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Jürgen Trittin (r) will den linken Flügel in der grünen Partei stärken. Die Realos im Südwesten, hier Baden-Württembergs Ministerpräsident Winfried Kretschmann, aber auch Tarek al-Wazir, der in Hessen mit der CDU koaliert, sind ihm ein Dorn im Auge.

© dpa

Grüne, Linke und der Föderalismus: Oh, wie schön ist Waziristan

Jürgen Trittin hackt auf den Realos herum. Das ist ein produktiver Effekt des deutschen Föderalismus. Warum also "unter Drei"? Ein Kommentar zur Demokratietheorie von Waziristan.

Ein Kommentar von Anna Sauerbrey

Waziristan ist allemal eine Reise wert. Also jetzt nicht das pakistanische Waziristan, das Rückzugsgebiet der Taliban. Das Auswärtige Amt warnt ausdrücklich vor Reisen in die Region. Das Waziristan aber, das es neuerdings in Deutschland gibt, hat schöne Seiten, für die an dieser Stelle geworben werden soll.

Baden-Württemberg sei das "Waziristan der Grünen", sagte Trittin dem Spiegel "unter Drei"

Falls Sie sich fragen, wo das deutsche Waziristan liegt, hier noch einmal ein politischer Kompass: Im aktuellen „Spiegel“ wird Jürgen Trittin mit der Äußerung zitiert, Baden-Württemberg sei ein „Waziristan der Grünen“. Vielleicht spielt Trittin mit dem geografischen Vergleich auf den Nachnamen von Tarek al-Wazir an, jenem Grünen, der mit der CDU in Hessen regiert und einer jener Realos ist, die der Grünen-Linke Trittin nicht besonders schätzt. Auch in Baden-Württemberg sind sie, die Realos, an der Macht und haben die Parteilinke erst kürzlich vor den Kopf gestoßen, als der grüne Ministerpräsident Winfried Kretschmann im Bundesrat einem Kompromiss zum Asylrecht zugestimmt hat.

Auch die Linke hat ein "Waziristan", es heißt DDR

Auch die Linke hatte kürzlich ein Waziristan, nur hieß es DDR. In Thüringen hat sich die Landespartei mit der SPD und den Grünen auf ein Papier zum Umgang mit der DDR geeinigt, in dem sie anerkennt, dass die DDR ein Unrechtsstaat war, was Bodo Ramelow zum Winfried Kretschmann der Linken, nämlich zum ersten Ministerpräsidenten der Partei machen könnte. Aus Berlin: Heulen und Zähneknirschen, Gysi und andere waren noch nicht so weit.

Das Regieren in Koalitionen führt oft zu einem abrupten Erwachsenwerden der beteiligten Politiker. Es gilt, Kompromisse zu machen, und die macht man besser in Anzug und Krawatte. Umgekehrt führt das Oppositionsdasein oft zu einem Rückfall in das Teenageralter. Losgelöst von politischen Zwängen kann man ausgelassen-utopische Forderungspartys feiern, ohne sich um den Realitätskater am nächsten Morgen Sorgen machen zu müssen.

Im Föderalstaat sind Parteien oft Regierung und Opposition zugleich

Nun gehört es zu den interessantesten Seiten des deutschen föderalen Systems, dass die Parteien in aller Regel beides zugleich sind: Regierungspartei und Opposition. Innerparteiliche Konflikte sind systemimmanent und werden dann besonders heftig, wenn sie, wie jetzt bei den Grünen und bei den Linken, ohnehin schon schwelen.

Trittin beschwert sich - warum eigentlich?

Trittin möchte das mit Waziristan jetzt lieber nicht gesagt haben und beschwert sich beim Chef der Journalistin, die das geschrieben hat, weil er es „unter drei“, also nicht zur öffentlichen Verwendung gesagt habe. Warum eigentlich nicht? Sicher, die Formulierung ist zugespitzt und Namenswitze gehen gar nicht. Aber eigentlich gibt es keinen Grund dafür, warum Parteien ihre Richtungsstreitigkeiten hinter vorgehaltener Hand führen sollten. Sie gehören zur normalen und erwünschten politischen Auseinandersetzung um Inhalte, um die politische Willensbildung. Die Eigenheiten des föderalen Systems können dazu führen, dass sie noch pointierter geführt werden, das schadet der Debatte nie.

So betrachtet ist ganz Deutschland ein Waziristan. Oder auch eine DDR. Jedenfalls allemal eine Reise wert.

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