
Soziale Gerechtigkeit: Rote, Grüne und der andere Blick aufs Soziale
Ob Ehegattensplitting oder Rente mit 67: Die Wunschpartner sind sich in vielem einig, doch in manchem gar nicht. Ein Überblick.
- Sabine Beikler
- Katrin Schulze
Berlin - Die SPD will ihren Bundestagswahlkampf auf den Kampf gegen die soziale Spaltung der Gesellschaft konzentrieren. Parteichef Sigmar Gabriel sagte am Sonntag vor einer Klausur der Parteispitze in Potsdam, die SPD stelle das Berufs- und Alltagsleben der Menschen in den Mittelpunkt. Im Fall eines Wahlsiegs im Bund will die SPD die Mittel für sozialen Wohnungsbau und Stadtentwicklung von jährlich zwei auf fünf Milliarden Euro erhöhen. Man wolle verhindern, „dass die Mittelschicht zerrieben wird“. Doch die „Riesenchance“ auf einen Wechsel, die Gabriel kürzlich sah, wird auch vom Konsens mit den Grünen in sozialen Fragen abhängen – und der Schlüssigkeit der Konzepte.
ARBEIT
Mindestlohn
Als ziemlich sicher gilt, wie sich die Sozialdemokraten zum Thema Mindestlohn verhalten werden, ist doch der Kanzlerkandidat da schon vorgeprescht. Im Falle eines Wahlsieges werde die Einführung eines flächendeckenden gesetzlichen Mindestlohns zu den ersten Maßnahmen gehören, sagte Peer Steinbrück. In seiner Fraktion gehen sie davon aus, dass ein Mindestlohn von 8,50 Euro die Einkommenssituation von fünf Millionen Menschen verbessern könnte. Die Grünen fordern ebenfalls die Einführung eines gesetzlichen Mindestlohns von mindestens 8,50 Euro und mehr Möglichkeiten, Branchenlöhne, die über dem Mindestlohn liegen, allgemeinverbindlich erklären zu lassen. Grundsätzlich wollen sie die Minijobs reformieren. Aber ein Konzept fehlt noch, wie Minijobs reduziert werden beziehungsweise stärker in existenzsichernde Beschäftigung münden können.
Frauenquote
Die Grünen fordern seit Jahren die Einführung gesetzlicher Mindestquoten für Frauen bei der Besetzung von Aufsichtsräten, die zunächst bei 20 Prozent liegen und schrittweise auf 40 Prozent erhöht werden soll. Auch die SPD fordert eine gesetzliche Quote von mindestens 40 Prozent für Frauen in Aufsichtsräten und Vorständen.
Familie
Ehegattensplitting
Ein heikler Punkt für die SPD. Nicht nur Schwarz-Gelb kritisiert die Pläne hart, auch mit den Grünen könnte es hier Probleme geben. Denn die Sozialdemokraten setzen auf eine gänzliche Abschaffung des Ehegattensplittings für künftige Ehen. So soll jeder seine Einkommensteuer zahlen, als sei er solo. Eine Erweiterung des derzeitigen Splittings auf Familien mit Kindern, wie es die Union bevorzugt, lehnt die SPD dagegen ab. Die Abschmelzung des Ehegattensplittings ist ein wichtiges Vorhaben der Grünen. Bis auf einen steuerlich absetzbaren gesetzlichen Grundfreibetrag von derzeit rund 8000 Euro wird die Individualbesteuerung eingeführt. Noch offen ist, wie langjährige Ehepaare besteuert werden sollen. „Die Biografien vieler Paare sind schon geschrieben“, stellten die Grünen in ihrer Weimarer Erklärung im Januar fest. Möglich ist, dass sie den Splittingvorteil bei maximal 1300 Euro deckeln. Die Steuermehreinnahmen durch die Individualbesteuerung sollen wiederum den Einstieg in die Kindergrundsicherung oder arbeitsmarktpolitische Instrumente zur Reform der Minijobs finanzieren.
Kindergeld
Ein komplett neues Konzept hat die SPD vorgeschlagen. Die Unterstützung soll sich nach dem Einkommen der Eltern richten. Zwar ist weiterhin geplant, dass es für die ersten beiden Kinder 184 Euro, für das dritte 190 und für jedes weitere Kind 215 Euro gibt. Familien mit einem Bruttoeinkommen bis 3000 Euro sollen aber einen Aufschlag bekommen. Sie erhielten dann je nach Einkommen bis zu 324 Euro pro Kind. Damit würden der bisherige Zuschlag für Geringverdiener und das alte Kindergeld zusammengeführt, der Kreis der Anspruchsberechtigten erweitert.
Diesem Modell stehen die Grünen äußerst skeptisch gegenüber. Statt Ehen durch das Ehegattensplitting zu bevorzugen, wollen die Grünen Kinder bevorzugt fördern und schlagen die Einführung einer Kindergrundsicherung vor. In der Diskussion ist ein Beitrag in Höhe von 300 Euro monatlich. Durch die Kindergrundsicherung und die Abschaffung der Kinderregelsätze soll auch der „Kinderzuschlag“ in Höhe von 400 Millionen Euro überflüssig werden.
Soziales
Rente
Die große Koalition beschloss 2007 die schrittweise Anhebung des Renteneintrittsalters auf 67. Mittlerweile aber plädiert die SPD dafür, diese Regelung auszusetzen. Sie soll erst in Kraft treten, wenn mindestens die Hälfte der älteren Arbeitnehmer sozialversicherungspflichtig beschäftigt ist. Überhaupt hat die Partei im Hinblick auf den Wahlkampf weitreichende Rentenversprechen abgegeben. Dazu gehört eine Mindestrente von 850 Euro für langjährig Versicherte und die stufenweise Anhebung der Ost-Renten bis 2020 auf Westniveau.
Im Gegensatz zur SPD wollen die Grünen die Rente mit 67 nicht aussetzen. Rentner mit mindestens 30 Versicherungsjahren sollen ab einem festzulegenden Stichtag einen gesetzlichen Anspruch auf eine steuerfinanzierte Garantierente haben, die mindestens 850 Euro betragen soll. Die Kosten schätzen die Grünen auf anfänglich 250 Millionen Euro; sie könnten bis 2030 auf fünf Milliarden Euro ansteigen. „Präventive“ Maßnahmen sollen eine Kostenexplosion verhindern. Demnächst soll ein Konzept vorliegen, wie auch Selbstständige in die Rentenversicherung einzahlen sollen.
Bürgerversicherung
Schon auf dem Bundesparteitag im Jahr 2011 hat die SPD die Bürgerversicherung verabschiedet, also ein Versicherungssystem für alle. Damit soll das Zwei-Klassen-System im Gesundheitswesen abgeschafft werden. „Nur in der Konstellation Rot-Grün wird es eine Bürgerversicherung für Gesundheit und Pflege geben“, sagt SPD-Vize Schwesig. „Die Privatisierung, die von Schwarz-Gelb aufrechterhalten wird, entspricht nicht unserer Vorstellung von Gerechtigkeit. Wir wollen ein System, in das alle gemeinsam zahlen: Arbeitgeber und Arbeitnehmer, Reiche und Arme, Gesunde und Kranke.“
Die Grünen wollen eine Bürgerversicherung in Gesundheit und Pflege einführen, an der sich alle Einkommensschichten beteiligen sollen. Kinder bleiben kostenlos krankenversichert, für Ehepaare und eingetragene Lebensgemeinschaften wird ein Beitragssplitting eingeführt. Die Grünen begründen die Aufhebung der Mitversicherungsmöglichkeit damit, dass sie „negative Einkommensanreize“ gebe und einer eigenständigen Existenzsicherung entgegenstehe.
ALG II
Die Beschlusslage bei den Grünen ist seit ihrem Parteitag in Hannover im November klar: Der Regelsatz wird auf 420 Euro erhöht. Das würde rund 2,5 Milliarden Euro kosten. Bedarfsgemeinschaften sollen durch individuelle Existenzsicherungen ersetzt werden. Das Grünen-Argument: Bedarfsgemeinschaften würden vor allem Frauen benachteiligen und sie vom Partnereinkommen nicht unabhängig machen. Auf konkrete Zahlen will sich die SPD nicht festlegen. Sie will zunächst Verbraucherstichproben abwarten.