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Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier.

© Bernd von Jutrczenka/dpa

Steinmeiers Versöhnungskurs: Präsident im Sprachlabor

Wie Frank-Walter Steinmeier Redepassagen in Hebräisch, Polnisch oder Italienisch einstudiert, um im Ausland Brücken der Versöhnung zu bauen.

Die Mitarbeiterin der Botschaft in Israel zittert mit, hat beide Hände an die Wangen gepresst, blickt gebannt auf den Bildschirm im Pressezentrum. Ob das gut geht? Frank-Walter Steinmeier redet. Auf Hebräisch, vor den Augen der Welt. In Yad Vashem, der zentralen Gedenkstätte für die Ermordung von sechs Millionen Juden.

Erst nickt sie zustimmend, „sehr gut“, sagt sie, dann verzieht sie das Gesicht, als hätte sie in eine Zitrone gebissen, ein kleiner Fehler. „Gepriesen sei der Herr“, beginnt der Bundespräsident in der ihm bisher völlig fremden Sprache. „Unser Gott, König des Universums, der uns das Leben gegeben und uns ernährt hat, und uns heute hier sein lässt.“ Es ist ein jüdischer Segensspruch aus dem Talmud, er drückt Dankbarkeit für neue und außergewöhnliche Erfahrungen aus.

Die Rede am 23. Januar ist der bisherige Höhepunkt in einer Reihe von sprachlichen Überraschungen des Bundespräsidenten im Ausland. Sie sind sein Stilmittel, um in Zeiten zunehmender Polarisierung und Entfremdung Erinnerungsreden an deutsche Verbrechen eine besondere Versöhnungs- und Respektnote zu verleihen. Steinmeier bricht damit in Jerusalem das Eis.

Den Rest der Rede hält er in Yad Vashem auf Englisch. Von Seiten der Gedenkstätte war ihm klargemacht worden, dass an diesem Ort der Erinnerung an den Holocaust die deutsche Sprache nicht angemessen sei. Als erstes Staatsoberhaupt aus dem Land der Täter, das hier reden darf, relativiert er nichts, spricht von der immerwährenden Verantwortung für das schlimmste Verbrechen der Menschheitsgeschichte, das keinen Schlussstrich kenne.

Nach der Rede kommen zwei KZ-Überlebende auf ihn zu. Sie waren erst dagegen, dass er hier reden darf. Nun danken sie ihm. Und der israelische Staatspräsident Reuven Rivlin umarmt ihn. Leider gibt es von diesem Moment kein Foto.

In fließendem Hebräisch

Aber Rivlin meldet sich später noch bei Twitter zu Wort. Auf Englisch schreibt er zu einem Videoausschnitt der Rede Steinmeiers: „In fließendem Hebräisch hat uns der deutsche Präsident Steinmeier bei der Zeremonie in Yad Vashem gewürdigt und emotional berührt.“ Dann fügt Rivlin auf Deutsch hinzu: „Danke“.

Als sich Steinmeiers Entourage nach der Rede, die Vertreter aus 48 Staaten, darunter Emmanuel Macron, Mike Pence, Benjamin Netanjahu, Prinz Charles und Wladimir Putin verfolgt haben, draußen wiedertrifft, fallen sich einige um den Hals. Was für ein Druck, hier zu bestehen. Steinmeier wirkt auf dem Rückflug von Jerusalem nach Berlin erleichtert wie selten.

Doch wie hat er das mit dem Hebräischen hinbekommen?

Spricht man mit Menschen aus seinem Umfeld, wird deutlich: Der Präsident hat nichts dem Zufall überlassen. Aus Schloss Bellevue wurde quasi das Sprachlabor Bellevue. Übersetzer des Auswärtigen Amtes haben den hebräischen Teil für ihn eingesprochen, immer und immer wieder hat sich Steinmeier die Audio-Aufnahmen angehört, dann nachgesprochen, und mit Muttersprachlern die Fehler korrigiert.

