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Der Berliner SPD-Fraktionschef Raed Saleh (SPD) sorgt mit einem Gastbeitrag für Aufregung.

© Foto: Daniel Naupold/dpa

Saleh und die „demokratische Mitte“: Der politische Kompass dreht durch

Berlins SPD-Fraktionschef Saleh sagt, CDU und FDP stünden nicht „uneingeschränkt zur Demokratie“. So befeuert er den politischen Klimawandel. Ein Kommentar.

Es ist wirklich zum Verzweifeln, mit welcher Sorglosigkeit Politiker der etablierten Parteien die „Mitte“, zu der sie sich selbst zählen, mit Taten und Worten zerstören.

Wer hier bisher einen gesellschaftlichen Grundkonsens für selbstverständlich hielt, fühlt sich plötzlich wie ein Eisbär auf der schmelzenden Scholle und erlebt fassungslos, wie ausgerechnet jene den politischen Klimawandel beschleunigen, die ihn zu bekämpfen behaupten.

Zum Beispiel Raed Saleh. Der Vorsitzende der Berliner SPD-Fraktion kommt in einem Aufsatz über die Folgen des Wahldesasters von Thüringen zu dem generellen Schluss: „Uneingeschränkt zur Demokratie und zum Grundgesetz stehen nur die Parteien der linken Mitte – nämlich SPD, Grüne und Linke.“ CDU und FDP wären also eigentlich ein Fall für den Verfassungsschutz.

Nähme die SPD ihre eigenen Worte zu „Brandmauern nach rechts“ wirklich ernst, dürfte es für Sozialdemokraten demnach auch keine parlamentarische Zusammenarbeit mit CDU und FDP mehr geben, was im Bund, auf Landesebene und in den Bezirken die Politik zum Erliegen brächte. Genau davon träumt die AfD. Das müsste jemandem, der auch an die Spitze der Landespartei will, eigentlich klar sein.

Politisch Verantwortlichen dreht der Kompass durch

Als würde über dem gesamten Land eine magnetische Störung liegen, dreht bei immer mehr politisch Verantwortlichen der Kompass durch. Aber so werden genau die Konturen verwischt, die es braucht, um klare Grenzen zu ziehen.

Was in Thüringen passierte, lässt sich nicht durch die pauschale Verunglimpfung der beteiligten Parteien heilen, sondern nur durch exakte Analyse des Fehlverhaltens einzelner Politiker, auch einzelner Fraktionen oder Landesverbände.

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Aber wer die FDP generell nur noch „AFDP“ nennt, wie zum Beispiel ein Baustadtrat der Grünen, selbst wenn es um eine banale bezirkliche Angelegenheit geht, verteidigt nicht die Demokratie, sondern betreibt ihre Delegitimierung. Das Gleiche gilt für die Gleichsetzung der Werteunion mit der CDU: Erst so bekommt dieser irrlichternde Popanz, von dem die Partei sich klar abgrenzt, politisches Gewicht.

Gefährlicher rhetorischer Überbietungswettbewerb

Thüringen hat gezeigt, dass die „Brandmauern“ bei CDU und FDP löchrig sind. Manche Äußerungen zur Wahl, auch in den Berliner Landesverbänden, haben das auf erschreckende Weise gezeigt. Es würde beiden schwerfallen, der Behauptung zu entgegnen, dass andere Parteien hier eine eindeutigere Linie haben.

Es hätte gereicht, darauf hinzuweisen. Stattdessen hat Saleh für einen vermeintlich leichten Punkt in einem gefährlichen rhetorischen Überbietungswettbewerb den Zusammenhalt der Parteien infrage gestellt, die für die Demokratie und das Grundgesetz in Deutschland stehen.

Saleh nimmt „jüdische Freunde“ und Otto Wels in Anspruch

Er hat dafür „jüdische Freunde“ in Anspruch genommen, die der CDU den Rücken kehren. Er hat Otto Wels bemüht, der im Reichstag rief: „Freiheit und Leben kann man uns nehmen, die Ehre nicht.“ Und er hat die CDU aufgefordert, diejenigen „rauszuschmeißen“, die „mit der Neurechten kokettieren und sympathisieren“.

Saleh weiß selbst, wie schwer es ist, unliebsame Parteimitglieder „rauszuwerfen“, an Thilo Sarrazin ist die SPD bisher gescheitert. Die CDU dagegen hat sich von ihrem früheren Bundestagsabgeordneten Martin Hohmann, heute AfD, bereits vor vielen Jahren getrennt.

Alle demokratischen Parteien verdienen Unterstützung

Demokratische Parteien müssen immer wieder um Positionen ringen und zuweilen ihre Grundwerte auch gegen eigene Mitglieder und Funktionäre verteidigen. Und das gilt für alle Parteien, Salehs „linke Mitte“ von SPD, Linken und Grünen inklusive.

Ihr grundsätzliches, bedingungsloses Eintreten für Demokratie und Grundgesetz schränkt das nicht ein, im Gegenteil: Es ist die Voraussetzung für die Verteidigung dieser alles andere als selbstverständlichen Errungenschaften. Dafür verdienen alle demokratischen Parteien Unterstützung – nicht um ihrer selbst willen, sondern für den Zusammenhalt der demokratischen Gesellschaft gegenüber ihren Feinden.

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