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Die Angeklagten (l und 4.v.l) sitzen vor Beginn des Prozesstages neben sitzen neben ihren Anwälten und Anwältinnen im Gerichtssaal im Strafjustizgebäude und verbergen ihre Gesichter. Wegen des Schmuggels von mehr als zwei Tonnen Kokain müssen sich zwei Männer im Alter von 58 und 59 Jahren vor dem Landgericht Hamburg verantworten.

© picture alliance/dpa/Christian Charisius

Richter gegen Videoaufzeichnung: Justizminister Buschmann will Prozesse dokumentieren

Marco Buschmann (FDP) will die Digitalisierung in der Justiz vorantreiben. Mit einem neuen Gesetzesentwurf dazu macht er sich nicht nur Freunde.

Stand:

Digitalisierung der Justiz, aber subito, das ist es, was allenthalben gefordert wird. Bundesjustizminister Marco Buschmann (FDP) kämpft dafür, diese Mammutaufgabe auch umzusetzen. Die Digitalisierung ist sein Herzensprojekt, wenige andere Themen lassen ihn so redselig werden.

Für die kommenden Jahre hat Marco Buschmann den Ländern 200 Millionen Euro für Projekte zur Digitalisierung ihrer Justizbehörden in Aussicht gestellt.

Darüber hinaus hat sein Ministerium einen Gesetzesentwurf vorgelegt, laut dem Hauptverhandlungen im Strafverfahren künftig aufgezeichnet werden sollen, nicht nur mit Bild, sondern auch mit Ton. Ein Schritt, den Justiz und Länder begrüßen dürften, oder? Weit gefehlt: Mit seinen Plänen hat Buschmann viele Richterinnen und Richter sogar regelrecht gegen sich aufgebracht.

Die mangelnde Sensibilität des Entwurfs für die Persönlichkeitsrechte der Verfahrensbeteiligten sei erstaunlich, sagte Sven Rebehn, Bundesgeschäftsführer des Deutschen Richterbundes, dem Tagesspiegel. Er befürchtet, dass Opfer und Zeugen eingeschüchtert und sogar von Aussagen abgeschreckt würden, wenn sie künftig gefilmt werden, und Sorge haben müssten, dass Mitschnitte den Weg in die Öffentlichkeit fänden.

Aufwendige und zeitraubende Dokumentationspflichten würden weiter in die Länge gezogen. Das schwächt das Vertrauen der Bevölkerung in eine leistungsfähige Strafjustiz.

Sven Rebehn, Bundesgeschäftsführer des Deutschen Richterbundes

Eine weitere Sorge des Richterbundes: Dass Verfahren durch die Dokumentationspflichten weiter in die Länge gezogen werden könnten. „Das würde das Vertrauen der Bevölkerung in eine leistungsfähige Strafjustiz schwächen.“ Ähnlicher Ansicht sind auch die Präsident:innen der Oberlandesgerichte.

In einem Beschluss der Präsidentinnen und Präsidenten der Oberlandesgerichte, des Kammergerichts, des Bayerischen Obersten Landesgerichts und des Bundesgerichtshofs lehnen sie den Gesetzesentwurf des Ministeriums geschlossen ab.

Das Vorhaben gefährde alle drei Maximen des Strafprozesses, heißt es darin: die Wahrheitsfindung, die Gerechtigkeit und den Rechtsfrieden. Kritik kam zuvor auch aus der Generalstaatsanwaltschaft. Sie äußerte die Befürchtung, dass Verfahrensbeteiligte nicht mehr frei sprechen würden, wenn sie aufgezeichnet werden würden.

Und auch die Länder schlagen Alarm. Nicht nur von den unionsgeführten Justizministerien, auch von den Ressorts mit SPD-, FDP- und Grünen-Hausspitze kommt Widerspruch. Mit der Dokumentation sei weder ein Mehrwert für die strafgerichtliche Hauptverhandlung im Allgemeinen, noch für die Verfahrensbeteiligten oder die Wahrheitsfindung im Besonderen verbunden, sagt die niedersächsische Justizministerin Kathrin Wahlmann (SPD).

