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Der frühere SPD-Vorsitzende Sigmar Gabriel am Rande einer Fraktionssitzung im Bundestag.

© Bernd von Jutrczenka/dpa

Veröffentlichte Telefonnummern: Politiker erhalten nach Datenklau rechte Drohanrufe

Die Veröffentlichung ihrer Telefonnummern hat für Spitzenpolitiker unangenehme Folgen: Sie erhalten böse Botschaften. Sigmar Gabriel hat einige notiert.

Von Robert Birnbaum

Die Daten-Attacke in den Weihnachtstagen wirkt sich mit einiger Verzögerung jetzt ernsthaft auf die Arbeitsfähigkeit von Politikern aus. Etliche Spitzenpolitiker, deren Kontaktdaten der 20-jährige Schüler aus Hessen im Internet veröffentlicht hatte, werden  von einer regelrechten Welle von Droh-Anrufen und Beleidigungen über SMS überschwemmt. 

Dahinter stecken offenbar zum Teil gezielte Kampagnen, bei denen bestimmte Anschlüsse in der Wutbürger-Szene verteilt werden. Stichprobenartige Nachfragen zeigen, dass ihre Smartphones für eine ganze Reihe prominenter Parteipolitiker praktisch unbrauchbar geworden waren – und sie deshalb die Mobilnummern wechseln mussten.

Das gilt zum Beispiel für die beiden Grünen-Vorsitzenden Annalena Baerbock und Robert Habeck. Die zwei tauchen mitsamt ihren – nunmehr ehemaligen – Mobilnummern in einem per Whatsapp verbreiteten Aufruf auf, in dem zum Telefonterror gegen sie und andere angestachelt wird. Die Folge: Nach der ersten Welle von Störanrufen rund um die Weihnachtstage erschienen zuerst seit Montag wieder vermehrt Anrufer mit unterdrückter Nummer auf den Displays von Spitzenleuten. Seither ergießt sich eine neue Flut.

Übel erwischt hat sie Sigmar Gabriel. „Wahnsinn!“, sagt der frühere SPD- Chef. „Ich bin ja viel gewohnt, aber das schlägt alles Erlebte.“ Er schätzt, dass es bei ihm mittlerweile mehrere hundert Unbekannte versucht haben, rund um die Uhr. „Wo ich mal rangegangen bin, war sofort klar: es gibt einen rechtsradikalen Hintergrund“, berichtet er.

Das ging zum Beispiel so, dass ein Anrufer „Herzliche Grüße von Ihren Freunden aus Halle“ ausrichtete. Gabriel bat um Auskunft, welche Freunde der Mann denn meinte. Die Antwort: „Die Sie als 50 Neonazis bezeichnet haben. Das war doch eine Lüge! Wir sind doch nette Bürger!“ Das bezog sich auf eine Wahlkampfveranstaltung in Halle 2017, die Rechtsextreme lautstark gestört hatten. „Das stimmt“, gab Gabriel dem Anrufer zurück, „es waren keine 50, sondern 150 Brüllaffen aus der Neonazis-Szene“. Dann legte er auf.

Zu lästigen Anrufen kamen offene Drohungen. Einige hat sich Gabriel notiert. „Sie haben die Flüchtlingspolitik zu verantworten. Das Volk wird Sie zur Rechenschaft ziehen“ lautete eine, „Passen Sie gut auf sich und Ihre Kinder auf, damit Ihnen nichts zustößt“ eine andere. Ein selbst ernanntes „Widerstandsnetzwerk des deutschen Volkes“ drohte einen „Tag der Abrechnung“ an. Als „Volksverräter“ musste er sich häufiger beschimpfen lassen, meist mit Bezug zur Flüchtlingspolitik, aber manchmal auch wegen anderer strittiger Themen wie den Diesel-Fahrverboten.

„Haben die Reichsbürger nicht doch recht?“

„Manchmal habe ich versucht, mit den Anrufern zu sprechen“, berichtet der frühere SPD-Vorsitzende. Doch das gelinge selten. „Meist wollen die den Namen nicht nennen, und wenn ich darauf dränge, legen die auf.“ Er machte aber auch eine Erfahrung, die Redakteuren im Umgang mit zornigen Leserbrief-Schreibern vertraut ist: „Dort wo es klappt, sind die Anrufer perplex.“ Dass auf der anderen Seite der Leitung kein virtueller Mülleimer steht, sondern ein echter Mensch, lässt manchen doch nicht kalt. Gabriel bekam dann oft „Propaganda in Frageformen“ zu hören: „Ist Deutschland wirklich souverän? Haben die Reichsbürger nicht doch recht?“

Der Sozialdemokrat hat, so wie andere auch, besonders krasse Fälle der Polizei gemeldet. Anfangs fand er es nicht so schlimm, dass seine Handynummer öffentlich wurde. Er wollte sich auch nicht von „rechten Netzaktivisten zu irgendetwas nötigen lassen“. Jahrelang stand ja sogar sein Festnetzanschluss in Goslar im Telefonbuch. Doch als immer mehr Aggressive den Service für seine Wähler missbrauchten, bat seine Frau um Löschung. Jetzt will er auch die Mobilnummer wechseln, „weil alle paar Sekunden ein Irrer anruft“.

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Wie groß das Problem noch wird, ist schwer abzuschätzen. Viele  Betroffene möchten ihre Namen lieber nicht in der Zeitung lesen, um die Aufmerksamkeit nicht zu steigern. In Parteien und Fraktionen gibt es bisher keinen Überblick, wie stark normale Abgeordnete in Mitleidenschaft gezogen sind, die nicht im vollen Rampenlicht stehen. In den ersten Sitzungen nach der Weihnachtspause nächste Woche dürfte das Ausmaß klarer werden.

Dann wird sich auch klären, ob alle mit Bordmitteln die Folgen der Attacke bewältigen können oder es Servicestellen braucht, in der Politiker neue Kontaktdaten abrufen können. Wenn auf einen Schlag sehr viele die Nummer wechseln müssen, geht die Mitteilung darüber an die geschätzten Kollegen schnell nur noch ins Leere.

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