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Wurde nun verboten: die geplante Demo gegen die Pandemiemaßnahmen in Berlin am Wochenende.

© imago images/Müller-Stauffenberg

„Querdenker"-Anhänger mischen Facebook-Gruppe auf: Online-Aufrufe von rechten Verschwörungstheoretikern sorgen für Irritation

Die Großdemo gegen die Pandemiemaßnahmen ist abgesagt. Doch die Diskussion geht weiter. Im Vorfeld kommt es in einer Facebook-Gruppe zu einem Eklat.

Sie wollten eigentlich aus ganz Deutschland anreisen, um gegen die Corona-Maßnahmen zu protestieren. Titel der geplanten Großdemo: „Versammlung der Freiheit“. Zehntausende waren angemeldet. Jetzt, nur wenige Tage vor dem Massenevent, haben die Berliner Behörden einen Riegel vorgeschoben. Bei dem zu erwartenden Teilnehmerkreis sei mit Verstößen gegen die geltende Infektionsschutzverordnung zu rechnen, teilte Innensenator Andreas Geisel (SPD) am Mittwoch mit.

Die Veranstaltung war schon im Vorfeld hoch umstritten – das zeigt auch ein ungewöhnlicher Vorfall im Netz. Rechte Verschwörungstheoretiker, die Thesen von der „Versklavung der Bevölkerung verbreiten“, hatten sich in eine Facebook-Gruppe gemischt. Über „Mitfahrgelegenheit von und nach Berlin (auch Bahn)“ hinterlassen Menschen aus ganz Deutschland sonst Anfragen, um von A nach B zu kommen. Oder jemanden mitzunehmen.

Vor drei Tagen aber, am 23. August, postete ein Nutzer dort ein grellgelbes Plakat mit schwarzer Schrift. „29. 8.2020 Großdemo Berlin“ stand da in fetten Buchstaben. Dahinter: „Wir lassen uns das nicht mehr gefallen und fahren gemeinsam nach Berlin.“ Was „das“ bedeutet, wird schnell klar: gemeint sind die Maßnahmen zur Bekämpfung der Pandemie. Abstandsregeln und Maskenpflicht.

Dass ein solcher Aufruf in einer Gruppe eines sozialen Netzwerks stattfindet, die inhaltlich nichts oder wenig mit der Pandemie zu tun hat, ist ungewöhnlich. Das bestätigt auch der Social-Media-Experte  Fabian Prochazka. „Das Phänomen wäre mir neu“, sagt er. Gemeint ist der Zugriff von Verschwörungstheoretikern auf Portale, die sonst keine politischen Botschaften verbreiten.

Nutzer reagieren irritiert auf Beiträge von Verschwörungstheoretikern

Umso irritierter reagieren die Nutzer. Dort wo sonst etwa „Suche Mitfahrgelegenheit von Berlin nach Frankfurt“ steht, streiten sie sich nun über den Umgang mit der Pandemie. Einige weisen darauf hin, dass das Virus Menschen töte, „dass es nicht um eine Glaubensfrage“ gehe.

Andere richten eindringliche Appelle an die Administratoren, Hetz-Inhalte zu löschen. So schreibt etwa ein Nutzer: „Wenn in so einer Gruppe die Beiträge von Verschwörungsgläubigen nicht schnell genug gelöscht werden, wird die Gruppe gekapert.“

Anderen unter den mehr als 22.000 Mitgliedern der Gruppe reißt der Geduldsfaden: „Ich möchte weder absichtlich noch versehentlich neben einem Maskenverweigerer, Coronaleugner oder Reichsbürger/Faschisten im Auto sitzen. Deshalb muss ich diese Gruppe leider verlassen“, schreibt eine Userin.

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Sie und andere werfen den Betreibern der Gruppe vor, sich mit den Corona-Leugnern gemein zu machen. Der Poster des grellgelben Plakats appelliert etwa auf seiner Facebook-Seite an die „Patrioten und Widerstandskämpfer“, sich an der nun kurzfristig abgesagten Berlin-Parade am Wochenende zu beteiligen. Man wolle bei der Gelegenheit „die Freiheit und den Rücktritt der Regierung“ fordern.

