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Eine Sporthalle in Chisinau/Moldau, in der Flüchtlinge aus der Ukraine untergekommen sind.

© IMAGO/ZUMA Wire

Putins nächstes Opfer?: „Im Gegensatz zur Ukraine hat Moldau keine militärischen Optionen“

Der Parlamentarische Staatssekretär Niels Annen war gerade in Moldau. Dort ist die Angst groß – und die Flüchtlingszahlen aus der Ukraine überfordern das Land.

Der SPD-Politiker Niels Annen (48) war von 2018 bis 2021 Staatsminister im Auswärtigen Amt, seit 2021 ist er Parlamentarischer Staatssekretär im Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung. Er war vor dem russischen Überfall in der Ukraine, wo Deutschland seit 2014 rund zwei Milliarden Euro an Hilfen investiert hat.

Nun hat er in der Republik Moldau besucht - und berichtet im Tagesspiegel-Interview von enormen Sorgen - und fordert Unterstützung bei der Bewältigung der Flüchtlingswellen aus der Ukraine.

Herr Annen, Sie waren gerade in der Republik Moldau, wie groß ist dort die Angst, das nächste Opfer Putins zu sein?
Moldau gehört zu den ärmsten Ländern in Europa. Die Präsidentin Maia Sandu setzt Reformen um und bekämpft Korruption; die aktuelle Regierung ist vielleicht die beste Regierung, die das Land je hatte.

Dieser Staat verfügt kaum über wirtschaftliche Ressourcen und hat kein nennenswertes eigenes Militär – man fürchtet, das nächste Ziel Putins zu sein, auch wegen der gemeinsamen Grenze mit der Ukraine. Aber die Probleme fangen schon damit an, dass das Land extrem abhängig von russischem Gas ist. Auch ein großer Teil der Stromversorgung wird durch Gasverstromung sichergestellt.

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Der Vertrag mit Gazprom, über den Moldau Gas zum Vorzugspreis bezieht, läuft Ende März aus. Danach können die Preise monatlich angepasst werden, je nach Entwicklung an den Märkten. Zudem gibt es nur ein Kraftwerk, und das liegt in Transnistrien. Dieser Teil der Republik Moldau wird von einem Regime kontrolliert, das nur von Russland gestützt wird. Dort sind aus der Zeit der Sowjetunion immer noch russische Truppen stationiert. Die Situation in Moldau ist also extrem volatil und angespannt.

Niels Annen, Parlamentarischer Staatssekretär im Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung.
Niels Annen, Parlamentarischer Staatssekretär im Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung.

© imago/Jürgen Heinrich

Könnten deutsche Waffenlieferungen auch hierhin helfen?
Nein, und das weiß die moldauische Regierung auch. Im Gegensatz zur Ukraine hat Moldau keine militärischen Optionen. Bei zweieinhalb Millionen Einwohnern gibt es zwar eine Grenzpolizei, aber kein nennenswertes Militär. Im Land selbst, das klingt fast zynisch, hört man: Letztlich brauchen die Russen gar keine Invasion, weil sie so viele Möglichkeiten haben, Einfluss auf die Politik zu nehmen, zum Beispiel durch den latenten Konflikt mit Transnistrien und durch die Gaspreise. Dies alles setzt die Regierung unter Druck.

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Das hört sich ziemlich aussichtlos an.
Klar ist, Moldau braucht unsere Unterstützung. Es gilt zu prüfen, wie man die Lage makroökonomisch stabilisieren kann. Grundlegende Dinge, wie die Versorgung mit Wasser und Lebensmitteln sowie die Gaspreise muss man so in den Griff bekommen, dass die Stimmung im Land nicht gegen die Regierung umschlägt. Moldau müsste zum Beispiel sein Stromnetz noch stärker an das rumänische anschließen, damit die Energieversorgung unabhängiger von Russland wird.

Auch für den Bezug von Erdgas gilt es, Alternativen zu finden. Zudem ist die Energieeffizienz bisher schlecht. Da kann man unheimliche Potenziale heben. Aber das braucht Zeit. Die Bundesregierung ist über das Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung bereits seit Jahren engagiert. Diese Programme kann man ausbauen.

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Gemessen an der Einwohnerzahl nimmt kaum ein Land derzeit so viele Menschen aus der Ukraine auf wie Moldau.
Wir dürfen die Kommunen dort nicht alleine lassen. Wenn jetzt die Geflüchteten Geld vom UNHCR oder der internationalen Gemeinschaft bekommen und wir uns das Durchschnittseinkommen in Moldau anschauen, kann das bei aller vorhandenen Solidarität Widerstände hervorrufen. Da muss man kein Prophet sein.

Zunächst muss vor allem bei der Unterbringung und der Wasserversorgung geholfen werden. Die Fluchtbewegungen haben ja erst vor zehn Tagen begonnen. Wir haben jetzt noch keinen Masterplan, aber ich bin mir sicher, dass sich im Bereich der humanitären Hilfe etwas bewegen wird.

US-Außenminister Anthony Blinken mit der Präsidentin der Republik Moldau, Maia Sandu.
US-Außenminister Anthony Blinken mit der Präsidentin der Republik Moldau, Maia Sandu.

© IMAGO/UPI Photo

Aber unterm Strich kann der Westen auch hier nicht richtig viel machen und ist dem Handeln Putins ausgeliefert…
Die Bedeutung von Besuchen westlicher Politiker sollte nicht unterschätzt werden. US-Außenminister Anthony Blinken war auch gerade erst in Moldau. Das sendet neben der öffentlichen Unterstützung für die moldauische Regierung zudem eine klare Botschaft an Russland. Uns eint die Hoffnung, Putin von weiteren völkerrechtswidrigen Angriffen abzuhalten. Aber wir machen uns nichts vor: Die Lage ist auch in Moldau absolut ernst.

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