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Ein Bild von der Toskana: Der Domplatz von Pistoia mit der Kathedrale San Zeno. Das traditionelle Traumziel vieler Deutscher wird immer öfter von rechts regiert, auch von weit rechts.

© Foto: mauritius images / Alamy Stock Photos / Alberto Masnovo

Ruck nach rechts: Italien findet Gefallen an den netten Jungs von nebenan

Die Toskana war einst tiefrot. Jetzt werden auch hier immer mehr Gemeinden rechts regiert. Was ist passiert? Ein Blick auf Pistoia bei Florenz.

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Pistoia liegt mitten in der Toskana, ein Kleinod von Stadt, die mit ihrem perfekt erhaltenen Zentrum aus mittelalterlichen Mauern und Renaissance-Palazzi als kleine Schwester des etwa 30 Kilometer entfernten Florenz gerühmt wird. Mehr als sieben Jahrzehnte lang wurde Pistoia durchweg von links regiert.

Seit dem Fall des Faschismus 1944 gaben sich im Rathaus ausschließlich Männer der KPI und dann ihrer Nachfolgeparteien die Klinke in die Hand. Nur kurz geriet in den 1940ern ein Sozialist in die kommunistische Thronfolge.

So war es bis 2017. Da gewann per Stichwahl zum ersten Mal ein Rechter - und nicht einmal ein gemäßigter: Alessandro Tomasi ist seit seiner Jugend weit rechts aktiv und heute Mitglied der  “Fratelli d’Italia”, des Auffangbeckens von Faschismusnostalgiker:innen und Neofaschisten, die sich selbst im Parteisymbol, der grünweißroten Flamme, zur schwarzen Vergangenheit und Gegenwart bekennen.

Am kommenden Sonntag könnten sie die erste Frau im Ministerpräsidentenamt stellen, Giorgia Meloni. Ein Ausrutscher des Wahlvolks in einer roten Hochburg? Wohl kaum. Im Juni wurde der jetzt 43-jährige Bürgermeister Alessandro Tomasi wiedergewählt, diesmal genügte ihm ein einziger Wahlgang.

Pistoia ist keine rechte Stadt

Matteo Giusti (PD), Abgeordneter im Stadtrat

Und Pistoia ist kein Einzelfall. Stück für Stück färbte sich der einst knallrote Gürtel Italiens in den letzten Jahren grün (Lega), blau (Forza Italia) bis schwarz. Es ging nach rechts.

Trotzdem beharrt Matteo Giusti: “Pistoia ist keine rechte Stadt.” Der 32 Jahre junge Stadtrat, Mitglied des sozialdemokratischen PD, hat gerade selbst einen großen Erfolg eingefahren. Der Politneuling, freilich einer mit langer Erfahrung in der Freiwilligen- und Sozialarbeit, bekam auf Anhieb die meisten persönlichen Stimmen und durfte damit die konstituierende Sitzung des Stadtparlaments leiten.

Matteo Giusti, Stadtrat in Pistoia für den sozialdemokratischen PD

© Foto: Gabriele Acerboni

Dem Bürgermeister, sagt Giusti, sei es in den vergangenen fünf Jahren gelungen, nicht mehr als Rechter wahrgenommen zu werden, sondern als “bravo ragazzo”, als der gute Junge von nebenan. Ohne die Unterstützung von Bürgerlisten, “die früher ganz selbstverständlich Mitte-Links waren”, hätte das nie funktioniert. Warum das?

Vor fünf Jahren, sagt Giusti, habe der Krach im linken Lager in Rom auch lokal durchgeschlagen – 2016 musste Matteo Renzi, selbst Toskaner und einer der unbeliebtesten Spitzenleute der Partei, nach dem deutlichen Scheitern seiner Verfassungsreform als Premier und im Jahr darauf als PD-Vorsitzender zurücktreten.

Diesmal, so Giusti, hätten sich viele Pistoiesi gesagt: “Na, so schlecht war Tomasi als Bürgermeister doch nicht.” Also jene Normalisierung, die neue Wählbarkeit der Rechten auch in Italien? “Klar, rechts ist er unverändert. Er hat die Straßen und die Parks in Ordnung bringen lassen. Aber in der Sozialpolitik merkt man, wohin er gehört. Da geschieht nichts.”

„Die Person zählt stärker als die Partei“

Bürgermeister Tomasi selbst will mit einer Berliner Zeitung nicht über die Gründe für seinen Erfolg sprechen. Nur so viel lässt sich sein Sprecher entlocken: In den Kommunen zähle “eben die Person stärker als die Partei”.

Und in seinem Fall, so lässt sich Tomasis Lebenslauf lesen, stimmt das Bild vom guten Jungen nahezu perfekt: in Pistoia geboren und geblieben, nur zum Politik-Studium nach Florenz, Arbeit als Handwerker, verheiratet, zwei Söhne. Nicht einmal in der Geschlechterpolitik kann man ihm etwas vorwerfen: Seine Stadtregierung besteht aus exakt vier Frauen und vier Männern.

Wie stark Italien inzwischen auf die Person statt auf die Partei dahinter schaut, ist vermutlich auch Ergebnis eines zusehends autoritäreren Wahlsystems, das den Parteiführungen immer mehr Durchgriff auf die Zusammensetzung der Listen gegeben hat. Dass die Bürger:innen zum Menü der Oberen nur noch Ja und Nein sagen können, steigert die Parteienverdrossenheit, vergrößert den Abstand zwischen Gesellschaft und – institutioneller - Politik.

PD-Mann Giusti ist selbst der Beweis für den Wert von Bürgernähe und Person: 80 Prozent seiner Stimmen, sagt er, hat er in den ländlicheren Vierteln der Stadt eingefahren, wo er wohnt und wo man seine Arbeit in sozialen Freiwilligendiensten kennt.

Für die nächste Wahl setzt er daher auf die etwa fünf, sechs jüngeren Kolleg:innen aus dem links-grünen Lager, die die alten Animositäten und Lagerkämpfe nur vom Hörensagen kennten. Und darauf, dass Tomasi, der Mann der Fratelli d’Italia, nichts mehr anzubieten habe. Das Programm der „Brüder Italiens“ schweige zu Klima und Armut. Darauf brauche es aber dringend Antworten: “Die nächste Wahl wird nicht mit sauberen Parks und glatt asphaltierten Straßen gewonnen, sondern hier.”

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