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Herr hilf. Kanzlerin Merkel und Innenminister Seehofer

© dpa/Kay Nietfeld

Regierungskrise um Flüchtlingspolitik: Zerreißt es die Union im Asylstreit?

Die CSU wütet über die Zugeständnisse Merkels an Macron. Neben der Asylpolitik geht es plötzlich auch um Europa. Die Frage ist, was Seehofer jetzt noch in der Hand hat.

Von Robert Birnbaum

Man kann die Sache zum Beispiel so sehen: Der eine Konfliktherd brennt noch lichterloh, da lodert es schon am nächsten Ende auf. Angela Merkel und Emmanuel Macron haben sich kaum die Hand zum Abschied im Regierungsschlösschen Meseberg gedrückt, Macron hat kaum versichert, dass er Merkel bei einer europäischen Flüchtlingspolitik beistehe, da erklärt die CSU den nächsten Krieg. Oder, um in der Reihenfolge genau zu bleiben: Die deutsch-französische Erklärung von Meseberg bringt Horst Seehofer und die Seinen auf. Noch am Dienstagabend fordern sie eine Sitzung des Koalitionsausschusses.

Den Bayern passt einfach die ganze Richtung nicht. „Eurozonen-Haushalt gegen Hilfe bei den Flüchtlingen, das ist der Deal“, schimpft einer aus der CSU- Spitze. „Wir wollen aber keine Vergemeinschaftung der EU- Finanzen!“ Ein eigener Haushaltstitel für Investitionen in den 19 Eurozonen-Länder, womöglich auch noch finanziert durch eine eigenständige europäische Finanztransaktionssteuer – der bayerische Ministerpräsident Markus Söder wittert gleich einen „Schattenhaushalt“.

Auch CSU-Haushältern wie dem Mittelstandspolitiker Hans Michelbach ist der Plan prinzipiell zuwider. „Davon haben die Länder nichts, die den Euro nicht haben“, sagt Michelbach, „das spaltet Europa nur weiter.“ Mit dem Koalitionsvertrag sei die Erklärung nicht vereinbar, und mit dem, was in der Unionsfraktion besprochen worden sei, schon gar nicht.

Bemühen um Freundlichkeit

Selbst der Chefhaushälter der Unionsfraktion, der Mecklenburger Eckard Rehberg (CDU), bleibt vorsichtig. „Im Wesentlichen“ lägen die deutsch-französischen Beschlüsse auf der Linie der bekannten Überlegungen der Kanzlerin. Aber man müsse sich die Begründung für neue EU-Geldtöpfe schon noch genau anschauen. Das lässt Merkels Antwort auf eine Journalistenfrage, ob die eigenen Leute ihren Schritt auf den Franzosen Macron zu mitmachen, zumindest forsch erscheinen. „Ich kann ein ganz klares Ja dazu sagen, dass alles, was wir hier vereinbart haben, auch die Unterstützung finden wird“, versicherte die Kanzlerin.

Anderntags sitzen Merkel und Seehofer nebeneinander in Berlin bei der Gedenkstunde für die Opfer von Flucht und Vertreibung und bemühen sich um Freundlichkeit. Seehofer dankt Merkel für ihre Schirmherrschaft, erinnert in bewegenden Worten an die Leiden der Heimatvertriebenen und zieht selbst die Parallele zur Gegenwart: „Wer das Schicksal der Vertriebenen kennt, kann auch nachempfinden, was die Flüchtlinge unserer Tage erlebt haben und leidvoll erfahren haben.“ Humanität, sagt der Innenminister, müsse „am Anfang unseres Denkens“ stehen.

Er hört später zu, wie Merkel als Hauptrednerin bekräftigt: „Wie man es dreht und wendet, Flucht und Vertreibung ist eine europäische Herausforderung“, und dass es „nicht gut gehen“ würde, wenn jeder in Europa auf eigene Faust handeln würde. Merkel sagt das mit der freundlichen Gelassenheit von jemand, der sich auf gutem Weg sieht. Macron hatte ihr zugesichert, dass sein Land in Frankreich schon registrierte Flüchtlinge zurücknehmen wird. Am Sonntag sehen sich beide wieder bei einem informellen Sondergipfel für alle interessierten EU-Mitglieder. Mit dem Durchbruch zur großen Gesamtlösung rechnet niemand, auch wenn Ratspräsident Donald Tusk dort erneut für die Idee von Asyl-Meldezentren außerhalb Europas werben will.

Söder ist schon in Siegerpose

Aber für eine praktische Absprache über die Zuständigkeit für Asylverfahren in Europa nebst geordneter Rückführung könnte es in Brüssel reichen. Söder, der sich in Linz mit dem österreichischen Regierungschef Sebastian Kurz trifft, bezieht vorsichtshalber schon die Ausgangsstellung für einen Abzug vom Schlachtfeld in Siegerpose: „Ohne die klare Position Bayerns würde sich Berlin nicht so schnell bewegen wie jetzt!“

Wir schauen dann mal bei Neuwahlen, ob Seehofers Träume [...] dann noch funktionieren. Denn es gibt ein weiteres Merkmal in der CSU, das sich durchzieht, auch durch die Parteigeschichte. Sie haben sich noch immer überschätzt.

schreibt NutzerIn alleachtung

Auf dem neuen Schlachtfeld ist die Lage noch unübersichtlich, auch weil es dort um sehr komplizierte Details geht. Michelbach vermisst in der Meseberg-Erklärung zum Beispiel die Zusicherung, dass bei einer Fortentwicklung des Euro-Rettungsfonds ESM zum Europäischen Währungsfonds die Mitsprache des Bundestags garantiert wird. Seehofer stößt sich am Rande des Vertriebenen-Gedenkens obendrein an Überlegungen für eine Art europäische Krisenfall-Arbeitslosenversicherung, auch wenn es in dem Papier heißt, dass die ohne Transferzahlungen auskommen solle. Aber vorrangig stellt der CSU-Vorsitzende die deutsch-französische Verabredung als eine Art Alleingang der Kanzlerin hin. „Ich war nicht informiert“, kritisiert Seehofer. Dabei war er selbst in Meseberg, freilich nur als einer von vielen Ministern, nicht bei den Chefs.

So wird sich am Dienstag ein Koalitionsgipfel auch mit der Beinfreiheit der Kanzlerin befassen. Die SPD hatte das Treffen schon gefordert wegen des Unionskrachs über Zurückweisungen.

Auf dem neuen europäischen Schlachtfeld sehen sich die Sozialdemokraten gerüstet. In den Koalitionsvertrag haben sie „spezifische Haushaltsmittel“ für Strukturmaßnahmen in der Eurozone hineinverhandelt, obendrein ausdrücklich mit Perspektive auf einen „künftigen Investivhaushalt in der Eurozone“. Was den Bundestag und seine Rechte angeht, versichert das Finanzministerium von Olaf Scholz (SPD) auf Anfrage gerne, die stünden natürlich nicht zur Disposition.

Da bleibt der CSU nicht mehr so viel Munition. Seehofer wirft wenigstens noch eine Knallgranate aufs andere Schlachtfeld: Die vereinbarte Obergrenze für Flüchtlinge könnte in diesem Jahr „erreicht oder sogar überschritten werden“. Er sagt das just als Kommentar zu der Mitteilung seines Hauses, dass die Zahl der Asylbewerber seit Jahresanfang erneut und um 18 Prozent gesunken ist.

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