deutschland betreibt den Atomausstieg, der Staat gibt dafür eine Menge Geld aus, der Steuerzahler muss höhere Strompreise berappen, und dann ist alles doch umsonst, weil es hinter der deutschen Grenze schiefgeht mit einem Atomkraftwerk, und der Wind weht in die verkehrte Richtung.

Radioaktivität kümmert sich bekanntlich nicht um staatliche Grenzen. Ein Atomausstieg ist also nur dann wirklich sinnvoll, wenn auch die Nachbarländer mitmachen. Und die Niederlande wollen nicht aussteigen – im Gegenteil. Der niederländische Wirtschaftsminister Maxime Verhagen wiederholte in dieser Woche, das Land benötige ein zweites Atomkraftwerk und der Bau könne im Jahr 2015 beginnen. Holland plant den Bau von zwei Meilern mit einer Leistung von 1600 Megawatt im schon bestehenden Kraftwerk Borssele. Die Laufzeit der Anlage wurde 2006 bis zum Jahr 2033 verlängert. In der Bevölkerung, die Umfragen zufolge mit einer knappen Mehrheit eigentlich gegen Kernkraft ist, lösen diese Planungen keine große Aufregung aus.

Aber haben die Holländer nichts mitbekommen von der Katastrophe im japanischen Fukushima? Das schon. Am heutigen Samstag findet zum Beispiel eine nationale Anti-Atomkraft-Demo in Amsterdam statt, die Veranstalter allerdings wollen sich nicht festlegen, wie viele Menschen ihrem Aufruf folgen werden. Aber sie bleibt eher eine Ausnahme. Neue Akw wurden in den Niederlanden seit den 1980er Jahren nicht mehr gebaut. Das Akw in Dodewaard wurde 1997 abgeschaltet, die Laufzeit des Kraftwerks in Borssele war von vornherein beschränkt. Die Bewegung schlief allmählich ein.

Das Erdbeben in Japan und die darauf folgenden Ereignisse in Fukushima haben die Öffentlichkeit in den Niederlanden nicht so aufgerüttelt wie in Deutschland. Das deutsche Moratorium für die ältesten Atommeiler wird daher eigentlich von kaum jemandem verstanden - auch die niederländische Presse reagierte ablehnend. „Panikmache“, urteilte zum Beispiel die Tageszeitung Trouw, die sich ansonsten als ökologisch ausgerichtete Zeitung profiliert.

NRC Handelsblad, die wichtigste liberale Qualitätszeitung der Niederlande, veröffentlichte auf der Meinungsseite einen Artikel unter dem Titel: „Fukushima zeigt, wie sicher Atomenergie ist“. Was da geschehen sei, sei schlimm. Doch wenn man nüchtern berechne, wie viele Tote die verschiedenen Energiequellen pro erzeugter Kilowattstunde Energie gekostet hätten, dann sei Atomkraft noch immer die sicherste Technologie, meint die Zeitung. Wasserkraft etwa sei viel gefährlicher: Als 1975 der Staudamm im chinesischen Banqiao gebrochen sei, seien 26 000 Menschen gestorben, viel mehr als die Katastrophe von Tschernobyl an Opfern gefordert habe.

Nicht alle Niederländer stimmen solchen Analysen zu, und eine knappe Mehrheit lehnt die Kernkraft ab. Aber ein Konsens über eine Energiewende, wie er sich derzeit in Deutschland herausbildet, wird es in den Niederlanden wohl so schnell nicht geben. Dafür ist die Politik momentan zu polarisiert. Die konservative Regierung ist abhängig von der Duldung durch die rechtspopulistische PVV, der Partei von Geert Wilders. Und diese verweist auf die zurückgehenden heimischen Erdgasvorkommen und profiliert sich mit dem Thema Atomenergie. Es bleibt abzuwarten, ob die Holländer ihm oder den Demonstranten in Amsterdam folgen werden.

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