
© Foto: REUTERS/Valentyn Ogirenko
Polen springt Ungarn im EU-Streit bei: Warum Morawiecki auf die Brüsseler Drohung so vehement reagiert
Ungarn muss im Streit mit der EU die Kürzung von 7,5 Milliarden Euro befürchten. Die Regierung in Polen will das verhindern – aus Eigeninteresse.
Stand:
Im Streit mit der EU erhält Ungarns Regierungschef Viktor Orbán Unterstützung von der nationalkonservativen Regierung in Polen. Die EU-Kommission droht Ungarn angesichts von Korruptionsvorwürfen mit dem Entzug von europäischen Fördergeldern in Höhe von 7,5 Milliarden Euro. Nach den Worten des polnischen Regierungschefs Mateusz Morawiecki werde sich sein Land „mit aller Kraft jedem Vorhaben der europäischen Institutionen widersetzen, auf absolut unzulässige Weise einem Mitgliedsland Mittel vorzuenthalten, im vorliegenden Fall Ungarn“.
Der Hintergrund von Morawieckis Intervention besteht darin, dass demnächst auch Polen genauso wie Ungarn von einer Kürzung von EU-Geldern betroffen sein könnte. Polen wartet weiterhin auf die Freigabe von Brüsseler Corona-Hilfen in Höhe von 36 Milliarden Euro. Allerdings verweigert die EU-Kommission bislang die Auszahlung, weil Brüssel der Regierung von Morawiecki den Verstoß gegen rechtsstaatliche Prinzipien vorwirft. Vor einer Auszahlung der Corona-Hilfen verlangt die Brüsseler Behörde vor allem die Abschaffung einer umstrittenen Disziplinarkammer für Richter.
Sowohl Polen als auch Ungarn spielen während des Ukraine-Krieges für die EU eine entscheidende Rolle - aber aus unterschiedlichen Gründen. Während Regierungschef Morawiecki in Warschau eine besonders harte Haltung gegenüber Russland verfolgt, hat Orbán zuletzt immer wieder eine Bremserrolle bei den EU-Sanktionen eingenommen. Ungarns Ministerpräsident nutzt dabei sein Vetorecht; EU-Sanktionen müssen jeweils einstimmig beschlossen werden.
Ungarn könnte ganz in die Isolation geraten
Trotz der Gefahr, dass die Drohung eines Entzugs von Fördergeldern Orbán innerhalb der EU vollends in eine Außenseiterrolle treiben könnte, verschärft die EU-Kommission nun die Gangart gegenüber Budapest. Dabei hatte die Auseinandersetzung zwischen Brüssel und Budapest schon lange vor dem Ukraine-Krieg begonnen. Die Brüsseler Behörde sieht die Verwendung von EU-Subventionen in Ungarn kritisch. Die Regierung der rechtspopulistischen Fidesz-Partei bedenke bei der Mittelvergabe vor allem politische Gefolgsleute, lautet die Kritik. Als Grundlage für die mögliche Mittelkürzung dient der EU-Kommission der Rechtsstaatsmechanismus. Die Neuregelung besagt, dass bei der Vergabe von EU-Geldern auf rechtsstaatliche Kriterien geachtet werden muss.
Polen hat ähnliche Probleme mit der EU-Kommission, die allerdings etwas gelagert sind. Beim Streit um die Justizreform geht es weniger um Vetternwirtschaft und Korruption, sondern in erster Linie um die Frage, welchen Rang EU-Recht in Polen genießt. Das polnische Verfassungsgericht hatte vor knapp einem Jahr in einem Aufsehen erregenden Urteil entschieden, dass einige Gesetze der EU im Widerspruch zur polnischen Verfassung stehen. Mit diesem Urteil hatte das polnische Verfassungsgericht ein Mitspracherecht der EU in Fragen der Rechtsstaatlichkeit abzuschütteln versucht. Allerdings ohne Erfolg: Vor der Freigabe der Corona-Milliarden pocht Brüssel darauf, dass die Reform des Justizsystems endgültig abgeschlossen ist.
Polen und Ungarn verfolgen in ihrem Streit mit der Kommission jeweils eine ähnliche Linie. In Polen wurde im vergangenen Mai die Abschaffung der Disziplinarkammer am Obersten Gericht beschlossen. Kritiker befürchten jedoch, dass die umstrittene Kammer durch ein neues Gremium ersetzt werden könnte, das ebenfalls wie schon in der Vergangenheit missliebige Richter und Staatsanwälte disziplinieren könnte. In Ungarn wiederum hat Orbán Zugeständnisse in 17 Punkten angekündigt. Auch hier gibt es die Befürchtung, dass der rechtspopulistische Regierungschef lediglich kosmetische Korrekturen vornimmt, um eine Sperrung der EU-Gelder zu verhindern. So soll der Aufbau einer Anti-Korruptionsbehörde dazu dienen, dass Brüssel das Verfahren nach dem Rechtsstaatsmechanismus doch wieder einstellt.
Die von der Partei „Recht und Gerechtigkeit“ (PiS) geführte Regierung in Warschau befürchtet, dass sie demnächst auch selbst von dem harten Brüsseler Kurs getroffen wird. Der PiS-Abgeordnete Janusz Kowalski erklärte per Twitter, dass nach Ungarn nun Polen das nächste Ziel bei einer „illegalen Vorenthaltung von Fördermitteln“ sein könne. „Eurokraten brechen das Rückgrat souveräner Staaten, die Nein sagen zur Föderalisierung der EU“, behauptete Kowalski.
Polen hat indes kein Vetorecht im Kreis der insgesamt 27 EU-Staaten, wenn es um eine mögliche endgültige Entscheidung um die milliardenschweren Mittelkürzungen für Ungarn geht. Benötigt würde lediglich eine qualifizierte Mehrheit von 15 EU-Staaten, die 65 Prozent der europäischen Bevölkerung vertreten müssen.
- showPaywall:
- false
- isSubscriber:
- false
- isPaid: