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Gräber in Lyman

© REUTERS / Foto: Reuters / Zohra Bensemra

Russischer Angriffskrieg gegen die Ukraine: Mehrere EU-Staaten für internationales Tribunal

Ein Sondertribunal solle Russlands Angriffskrieg aufarbeiten, fordern die Ukraine und weitere Staaten. Die Bundesregierung ist bisher aber skeptisch.

Angesichts des russischen Angriffskriegs gegen die Ukraine fordern mehrere EU-Staaten die Schaffung eines internationalen Tribunals. „Ich denke, die Europäische Union sollte hier vorangehen und ein Tribunal errichten, so dass wir eine rechtliche Antwort auf den Krieg gegen die Ukraine geben können“, sagte Estlands Ministerpräsidentin Kaja Kallas im ZDF. „Wir haben politisch eine starke Antwort gegeben, jetzt braucht es eine juristische.“

Zuvor hatten bereits die Außenminister der drei baltischen Staaten die EU aufgefordert, ein Sondertribunal wegen des russischen Angriffskriegs zu errichten. „Die wichtigsten Drahtzieher, Anstifter und Unterstützer dieser mörderischen Aggression können der Justiz nicht allein wegen der Lücke in der internationalen Strafgerichtsbarkeit entkommen“, heißt es in einer gemeinsamen Erklärung der drei Länder. Auch Tschechien, das derzeit die EU-Ratspräsidentschaft innehat, befürwortet ein Tribunal zum Angriffskrieg gegen die Ukraine.

Die Bundesregierung will sich bei diesem Thema allerdings bisher nicht festlegen. Von einer „offenen Frage“ spricht Tobias Lindner (Grüne), Staatsminister im Auswärtigen Amt. „Wir sind in engen Konsultationen mit unseren ukrainischen Freunden“, sagte Lindner bei einer Konferenz des Zentrums Liberale Moderne am Freitag in Berlin.  

Die regelbasierte Ordnung müsse geschützt werden, zu klären sei aber, „ob man dies mit den bestehenden Strukturen machen kann“. Außerdem sprach sich Lindner dafür aus, im Rahmen der Vereinten Nationen zu handeln. Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj hatte in seiner Rede vor den Vereinten Nationen im September die Errichtung eines internationalen Tribunals gefordert.

Keiner der großen Gerichtshöfe kann Angriffskrieg ahnden

Die bestehenden Institutionen reichen nach Auffassung von Experten in diesem Fall nicht aus. Der Internationale Gerichtshof in Den Haag klärt Rechtsstreitigkeiten zwischen Staaten, der Internationale Strafgerichtshof verfolgt Kriegsverbrechen, Verbrechen gegen die Menschlichkeit und Völkermord und ermittelt dabei gegen Personen. Der Chefankläger am Strafgerichtshof eröffnete bereits kurz nach dem russischen Überfall im Februar ein Ermittlungsverfahren.

Keiner der beiden großen Gerichtshöfe kann jedoch einen Staat zur Rechenschaft ziehen, der einen völkerrechtswidrigen Angriffskrieg gegen einen anderen Staat begonnen hat. Der Völkerrechtler Claus Kreß spricht von einer „klaffenden Lücke“ in der Architektur der internationalen Gerichtsbarkeit. Zudem gebe es kein Gericht, das einen Staat zur Zahlung von Reparationen verpflichten kann.

Wir hoffen, in Deutschland mehr Unterstützung für diese Initiative zu sehen.

Dmytro Kuleba, ukrainischer Außenminister

Die ukrainische Regierung wirbt deshalb jetzt für die Schaffung eines Sondertribunals. „Wir hoffen, in Deutschland mehr Unterstützung für diese Initiative zu sehen“, sagte Außenminister Dmytro Kuleba am Freitag. „Deutschland sollte hier die Führung übernehmen“, betonte auch Oleksandr Merezhko, Vorsitzender des Auswärtigen Ausschusses im ukrainischen Parlament.

Für die Einsetzung eines Sondertribunals zum Angriffskrieg gäbe es verschiedene Wege. „Am besten für die Legitimität wäre eine Resolution der UN-Generalversammlung“, sagt Merezhko. Als weitere Optionen werden der Europarat, die Europäische Union oder ein multilateraler Vertrag diskutiert. Ein Sondertribunal zum russischen Angriffskrieg auf die Ukraine könnte „den Boden dafür bereiten, die internationale Gerichtsbarkeit voranzubringen“, sagt Kreß.

Die Befürworter eines Sondertribunals heben hervor, dass damit die für diesen Krieg politisch Verantwortlichen zur Rechenschaft gezogen werden könnten – also der russische Präsident Wladimir Putin und sein Führungskreis. Allerdings würde es bis zu einem solchen Verfahren wohl noch viele Jahre dauern.

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