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Über das Medienecho muss sie sich nicht beklagen: Sahra Wagenknecht am Dienstag in der Bundespressekonferenz.

© Axel Schmidt/Reuters

Sammlungsbewegung "Aufstehen": Wie Wagenknecht Deutschland regieren will

Sahra Wagenknecht hat keine Lust mehr auf "muffige Hinterzimmerdebatten". Auch nicht mehr auf die Linkspartei? FAQs zu ihrem Projekt "Aufstehen".

Von Matthias Meisner

Für Sahra Wagenknecht ist es aktuell das wichtigste politische Projekt. Am Dienstag gab sie offiziell den Startschuss für die von ihr initiierte Sammlungsbewegung „Aufstehen“. Sie nennt „eine handfeste Krise der Demokratie“ in Deutschland als Hauptgrund für die Gründung ihrer Bewegung - und nennt als Kernanliegen eine neue Regierung für Deutschland.

Was sind ihre Ziele mit der Bewegung?

Die soziale Frage in den Mittelpunkt rücken – das ist erklärtes Ziel der von Ex-Linken-Chef Oskar Lafontaine und seiner Frau Sahra Wagenknecht initiierten Bewegung „Aufstehen“. So geht es jedenfalls aus dem fünfseitigen Gründungsaufruf „Gemeinsam für ein gerechtes und friedliches Land“ hervor, den Wagenknecht gemeinsam mit Mitstreitern vor der Bundespressekonferenz präsentiert hat. Es geht in dem Papier um Niedriglohnjobs, Leiharbeit, die schmale werdende Mittelschicht und Vermögensungleichheit.

Hinter den Thesen stehen auch Strukturdebatten: Wagenknecht & Co. haben auch vor, die Parteienlandschaft aufzumischen. Die Vorsitzende der Linksfraktion versichert, sie wolle ein linkes Regierungsbündnis aus SPD, Linkspartei und Grünen wieder grundsätzlich ermöglichen. Die Mehrheit dafür gab es bis zur Bundestagswahl 2017, aber sie wurde nicht genutzt. Aber was, wenn sich die Parteien nicht in ihrem Sinne verändern? Wird dann daran gedacht, aus „Aufstehen“ eine neue Partei zu machen? Wagenknecht weicht der Frage aus: „Ich halte das für eine müßige Debatte.“

Wer macht mit?

Ein paar Prominente aus Kunst und Kultur sind unter 80 Erstunterzeichnern des Gründungsaufrufs, darunter die Schriftsteller Christoph Hein und Ingo Schulze, die Kabarettistin Lisa Fitz und der Theologe Eugen Drewermann. Was die Parteien angeht: Aus der Linkspartei konnte Wagenknecht nur wenige Prominente gewinnen – neben Lafontaine zwei ihrer Stellvertreter in der Bundestagsfraktion, Sevim Dagdelen und Fabio De Masi. Zwei Alt-Grüne zählen zu den Unterzeichnern, Ex-Parteichef Ludger Volmer, der vor 13 Jahren aus der aktiven Politik ausstieg, und die frühere Bundestagsvizepräsidentin Antje Vollmer.

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Im SPD-Milieu haben Lafontaine und Wagenknecht nur Leute von gestern oder aus der zweiten Reihe gefunden, die bei „Aufstehen“ mitmachen wollen, darunter Albrecht Müller von den „Nachdenkseiten“, Ex-Politiker wie Christoph Zöpel, Detlev von Larcher und Rudolf Dreßler. Bekanntestes Gesicht ist Simone Lange, Oberbürgermeisterin von Flensburg, die im April als SPD-Vorsitzende gegen Andrea Nahles angetreten war. Unterzeichnet hat außerdem der Historiker Peter Brandt, Sohn des Altkanzlers.

Was treibt Wagenknecht an?

Wagenknecht ist – ohne formales Amt – führend in der „Aufstehen“-Bewegung. Sie genießt das durchaus, auch wenn sie beteuert, dass sie auch „sehr gerne“ mit „neue Köpfen“, vor allem „engagierten jungen Menschen“, an der Spitze der Sammlungsbewegung einverstanden wäre. In der PDS, wo sie als Wortführerin der Kommunistischen Plattform eine Außenseiter-Rolle hatte, hat sie sich seit den 90er Jahren emporgearbeitet. In der Linkspartei, 2007 gegründet, ist sie als Vorsitzende der Bundestagsfraktion zur mit Abstand stärksten und einflussreichsten Politikerin geworden. Die neue Rolle als federführende Initiatorin der Sammlungsbewegung gibt Wagenknecht die Chance, ihre Macht auszubauen – innerparteilich und darüber hinaus.

Will sie Druck auf ihre Partei ausüben?

