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Palästinenser am Montag an der Grenze des Gazastreifens

© AFP/MOHAMMED ABED

Update

52 Tote bei Protesten im Gazastreifen: Palästinenser fordern Dringlichkeitssitzung des UN-Sicherheitsrats

Die USA eröffnen ihre Botschaft in Jerusalem. Am Gazastreifen schießen israelische Soldaten auf Palästinenser. Israels Luftwaffe fliegt Angriffe auf Hamas-Ziele.

Bei den Protesten gegen die Verlegung der US-Botschaft nach Jerusalem sind am Montag 52 Palästinenser von israelischen Soldaten an der Grenze zum Gazastreifen erschossen und rund 1700 weitere verletzt worden. Das teilte das Gesundheitsministerium in dem Palästinensergebiet mit. Es ist damit der Tag mit den meisten Todesopfern seit dem Gaza-Krieg 2014. Unter den Todesopfern ist auch ein 14-Jähriger Junge.

Tausende Palästinenser protestierten im Gazastreifen an mehreren Orten an der Grenze zu Israel, einige Gruppen näherten sich Steine werfend dem Grenzzaun. Israelische Soldaten mit Schusswaffen bezogen auf der anderen Seite Position.

Die israelische Luftwaffe flog einen Angriff auf die im Gazastreifen herrschende radikalislamische Hamas. Der Angriff habe sich gegen "fünf terroristische Ziele" in einem militärischen Ausbildungslager der Hamas im Norden des Gazastreifens gerichtet, erklärte die Armee.

USA eröffnen Botschaft in Jerusalem

Rund fünf Monate nach der umstrittenen Ankündigung von US-Präsident Donald Trump fand am Montag die offizielle Botschaftseinweihung mit rund 800 geladenen Gästen statt - Trump selbst reiste nicht nach Jerusalem. Die israelische Polizei und das Militär waren im Großeinsatz. Das Terrornetzwerk Al-Kaida rief Muslime vor dem Hintergrund der Botschaftseröffnung zum Dschihad gegen die USA auf.

Palästinensische Demonstranten am Montag an der Grenze des Gazastreifens
Palästinensische Demonstranten am Montag an der Grenze des Gazastreifens

© REUTERS/Ibraheem Abu Mustafa

An der Einweihung des US-Botschaftsgebäudes in Jerusalem, welches bislang ein US-Konsulatsgebäude war, nahm eine Delegation des Weißen Hauses teil, zu der Trumps Tochter und Beraterin Ivanka und ihr Ehemann Jared Kushner zählen. Auch US-Vizeaußenminister John Sullivan und US-Finanzminister Steven Mnuchin nahmen an der Eröffnungszeremonie teil.

Heikel ist auch das Datum der Botschaftseröffnung: Israel feiert am Montag den 70. Jahrestag seiner Staatsgründung. Israels Regierungschef Benjamin Netanjahu sagte bei einem Empfang der US-Delegation am Sonntagabend, Jerusalem sei in den vergangenen 3000 Jahren die Hauptstadt des jüdischen Volks gewesen und sei seit 70 Jahren die des Staates Israel. "Es wird für immer unsere Hauptstadt bleiben", bekräftigte Netanjahu. Sullivan sagte, die US-Botschaft in Jerusalem sei "eine lange überfällige Anerkennung der Realität".

Präsident Trump brach mit diplomatischer Linie der USA

Trump hatte am 6. Dezember verkündet, die US-Botschaft von Tel Aviv nach Jerusalem zu verlegen. Damit brach er mit der jahrzehntelangen US-Politik, da die Botschaftsverlegung die Anerkennung Jerusalems als Hauptstadt Israels durch die USA bedeutet. US-Außenminister Mike Pompeo und Trumps Nationaler Sicherheitsberater John Bolton erklärten am Sonntag, der Friedensprozess sei durch die Botschaftsverlegung nicht gefährdet.

Der endgültige Status Jerusalems ist allerdings einer der größten Streitpunkte im Nahost-Konflikt. Die Palästinenser beanspruchen den 1967 von Israel besetzten und 1980 annektierten Ostteil Jerusalems als künftige Hauptstadt des von ihnen angestrebten eigenen Staates. Trumps Ankündigung hatte zu massiven Protesten in muslimischen Ländern geführt.

Die israelische Armee hatte am Montag Flugblätter über dem Palästinensergebiet am Mittelmeer abgeworfen. Darin würden die Einwohner auf Arabisch davor gewarnt, sich dem Grenzzaun zu Israel zu nähern, ihn zu beschädigen oder Anschläge zu verüben, teilte die israelische Armee mit. Seit Ende März wurden bei gewaltsamen Konfrontationen von Palästinensern und israelischen Soldaten an der Gaza-Grenze Dutzende Palästinenser getötet und Tausende verletzt.

Man habe an die Menschen appelliert, sich nicht von der im Gazastreifen herrschenden Hamas missbrauchen zu lassen, hieß es in der Mitteilung der Armee. Die Hamas wird von Israel, EU und USA als Terrororganisation eingestuft und hat sich die Zerstörung des Staates Israel auf die Fahne geschrieben. „Erlaube es der Hamas nicht, Dich auf zynische Weise als ihre Marionette zu missbrauchen“, heißt es auf einem der Flugblätter. „Halte Dich fern vom Sicherheitszaun, terroristischen Aufrührern und gewalttätigen Demonstranten!“ und „Rette Dich selbst und setze lieber darauf, Dir eine gute Zukunft aufzubauen!“

Palästinenser kündigen Proteste an

Am Dienstag jährt sich zum 70. Mal die sogenannte „Nakba“ (deutsch: Katastrophe oder Unglück). An diesem Tag erinnern die Palästinenser an die Vertreibung und Flucht von rund 760.000 Landsleuten, die 1948 auf die Gründung des Staates Israel folgten. Die Palästinenser haben für Montag und Dienstag Proteste angekündigt.

