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Christoph Hempel, Reeder der "Aquarius", hat kein Verständnis für die derzeitige Eskalation im Umgang mit Seenotrettern.

© Christina Kuhaupt

Schiffseigner der "Aquarius" zur Seenotrettung: "Diese Willkür habe ich nicht für möglich gehalten"

Auch die "Aquarius" rettete einst Menschen im Mittelmeer. Der Bremer Eigentümer Christoph Hempel über die Probleme, die er noch immer mit dem Schiff hat.

Herr Hempel, für viele Menschen war die „Aquarius“ der Inbegriff der Seenotrettung von Geflüchteten im Mittelmeer. Seit Ihnen im vergangenen Jahr mehrfach die Flagge entzogen wurde, ist es ruhig geworden um Ihr Schiff. Wo ist es jetzt?

Die „Aquarius“ liegt seit Januar mit reduzierter Crew im Hafen von Cádiz auf der Atlantikseite von Spanien. Seit dem Ende der Charter mit der Seenotrettungsorganisation SOS Méditerranée habe ich leider keine Beschäftigung für das Schiff finden können.

Woran liegt das?

Ich habe durchaus Kunden, die die „Aquarius“ im Mittelmeer wieder als Vermessungsschiff einsetzen würden, so wie in der Zeit vor den Rettungseinsätzen. Das wäre unter unserer neuen Flagge des westafrikanischen Staates Liberia auch durchaus möglich. Doch bedauerlicherweise muss ich allen Interessenten mitteilen, dass noch immer die Gefahr besteht, dass die „Aquarius“ keine Arbeitsgenehmigung in italienischen und maltesischen Hoheitsgewässern erhält oder in den Häfen festgehalten werden könnte. Dadurch haben potenzielle Interessenten die Sorge, plötzlich gestoppt zu werden und die Fristen für ihre Vermessungsarbeiten nicht einhalten zu können. Das schränkt uns schon sehr ein, denn der Liegeplatz kostet natürlich Geld.

Die Zusammenarbeit mit den Hilfsorganisationen ist bereits seit mehreren Monaten beendet. Woran machen Sie es fest, dass Sie im Mittelmeer weiterhin Probleme bekommen könnten?

Italiens Innenminister Matteo Salvini hat in der Vergangenheit sehr deutlich gemacht, dass es die „Aquarius“ in Zukunft schwer haben wird, und dies ist bereits sichtbar geworden, als wir einen neuen Hafen gesucht haben. Nachdem im vergangenen Jahr klar war, dass die „Aquarius“ nicht mehr als Rettungsschiff für Geflüchtete tätig sein wird, haben wir diverse Häfen im Mittelmeer zwecks eines Liegeplatzes angefragt. Alle Hafenagenten lehnten jedoch mit der Begründung ab, sie hätten keinen Platz im Hafen oder selbst keine freien Kapazitäten, sich um das Schiff zu kümmern.

Die "Aquarius" nahm im Mittelmeer zahlreiche Menschen auf - hier ein Archivfoto des Schiffes.
Die "Aquarius" nahm im Mittelmeer zahlreiche Menschen auf - hier ein Archivfoto des Schiffes.

© Boris Horvat/AFP

Sie arbeiten seit Jahren als Reeder. Haben Sie so eine Situation schon einmal erlebt?

Nein, das ist einmalig, und das bewerten auch andere Reeder so, mit denen ich mich ausgetauscht habe. Es gab noch nie den Fall, dass ein Hafenagent angeblich keine Kapazitäten hat, sich um das Schiff zu kümmern. Normalerweise ist genau das Gegenteil der Fall, und die Mitarbeiter sind froh über die Einnahmen. Ich halte das für vorgeschobene Gründe, um den Schwierigkeiten aus dem Weg zu gehen, die vielleicht im Zusammenhang mit der „Aquarius“ entstehen könnten. Wir haben uns letztlich auch deswegen für Cádiz entschieden, um die Lage etwas zu entspannen. Für einige unserer Kapitäne ist die Situation jedoch nach wie vor kritisch. Diejenigen, die die „Aquarius“ gesteuert haben und in der Zwischenzeit auf anderen Schiffen gefahren sind, berichteten mir davon, dass sie in anderen Häfen vermehrt rausgewunken und kontrolliert werden.