Man kennt das aus der Schule: Kopfhörer im Sprachlabor auf, zum Beispiel britische Muttersprachler anhören, ein Sprachgefühl entwickeln und dann selbst sprechen. Steinmeiers Zeitplan ist eng getaktet, aber mehrfach habe er die Hebräisch-Passagen so geübt, heißt es. Die Aufnahmen waren auch in Jerusalem dabei, wo er im King-David- Hotel noch einmal alles für die Rede durchgegangen ist.

Es war nicht die erste Rede, die Steinmeier als Präsident in einer anderen Sprache begonnen hat, aber die Wichtigste. Im August 2019 in Fivizzano in der Toskana hielt Steinmeier seine Rede in Erinnerung an ein SS-Massaker sogar komplett auf Italienisch. Er und seine Frau Elke Büdenbender machen regelmäßig Urlaub im italienischen Südtirol, Gäste, die sie etwa schon einmal in einem Weingasthof in Brixen getroffen haben, berichten von einem sehr gesprächigen, interessierten Präsidentenpaar – daher versteht er gut italienisch. Hinzu kommt ein besonderes Sprachgefühl, durch die lange Zeit als Außenminister hat er vor allem sein Englisch weiter verbessern können.

Wenn man an anfängliche Holprigkeiten wie beim des damals des englischen nur mäßig mächtigen neuen EU-Kommissar Günther Oettinger denkt, schlägt sich Steinmeier besser. In seiner Schulzeit, am heutigen Hermann Vöchting-Gymnasium in Blomberg im Kreis Lippe, hat er als Fremdsprachen Englisch, Latein und Französisch gelernt.

Erstmals hatte Steinmeier im Juni 2014 – damals als Außenminister – bei einer Gedenkfeier zum 70. Jahrestag eines von der Wehrmacht in Civitella verübten Massakers eine ganze Rede auf Italienisch gehalten, es war quasi die Probe für später. Partisanen hatten in der Dorfkneipe drei Deutsche erschossen, elf Tage später Soldaten der Division Hermann Göring zurückgeschlagen, sie erschossen Einwohner in ihren Häusern und töteten viele Menschen während eines Gottesdienstes. „Die Kirche konnte die Menschen nicht schützen. Sie wurden aus dem Gottesdienst gezerrt. Über 240 Menschen wurden umgebracht, vor allem Männer, aber auch Frauen und Kinder. Blut und Flammen färbten Civitella an jenem Tage rot“, sagte Steinmeier damals in passablem Italienisch – da mag die lateinische Vorprägung geholfen haben.

Melodie der Sprache

„Er kann gut die Melodie einer Sprache aufnehmen“, heißt es in Schloss Bellevue. Und was er wie sagt, ist Steinmeier wichtig. Schon als SPD-Fraktionschef überreichte er vor einem Interview erst einmal seine neuesten Reden – allerdings war in seinen Botschaften in ihm eigentlich fremden Sprachen bisher kein Satz für die Ewigkeit dabei wie Kennedys „Ich bin ein Berliner“ 1963 vor dem Rathaus Schöneberg.

Die neben der Rede in Yad Vashem schwersten Worte in fremder Sprache waren für ihn die im Morgengrauen des 1. September 2019 im polnischen Wielun. Hier begann durch den Angriff der Deutschen Wehrmacht der Zweite Weltkrieg. „Ich verneige mich vor den Opfern des Überfalls auf Wielun.

Ich verneige mich vor den polnischen Opfern der deutschen Gewaltherrschaft. Und ich bitte um Vergebung“, sagte Steinmeier im Beisein des polnischen Staatspräsidenten Andrzej Duda auf Polnisch. Zur selben Uhrzeit hatten 80 Jahre zuvor deutsche Kampfbomber Wielun angegriffen. Rund 1200 Menschen starben.

Der Angriff erfolgte kurz vor Beginn des Beschusses der Danziger Westerplatte durch das deutsche Marineschiff „Schleswig-Holstein“. Es war der Beginn eines Weltkrieges mit 55 Millionen Toten. Das alles ist kaum in Worte zu kleiden – im Bemühen keine Standardrede zu halten, kann das Wechseln in die Gastsprache helfen.

Im Mai stehen die Feierlichkeiten zu 75 Jahre Weltkriegsende an. Man darf gespannt sein: Vielleicht lernt Steinmeier bis dahin auch russische Redepassagen.

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