Wagenknecht versichert, jeder der beteiligten Initiatoren aus SPD, Linken und Grünen – Mitstreiter aus anderen Parteien gibt es nicht –, wolle, dass seine Partei von dem Projekt profitiere. Doch fügt sie einen verräterischen Satz hinzu: „Aber das ist nicht das primäre Ziel.“ Absehbar ist, dass Wagenknecht mit Hilfe der Sammlungsbewegung den Kurs der Linkspartei in ihrem Sinne korrigieren will. Das betrifft in erster Linie die Asylpolitik, aber auch die Europapolitik und das Verhältnis zu Russland.

Im Gründungsaufruf heißt es, wohl müsse das Recht für Verfolgte gewährleistet werden, doch zum Ziel erklärt wird zugleich, Armut, Hunger und Elendskrankheiten vor Ort zu bekämpfen und in den Heimatländern Perspektiven zu schaffen. Es heißt, die Flüchtlingsentwicklung habe in Deutschland „zu zusätzlicher Verunsicherung geführt“. Und: „Viele bereits zuvor vorhandene Probleme wie der Mangel an Sozialwohnungen, überforderte Schulen oder fehlende Kita-Plätze haben sich weiter verschärft.“ Klarer noch spricht ihr Mitstreiter Ludger Volmer aus, dass eine „vernünftige Flüchtlingspolitik“ nur möglich werde, wenn man sich von „Extrempositionen“ verabschiede – dabei nennt er in einem Satz „Ausländer raus“ und „offene Grenzen“.

Spaltet sie ihre Partei mit der Bewegung?

Ausgeräumt ist die Gefahr einer Spaltung der Linkspartei, wie sie von Parteichefin Katja Kipping nach Wagenknechts Ankündigungen befürchtet wurde, nicht. Wagenknecht ist nun quasi Diener zweier Herren, der Linkspartei und der Sammlungsbewegung, wobei letztere ihre programmatische Diskussion noch nicht abgeschlossen hat. Die Frage der Gründung einer neuen Partei „stellt sich noch nicht“, heißt es aus dem Kreis der Initiatoren. Der Dramaturg Bernd Stegemann vom Berliner Ensemble, wichtiger Mitstreiter von Wagenknecht, meint, die Frage dazu sei aktuell „jenseits der Beantwortbarkeit“.

"Aufstehen"-Initiatorin Sahra Wagenknecht (2. von rechts), Mitstreiter Ludger Volmer (rechts), Simone Lange und Bernd Stegemann.
"Aufstehen"-Initiatorin Sahra Wagenknecht (2. von rechts), Mitstreiter Ludger Volmer (rechts), Simone Lange und Bernd Stegemann.

© Bernd von Jutrczenka/dpa

Der Fokus sei „auf die nächste Bundestagswahl“ 2021 gerichtet, erläutert Wagenknecht. Wie und in welcher Form sich die Protagonisten von „Aufstehen“ dann einmischen, bleibt vorerst bewusst offen. Daraus entwickelt sich für Wagenknecht größtmögliches Drohpotenzial. Linken-Bundesgeschäftsführer Jörg Schindler kommentierte am Dienstag: „Die Initiative ,Aufstehen’ von Sahra Wagenknecht und Oskar Lafontaine ist kein Projekt der Partei Die Linke, sondern von Einzelpersonen.“ Kipping selbst äußerte sich nicht.

Fordert sie die AfD heraus?

Bei der offiziellen Vorstellung von „Aufstehen“ vermeidet Wagenknecht alles, was als Annäherung zur AfD interpretiert werden kann. Rassisten und Nazis seien in dieser Partei gut aufgehoben, sagt sie. Aber sie will eben auch Anhänger von Pegida und Wähler der AfD „zurückgewinnen“. Viele würden „aus Unzufriedenheit“ oder weil sie sich „abgehängt und zurückgelassen fühlen“ zu Demonstrationen wie jüngst in Chemnitz gehen. Nicht alle, die bei den rechten Aufmärschen in Sachsen dabei waren, seien Nazis, betont sie, nicht mal ein großer Teil der Demonstranten. Wer anderes behaupte, treibe die Leute nur nach rechts. Und: „Ich bin es leid, die Straße Pegida und den Rechten zu überlassen.“

Wieso polarisiert Wagenknecht so sehr?

Ihre Fans bescheinigen Sahra Wagenknecht „Popstar“-Qualitäten. Sie wird gelobt für ihre eloquente Rolle in Talkshows, gefeiert als Bestseller-Autorin. In der eigenen Partei polarisiert sie wie keine Zweite. Ungern bei Sitzungen dabei, sich nicht an Parteibeschlüsse haltend – nur zwei der Vorwürfe. Wagenknecht selbst behauptet, in der Linken gebe es inzwischen auch „sehr viele positive Reaktionen“ auf ihre Pläne, es habe sich ein „Umdenken vollzogen“. Ob das wirklich stimmt, wird sich weisen müssen. Tatsache ist, dass sich Wagenknecht künftig ihr Spielfeld aussuchen und zwischen „Aufstehen“ und Linkspartei wählen kann. Für Variante eins führt sie an: „Was wir nicht wollen, sind muffige Hinterzimmerdebatten.“

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