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Ein überfülltes Schlauchboot im Mittelmeer. Im Hintergrund ein Schiff der europäischen Grenzschutzagentur Frontex.

© imago images/Pacific Press Agency

Recherche von Spiegel, Report Mainz und Lighthouse: Griechische Küstenwache setzt Flüchtlinge auf dem Mittelmeer aus

Wiederholt sind Flüchtlingsboote illegal in der Ägäis ausgesetzt worden. Frontex behauptet, davon nichts mitzubekommen. Könnten auch deutsche Grenzschützer beteiligt sein?

Die griechische Küstenwache setzt Medienberichten zufolge offenbar Bootsflüchtlinge im Mittelmeer auf aufblasbaren Rettungsinseln aus. Das ergaben gemeinsame Recherchen von „Report Mainz“, „Lighthouse Reports“ und dem „Spiegel“.

Mehreren Augenzeugenberichten und Videos zufolge sollen mehrere Fälle dokumentiert sein, in denen die griechische Küstenwache zunächst eine Rettungsinsel mit Geflüchteten durch die Ägäis zieht, aber nach einiger Zeit das Tau löst und die Menschen auf dem Meer zurücklässt.

Laut „Spiegel“ seien diese Vorkommnisse keine Einzelfälle, sondern Teil eines Systems.

Dazu wurden dutzende Videos forensisch analysiert, mit Geodaten abgeglichen und mit Aussagen von Augenzeugen gegengeprüft. Neben dem Einsatz von Schusswaffen wurden auch wiederholt die Motoren der Schlauchboote zerstört, um die Schiffe manövrierunfähig zu machen.

Maskierte Männer sollen Motoren zerstört haben

Am 4. Juni attackierten einer Videoaufnahme zufolge maskierte Männer in der Ägäis ein Flüchtlingsboot. Aufgrund verschiedener Merkmale hätten die Journalisten das Boot „zweifellos“ dem griechischen Küstenwachenschiff ΛΣ-080 zuordnen können. Ein auf Facebook veröffentlichtes Video eines afghanischen Geflüchteten machte letztendlich das deutsche Rettungsschiff „Berlin“ auf die Seebrüchigen aufmerksam.

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Die Bundeswehr teilte mit, es habe Gefahr für Leib und Leben der Schiffsbrüchigen bestanden, weswegen man die Menschen an Bord geholt habe. Einen vorherigen Angriff wollen die Soldaten nicht beobachtet haben.

Ob die Bundeswehr, die als Teil der Frontex-Mission „Poseidon“ gemeinsam mit 600 weiteren europäischen Grenzschützern zur Unterstützung der griechischen Kollegen vor Ort ist, die illegalen „Push-Backs“ toleriert oder sogar unterstützt, ist nicht bekannt. Laut Spiegel soll sich eine dänische Crew kürzlich einem solchen Einsatz verweigert haben.

In der Vergangenheit kam es immer wieder zu ähnlichen Vorfällen auf dem Mittelmeer. Der griechischen Küstenwache wurde vorgeworfen, mit völkerrechtswidrigen Pushbacks die Geflüchteten zurück auf die Hoheitsgewässer der Türkei zu drängen. Die Vorgehensweise verstößt auch gegen die EU-Grundrechtscharta, nach der Schutzsuchende das Recht auf ein individuelles Asylverfahren haben.

Pushbacks laut EU-Charta illegal - was weiß Frontex?

Über die Frage, inwieweit Frontex über die Pushbacks informiert sagt der SPD-Europaabgeordnete Dietmar Köster auf Tagesspiegel Anfrage, Frontex habe in einer internen Sitzung die Vorkommnisse bestätigt. Die Grenzschutzagentur sei daraufhin zurückgerudert und habe von einem „Missverständnis“ gesprochen. „Frontex ist nicht bereit, die Vorkommnisse offensiv aufzuklären“, sagte er. Aktuell habe sich in der Ägäis ein neuer möglicher Pushback ereignet, der von einem deutschen NATO-Schiff beobachtet worden war. Dass dort das Völkerrecht gebrochen wurde, sei „offensichtlich“.

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„Wir hatten gerade eine Plenarsitzung im Europäischen Parlament zu Black Lives Matter, in der sich Kommissionspräsidentin von der Leyen gegen Rassismus ausgesprochen hat“, sagte der 63-Jährige. „Diese Pushbacks sind allerdings extrem rassistisch. Europäer in Seenot würden wir sofort retten – Nicht-Europäer scheinbar nicht.“

Ein Flüchtling, eingehüllt in Wärmefolie, ist auf der griechischen Insel lesbos angekommen.
Ein Flüchtling, eingehüllt in Wärmefolie, ist auf der griechischen Insel lesbos angekommen.

© imago/ZUMA Press

Die griechische Küstenwache bestreite die Vorwürfe, berichteten die Medien. Die Beamten würden keine Masken tragen und sich stets an geltendes Recht halten.

In Griechenland wurde aufgrund der türkischen Grenzöffnungen Ende Februar die Rechte von Asylsuchenden massiv beschnitten. Am 1. März kündigte die konservative Regierung um Ministerpräsident Kyriakos Mitsotakis an, das Asylverfahren für Schutzbedürftige für einen Monat auszusetzen. Infolge der Coronakrise wurden die Grenzen nach Griechenland am 18. März wieder geschlossen. Die Geflüchteten müssen sich nun nach ihrer Rückkehr in die Türkei in eine zweiwöchige Quarantäne begeben. (mit AFP)

[In einer früheren Version dieses Textes hatten wir geschrieben, dass es zu einer Kooperation zwischen türkischer und griechischer Küstenwache gekommen sei. Wie uns Der Spiegel mitteilte, seien diese Aussagen nicht zu belegen. Wir haben die Passage geändert.]

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