200
Millionen Euro hat Marco Buschmann den Ländern für die Umsetzung der Digitalisierung in der Justiz zugesichert.

Zudem sei die audiovisuelle Aufzeichnung weder mit den geltenden europarechtlichen Vorgaben, noch mit dem verfassungsrechtlich verankerten allgemeinen Persönlichkeitsrecht oder den einfachgesetzlichen Vorschriften des Datenschutzes in Einklang zu bringen.

Eine digitale Dokumentation sei überfällig, findet Buschmann

Das Grünen-geführte Justizministerium in Thüringen empfiehlt ebenfalls, von dem Vorhaben Abstand zu nehmen. Die Digitalisierung dürfe kein Selbstzweck sein. Die bereits jetzt am Rande ihrer Belastbarkeit arbeitende Strafjustiz zu beschweren, würde einen kaum zu stemmenden erheblichen einmaligen Umsetzungsaufwand auslösen. Das Vorhaben käme einem Paradigmenwechsel für die ganze Zukunft gleich, heißt es aus Erfurt.

Günther Krings, der rechtspolitische Sprecher der CDU-Bundestagsfraktion, äußert harsche Kritik. „Die Ton- und Bilddokumentation von Strafprozessen ist dem deutschen Justizsystem nicht nur fremd, sondern würde Strafprozesse auch ohne Mehrwert in die Länge ziehen“, sagte er dem Tagesspiegel.

Wir bringen unsere Strafverfahren auf die Höhe der Zeit. Eine digitale Dokumentation der Hauptverhandlung ist überfällig.

Marco Buschmann, Bundesjustizminister.

Die einhellige Kritik der Praxis und der Länder solle sich der Justizminister zu Herzen nehmen und den Entwurf zurückziehen. „Ansonsten muss er sich den Vorwurf gefallen lassen, dass es hier einmal mehr nur um einen effekthascherischen Schnellschuss geht.“

Marco Buschmann sieht das anders. Eine digitale Dokumentation der Hauptverhandlung sei überfällig, kommentierte er den Gesetzesentwurf. „Wir bringen unsere Strafverfahren auf die Höhe der Zeit“, sagt der Justizminister.

Von der massiven Kritik an dem Vorhaben zeigt man sich im Bundesjustizministerium bisweilen unbeeindruckt. „Die eingegangenen Stellungnahmen nehmen wir selbstverständlich ernst und werden sie mit Blick auf die Erarbeitung des Regierungsentwurfs sehr sorgfältig auswerten“, sagte ein Sprecher dem Tagesspiegel.

Rückendeckung für den Vorstoß gibt es von den Grünen aus dem Bundestag. Die Transformation weg von handschriftlichen Notizen und hin zur audiovisuellen Aufzeichnung sei dringend notwendig und auch unausweichlich, um einen modernen Strafprozess zu gewährleisten, sagte Canan Bayram, Obfrau des Rechtsausschusses (Grüne), dem Tagesspiegel. „Die Art und Weise, wie in heutigen Strafverfahren protokolliert wird, stammt aus dem Jahr 1879.“

Mit den geplanten Neuerungen würden sowohl die Verfahrensrechte der Beteiligten gestärkt als auch die Richter:innen bei der Urteilsfindung unterstützt, meint Bayram. „Die im Gesetz vorgesehene Möglichkeit der Speicherung der Aufzeichnungen werden wir uns unter dem Aspekt des Datenschutzes und der Wahrung der Rechte aller Prozessbeteiligten genauer ansehen.“

Pro Videoverhandlung positionierte sich auch der Deutsche Anwaltsverein. Eine objektive und transparente Dokumentation der strafgerichtlichen Hauptverhandlung ist nicht nur überfällig – sie ist auch dem Stand der heutigen Technik angemessen, heißt es in seiner Pressemitteilung. In andere europäischen Ländern sei die audiovisuelle Aufzeichnung längst gang und gäbe.

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