Was könnte passieren, wenn die „Aquarius“ wieder italienische Häfen anführe?

Die Weiterfahrt könnte beispielsweise verzögert werden. Auch da werden teilweise vorgeschobene Gründe genannt. Das haben wir durchaus schon bei anderen Schiffen erlebt. Da sollen Inspektoren ganz klar Gründe finden, damit man nicht auslaufen darf. Mitunter reicht da schon ein einzelnes Dokument aus, von dem man anstelle des Originals nur eine Kopie mit an Bord führt, um das Schiff festzusetzen. Ähnlich gelagert war der Fall, als wir vergangenes Jahr im Hafen von Marseille wegen angeblich illegaler Müllentsorgung gestoppt wurden. In den Jahren zuvor war von den Behörden nie etwas beanstandet worden und plötzlich soll es Probleme gegeben haben. Dem zuständigen Hafenagenten wurden übrigens zeitweise die Konten eingefroren. Das wird auch dazu beigetragen haben, dass seine Kollegen in den anderen Häfen vorsichtiger geworden sind.

Die Blockade italienischer Häfen und die mehrmalige Ausflaggung der „Aquarius“ im vergangenen Jahr waren beispiellos. Warum war es so schwierig, einen neuen Flaggenstaat zu finden?

Nach der Ausflaggung von Gibraltar hat nur kurze Zeit später auch Panama die „Aquarius“ aus dem Register genommen, da Italien damit drohte, Schiffen mit Panama als Flaggenstaat die Einfahrt in europäische Häfen zu verwehren. Das führte dazu, dass ich zusammen mit SOS Méditerranée intensiv nach einer neuen Flagge suchen musste. Ohne Flagge kann das Schiff weder zur See fahren noch im Hafen liegen, weil der Versicherungsschutz entfällt. Kein Hafen akzeptiert ein Schiff ohne Versicherungsschutz. Viele Varianten wurden durchgespielt, unter anderem sogar der Vatikan. Wichtig ist bei der Suche auch die Farbe der Flagge, die darüber bestimmt, wie das Schiff im Hafen behandelt wird. Letztlich blieb nur die deutsche Flagge als Option, weil mir das als deutscher Staatsbürger zusteht. Dafür habe ich sogar einen Brief an die Bundeskanzlerin geschrieben.

Warum haben Sie sich letztlich gegen diese Variante entschieden?

Das hätte für SOS Méditerranée erhebliche Mehrkosten verursacht, unter anderem ging es um hohe Sozialabgaben für die Freiwilligen. Das konnte sich die französische Seite der Organisation, die die Entscheidungsgewalt hatte, zu dem Zeitpunkt aber nicht vorstellen. Wir konnten uns dann mit Liberia unter der Voraussetzung einigen, dass die „Aquarius“ nicht mehr als Rettungsschiff eingesetzt wird.

Die Lage im Mittelmeer hat sich gerade in den vergangenen Wochen noch einmal zugespitzt. Was halten Sie davon?

Diese Willkür habe ich absolut nicht für möglich gehalten. Mittlerweile ist ein Punkt erreicht, an dem ich mich kaum in der Lage sehen würde, die „Aquarius“ überhaupt als Rettungsschiff fahren zu lassen. Ich weiß nicht, ob ich in der jetzigen Situation noch diplomatisch genug bleiben könnte und nicht einfach dem Kapitän sagen würde, dass er trotz der Verbote in den nächstgelegenen Hafen einfahren soll.

Wie bewerten Sie das Verhalten der europäischen Staaten gegenüber Italien?

Es hat mich tief enttäuscht, dass die europäischen Staaten, inklusive Deutschland, so wenig Macht haben, dass der Verstoß gegen das Seerecht und gegen UN-Konventionen, was das Retten von Menschen und das Verbringen Geflüchteter in sichere Häfen betrifft, von einzelnen EU- Staaten verhindert werden kann. Das habe ich vor einem Jahr noch nicht gedacht.

Kristin Hermann

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