Der Chef des Terrornetzwerks Al-Kaida, Aiman al-Sawahiri, rief Muslime vor der US-Botschaftseröffnung zum Dschihad gegen die USA auf. Trumps Entscheidung habe gezeigt, dass Verhandlungen und "Beschwichtigungen" den Palästinensern nichts gebracht hätten, sagte al-Sawahiri am Sonntag laut dem auf die Überwachung islamistischer Internetseiten spezialisierten US-Unternehmen SITE in einer Video-Botschaft. Er rief seine Anhänger auf, zu den Waffen zu greifen.

Der Chef der Delegation der Palästinensischen Befreiungsorganisation (PLO) in Washington, Husam Somlot, erklärte am Sonntag, der US-Botschaftsumzug sei ein weiterer Schritt hin zu "vollständiger Apartheid". Die US-Regierung habe sich "tragischerweise" dazu entschieden, sich auf die Seite Israels beim Anspruch auf eine Stadt zu stellen, die seit Jahrhunderten allen Religionen heilig sei. "Der heutige Schritt führt zu einem religiösen Konflikt statt zu würdevollem Frieden."

Der Chef der im Gazastreifen herrschenden radikalislamischen Hamas, Ismail Hanija, sprach am Sonntag vor den geplanten Protesten in dem Palästinensergebiet in Ägypten mit dem dortigen Geheimdienstchef Abbas Kamel. In arabischen Medien war spekuliert worden, dass Ägypten, das mit Israel einen Friedensvertrag unterhält, Erleichterungen bei der israelischen Blockade des Gazastreifens und wirtschaftliche Erleichterungen erzielen könnte, wenn die palästinensischen Demonstranten im Gegenzug nicht versuchten, den Grenzzaun zu Israel zu durchbrechen.

Autonomiebehörde fordert Dringlichkeitssitzung des Sicherheitsrats

Die Palästinensische Autonomiebehörde will nach den Protesten mit Dutzenden Toten an der Gaza-Grenze eine Dringlichkeitssitzung des UN-Sicherheitsrates beantragen. Es gehe darum, die letzten Entwicklungen zu diskutieren, sagte PLO-Generalsekretär Saeb Erekat am Montag. Man wolle Schutz für das palästinensische Volk unter israelischer Besatzung beantragen. Außerdem werde man sich wegen der israelischen Siedlungen an den Internationalen Strafgerichtshof in Den Hague wenden. Auf Antrag des arabischen Golfstaates Kuwait will der UN-Sicherheitsrat am Dienstag bereits über die Lage beraten.

Das Weiße Haus sieht die Verantwortung für die Gewalt im Gazastreifen voll und ganz bei der dort herrschenden radikal-islamischen Palästinenserorganisation Hamas. Die Hamas habe die Situation auf zynische Weise ausgenutzt, sagte der Sprecher von US-Präsident Donald Trump, Raj Shah, am Montag in Washington. Auf die Frage, ob die USA Israel angesichts vieler Toter bei Zusammenstößen vom Montag zur Zurückhaltung aufrufe, sagte Shah, das sei nicht nötig. Die Hamas trage die Verantwortung.

Südafrika beorderte indessen seinen Botschafter in Israel zurück. "Angesichts der wahllosen und schwerwiegenden Weise des jüngsten israelischen Angriffs hat die südafrikanische Regierung die Entscheidung gefällt, Botschafter Sisa Ngombane mit sofortiger Wirkung bis auf Weiteres zurückzurufen", teilte das südafrikanische Außenministerium am Montag mit.

Nahost-Experte: "Kein Potenzial für gewalttätigen Flächenbrand"

Ein Nahost-Experte sieht trotz der Eröffnung der US-Botschaft in Jerusalem und der Massenproteste der Palästinenser kein extremes Eskalationspotenzial. „Ich sehe nicht das Potenzial dafür, dass ein gewalttätiger Flächenbrand entsteht“, sagte Marc Frings, Büroleiter der Konrad-Adenauer-Stiftung in Ramallah, am Montag. Der Fokus der Proteste werde auf dem Gazastreifen liegen. „Aber das passiert nicht wegen der Botschaft, sondern weil die Menschen das Gefühl haben, ihr Schicksal selber in die Hand nehmen zu müssen.“

Problematisch sei aktuell, dass „verschiedene Unruheherde“ gemeinsam ihren Höhepunkt fänden, sagte Frings. Neben der Verlegung der US-Botschaft nach Jerusalem zählt er dazu auch den Nakba-Tag sowie die Proteste im Gaza ab Ende März. Zudem beginnt Mitte der Woche der Ramadan, der muslimische Fastenmonat. „Wir befinden uns gerade in einer unberechenbaren Situation, in der jede falsche Fingerbewegung Öl ins Feuer gießen könnte“, sagte Frings. Wenn beispielsweise Israel während des Ramadans generell keine Einreisegenehmigungen nach Jerusalem erteilen werde, dann könnte das die Spannungen zusätzlich befeuern.

Allerdings sieht Frings die palästinensische Gesellschaft als zu zersplittert an, als dass sich eine Massenbewegung auch im Westjordanland und Ost-Jerusalem entwickeln könnte. Dazu seien die Menschen auch zu ausgelaugt aufgrund der politischen Lage. „Diese Erschöpfung ist ganz klar langfristiger Natur“, sagte Frings. In einer Umfrage im März hatten rund 70 Prozent der Palästinenser gesagt, dass die Situation in 100 Jahren ähnlich schlecht sein werde wie heute oder schlechter. (AFP,dpa)

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