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Anhänger des schiitischen Geistlichen al-Sadr beten während einer Sitzblockade im Parlament in Bagdad.

© Anmar Khalil/AP/dpa

Update

Sadr-Anhänger halten irakisches Parlament besetzt: Schiiten-Führer ruft zu Ausweitung der Proteste in Bagdad auf

Neun Monate nach der jüngsten Parlamentswahl steht der Irak vor einer gefährlichen Eskalation. Der Machtkampf im Land ist außer Kontrolle geraten.

Hunderte Anhänger des einflussreichen Schiiten-Führers Moktada Sadr haben am Sonntag weiter im irakischen Parlament in der Hauptstadt Bagdad ausgeharrt. Freiwillige verteilten am Morgen Suppe, gekochte Eier, Brot und Wasser an die Besetzer, die in der Volksvertretung ein religiöses Fest feierten.

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Am Nachmittag hatte Sadr zu einer Ausweitung der Proteste aufgerufen. Die UNO und die Europäische Union äußerten sich angesichts der Lage besorgt. Die Sadr-Anhänger hatten das Gebäude am Samstag gestürmt.

Gekommen, um zu bleiben. Nach der Stürmung wurde die Arbeit im Parlament bis auf weiteres eingestellt.
Gekommen, um zu bleiben. Nach der Stürmung wurde die Arbeit im Parlament bis auf weiteres eingestellt.

© dpa/ Anmar Khalil

Unterdessen wurden immer mehr Sicherheitskräfte in der hoch gesicherten Grünen Zone stationiert. Mit dem Sitzstreik im Parlament wollen al-Sadrs Anhänger Druck auf die Politik ausüben und eine Regierungsbildung der schiitischen Parteienallianz um Ex-Regierungschef Nuri al-Maliki verhindern, die vor allem mit dem Nachbarland Iran sympathisiert.

Fast zehn Monate nach der Parlamentswahl befindet sich das ölreiche Land in einer Pattsituation. Der geschäftsführende Premierminister Mustafa al-Kasimi rief die politischen Lager erneut zum Dialog auf.

Konkurrenz um Führungsrolle der irakischen Schiiten

Nach der ersten Besetzung am vorigen Mittwoch hatten sich die Anhänger von Sadr vorerst zurückgezogen, kündigten bei ihrer Rückkehr am Samstag darauf jedoch an, vorerst bleiben zu wollen. – eine Kampfansage des Politikers und Predigers Muktada al Sadr an seinen Rivalen Nuri al Maliki und an den Iran.

Anhänger des schiitischen Geistlichen al-Sadr verteilen vor dem Parlamentsgebäude Essen.
Anhänger des schiitischen Geistlichen al-Sadr verteilen vor dem Parlamentsgebäude Essen.

© Ameer Al-Mohammedawi/dpa

Die Parlamentsarbeit wurde bis auf weiteres eingestellt. Maliki reagierte mit einer Demonstration der eigenen Kampfbereitschaft: Er ließ sich mit einem Sturmgewehr fotografieren. Neun Monate nach der jüngsten Parlamentswahl steht der Irak vor einer gefährlichen Eskalation.

Sadr und Maliki konkurrieren um die Führungsrolle bei den irakischen Schiiten, der größten Bevölkerungsgruppe im Land. Bei den Wahlen im Oktober siegte Sadr, scheiterte aber bei der Regierungsbildung und zog seine Abgeordneten im Juni aus dem Parlament zurück. Maliki, der von 2006 bis 2014 Ministerpräsident war, will eine pro-iranische Regierung bilden, doch Sadr will das verhindern.

Nach den Neuwahlen hat sich nichts verbessert

Der Machtkampf im schiitischen Lager blockiert die Lösung dringender Probleme wie die grassierende Korruption, die schlechte Stromversorgung und die hohe Arbeitslosigkeit. Die Missstände lösten 2019 landesweite Proteste aus und führten zu den vorgezogenen Neuwahlen vom vergangenen Jahr, doch verbessert hat sich nichts, im Gegenteil: Die Konkurrenz zwischen Sadr und Maliki beschwört jetzt das Horrorszenarium eines neuen Bürgerkrieges herauf.

Beide Politiker können tausende Kämpfer aufbieten und ignorieren das offizielle Gewaltmonopol der staatlichen Sicherheitskräfte. Laut internen Äußerungen, die an die Öffentlichkeit gelangten, soll Maliki einen inner-schiitischen „Krieg“ vorausgesagt haben. Sadr wirft Maliki vor, ihn ermorden zu wollen. Mit den Parlamentsbesetzungen verschärft sich dieser Streit nun. Die Regierung des geschäftsführenden Ministerpräsidenten Mustafa al Kadhimi ist machtlos.

Anhänger des schiitischen Geistlichen al-Sadr liegen in einem Raum des irakischen Parlament.
Anhänger des schiitischen Geistlichen al-Sadr liegen in einem Raum des irakischen Parlament.

© Ameer Al-Mohammedawi/dpa

Der 47-jährige Sadr ist einer der schillerndsten Akteure der irakischen Politik. Als Sohn eines prominenten Geistlichen, der Widerstand gegen den Diktator Saddam Hussein leistete, genießt er hohes Ansehen bei vielen Schiiten. Seine Miliz, die Mahdi-Armee, kämpfte nach der US- Invasion von 2003 gegen die Amerikaner.

Sadr präsentiert sich zwar als irakischer Nationalist, der die Einmischung des Iran in seinem Land ablehnt, reiste in den vergangenen Jahren aber mehrmals zu politischen Gesprächen nach Teheran. Obwohl er 2014 seinen Rückzug aus der Politik verkündete, ist Sadr einer der mächtigsten Politiker im Land: Seine Saairun-Allianz gewann bei den Wahlen 2018 und 2021 die meisten Parlamentssitze.

Wie reagiert der Iran?

Maliki steht dem Iran näher als sein Rivale Sadr, konnte sich bisher aber nicht gegen ihn durchsetzen. Beobachter sehen darin ein Zeichen der Schwäche des Iran, der den Irak seit dem Sturz von Saddam Hussein als seinen Hinterhof betrachtet. Für Teheran gehöre der Irak zum iranischen Einflussgebiet von Afghanistan bis zum Mittelmeer, sagt der Iran-Experte Firas Elias.

Der Protest ist eine Kampfansage des Politikers und Predigers Muktada al Sadr an seinen Rivalen Nuri al Maliki und an den Iran.
Der Protest ist eine Kampfansage des Politikers und Predigers Muktada al Sadr an seinen Rivalen Nuri al Maliki und an den Iran.

© AFP/Sabah ARAR

Doch der Iran verliere seit der Ermordung des Generals Qassem Soleimani durch die USA vor zwei Jahren im Irak an Einfluss, schrieb Elias in einer Analyse für das Washington-Institut für Nahost-Politik. Sadrs Sieg bei den Wahlen im vergangenen Jahr war eine weitere Niederlage für den Iran.

Wie stark sich Sadr fühlt, zeigt der Zeitpunkt der ersten Parlamentsbesetzung von Bagdad am Mittwoch: Seine Anhänger stürmten das Plenum während eines Besuches von Esmail Qaani in der irakischen Hauptstadt. Qaani führt als Nachfolger von Soleimani die Auslandstruppe der iranischen Revolutionsgarde und ist damit der Chef von pro-iranischen Politikern wie Maliki. Mit Sadr will er sich offenbar nicht anlegen. Iran-Experte Elias berichtete auf Twitter unter Berufung auf iranische Quellen, Qaani wolle seinen Schützling Maliki bitten, seinen Rivalen nicht zu provozieren.

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