In einer längeren Erklärung auf der Gruppenseite nehmen die Administratoren zu dem, was sie „Corona Polit-Diskussion in der MfG Fb Gruppe“ nennen, Stellung. So schreiben sie unter anderem, dass sie noch bis zum 31. August vorhätten, „das Tohuwabohu um die Demo-Anreisen (…) gewähren zu lassen“. Als eine Art Experiment. Man sei politisch zwar klar links verortet, würde sich aber wünschen, dass „linke Organisationen, Gewerkschaften, Künstlerverbände zu Demos gegen die derzeitige Corona-Handhabung“ aufrufen würden. Das Plakat zum umstrittenen Demo-Aufruf ist mittlerweile gelöscht. So wie auch andere Inhalte der vergangenen Tage.

Kommunikationswissenschaftler über Facebook-Eklat: „kurioser Fall“

Von einem „kuriosen Fall“ spricht der Stuttgarter Kommunikationswissenschaftler Professor Wolfgang Schweiger. Eine derartige Dynamik sei auf einem eher von Jüngeren besuchten und traditionell linksorientierten Anbieterformat ungewöhnlich. Er sieht darin „ein Zeichen von Polarisierung“, ein Symptom dafür, dass sich innerhalb der Gesellschaft „themenübergreifend Lager“ bildeten. Ein Beispiel dafür sei, dass sich Rassisten und Rechtsradikale etwa mit Tierschützern zusammentun, sagt der Experte.

Schweiger weist im Zusammenhang mit Facebook darauf hin, dass das Recht auf freie Meinungsäußerung nach Artikel 5 des Grundgesetzes auch das Recht auf Falschaussagen beinhalte. Die soziale Plattform sei nur bei Gesetzesverstößen dazu verpflichtet, Inhalte zu löschen. An dieser Stelle müssten die Gruppenadministratoren die gewünschten Grenzen ziehen.

Die Demo am 1. August musste wegen Verstößen gegen den Infektionsschutz beendet werden.
Die Demo am 1. August musste wegen Verstößen gegen den Infektionsschutz beendet werden.

© imago/Müller-Stauffenberg

Erst vor ein paar Tagen wurde bekannt, dass Facebook fast 800 Gruppen und dutzende Seiten der Verschwörungstheorien-Bewegung QAnon gelöscht hat. Die Bewegung verbreitet unter anderem rechtsextremes Gedankengut. Der Social-Media-Experte Prochazka sagt, dass Facebook mit dem Filtern der Inhalte heillos überfordert sei. Ob sich das künftig ändern werde, müsse man abwarten.

Streit in Facebook-Gruppe geht weiter

Indes geht der Corona-Streit in der Mitfahrgelegenheitsgruppe weiter. Mitunter auch zu der Frage, ob Mitfahrer während der Fahrt Masken tragen sollten oder nicht. Die Betreiber solcher Plattformen handhaben es unterschiedlich. Der größte Online-Anbieter Blablacar teilt auf Tagesspiegel-Anfrage mit, dass das Unternehmen seinen Nutzern ausdrücklich empfehle, „den behördlichen Anweisungen zu folgen und eine Maske zu tragen“.

Über den gesamten Buchungsprozess hinweg würden die Mitglieder auf die Maskenpflicht und die allgemeinen Abstands-und Hygieneregeln hingewiesen, schreibt das Unternehmen. Ein einfacher Selbstversuch zeigt: weit und breit kein Hinweis auf Infektionsschutzregeln, auch nicht bei einer vermeintlichen Buchung oder bei Veröffentlichung eines Angebots.

[Verbot des "Querdenker"-Protests: Lesen Sie hier einen Kommentar, warum die Demo gegen die Coronamaßnahmen in Berlin nicht verboten werden sollte.]

Blabacar-PR-Manager Mats Joosten schreibt, dass man „leider keinen Einfluss auf die Umsetzung der Maskenpflicht in den jeweiligen Fahrgemeinschaften“ habe. Hinweise auf Verstöße würden aber verfolgt, indem man die Personen, die sich nach Aussagen von Nutzern nicht daran gehalten hätten, kontaktiere.

Im Falle des Online-Anbieters Clickapoint, der neben Frachtbeförderung auch Mitfahrgelegenheiten anbietet, gibt es weder Kontrollen noch direkte Hinweise für Mitglieder. Ein Sprecher teilt auf Tagesspiegel-Anfrage mit, dass man die Verantwortung zur Einhaltung der Infektionsschutzregeln den Anbietern von Fahrten überlasse.

So wie die Administratoren des Mitfahrgelegenheitsforums es noch bis Ende des Monats den Kommentatoren überlassen wollen, ob sie zur Teilnahme an Anti-Corona-Demos aufrufen wollen oder nicht. 

Fatima Abbas

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