zum Hauptinhalt
Friedrich Merz und Lars Klingbeil bei der Vorstellung des Sondierungspapiers am Wochenende

© Imago/dts Nachrichtenagentur

Schwarz-rote Klientelpolitik in Reinform: Die junge Generation bleibt auf der Strecke

Junge Menschen könnten Opfer der politischen Kurzsichtigkeit von Union und SPD werden. Schwarz-Rot widmet sich Wahlgeschenken statt der Zukunft. Nun sind die Grünen ein Hoffnungsschimmer.

Felix Kiefer
Ein Kommentar von Felix Kiefer

Stand:

Der Ärger über die Grünen ist wieder einmal groß. Obwohl sie im Wahlkampf für höhere Verteidigungsausgaben, einen Investitionsfonds und eine Reform der Schuldenbremse warben, sperren sie sich nun gegen Pläne von Union und SPD, die genau das vorsehen.

Manche werfen den Grünen trotziges Verhalten vor, andere kritisieren, es fehle ihnen an Vernunft und staatspolitischer Verantwortung. Für junge Menschen sind sie die vielleicht letzte Zukunftshoffnung, denn Schwarz-Rot hat den Blick für diese Generation offenbar verloren.

Vorab: Die Entscheidung von Union und SPD für milliardenschwere finanzpolitische Reformen ist begrüßenswert und verdient Respekt. Schließlich hatte Friedrich Merz im Wahlkampf stets Gegenteiliges behauptet. Man kann dem Sauerländer Wortbruch vorwerfen. Den Blick nach vorne gerichtet kann man seine Kehrtwende aber auch als späte Erkenntnis der Realität werten.

Klar ist: Wir brauchen mehr Investitionen in Verteidigung und Infrastruktur. Gerade junge Menschen profitieren von einem besseren Schienen- oder Mobilfunknetz, modern ausgestatteten Schulen sowie forschungsstarken Universitäten. Jüngere haben auch nicht per se etwas gegen Schulden: Nur wenige dürften eine 60-Prozent-Schuldenquote einer Bahn-Pünktlichkeitsquote in gleicher Höhe vorziehen.

Drei Spitzenpolitiker der Union, die ihre Haltung in der Finanzpolitik nach der Wahl radikal verändert haben: Markus Söder, Alexander Dobrindt und Friedrich Merz am Montag bei der Fraktionssitzung von CDU/CSU.

© AFP/TOBIAS SCHWARZ

Und doch ist es alarmierend, wie wenig gerade die Interessen junger Menschen in den Plänen von Union und SPD berücksichtigt werden.

Selbst ein Leben in Frieden ist nicht lebenswert, wenn ganze Landesteile überschwemmt, die Luft verunreinigt oder Trinkwasser und Nahrungsmittel knapp sind.

Felix Kiefer

Klimaschutz wird zur Nebensache

Der Klimaschutz wird im Sondierungspapier weitgehend ignoriert. Die Klimakrise ist dabei vor allem für Jüngere ein zentrales Anliegen. Selbst ein Leben in Frieden ist nicht lebenswert, wenn ganze Landesteile überschwemmt, die Luft verunreinigt oder Trinkwasser und Nahrungsmittel knapp sind. Wenn die Grünen ihre Zustimmung für das Milliarden-Finanzpaket an die Berücksichtigung von Klimaschutzmaßnahmen knüpfen, ist das ein Hoffnungsschimmer für Menschen, die nicht nur noch zehn oder 20, sondern eher 50 und mehr Jahre in Deutschland leben.

Darüber hinaus gibt es bisher keine Garantie dafür, dass das beschlossene Sondervermögen für die Infrastruktur auch wirklich zusätzliche Investitionen mobilisiert. Die Gefahr besteht, dass Bund, Länder und Kommunen ihre Investitionen in den Kernhaushalten herunterfahren und stattdessen kurzfristige Ausgaben finanzieren. Auch das wollen und können vielleicht nur noch die Grünen verhindern.

Rentnerrepublik statt Zukunftsvision

Friedrich Merz, Lars Klingbeil und Co. verteilen gerade nämlich vor allem Wahlgeschenke an ihre Klientel. Die über 60-Jährigen haben bei der Wahl mehr als 40 Prozent der Wahlberechtigten gestellt. Über die Hälfte der 60- bis 69-Jährigen hat CDU/CSU oder SPD gewählt. Bei der Generation 70+ sind es sogar über zwei Drittel. Von der Mütterrente, einer Erhöhung der Pendlerpauschale oder der Senkung der Gastro-Mehrwertsteuer profitieren vor allem ältere Menschen. Dazu haben Union und SPD allen Warnungen zum Trotz bisher keine zukunftsfähige Reform des Rentensystems in Aussicht gestellt. Diese tickende Zeitbombe darf man jungen Menschen nicht einfach aufbürden.

Stattdessen kommen gerade Themen, die für die Generationen Y, Z und Alpha wichtig sind, viel zu kurz. Drei Beispiele:

  1. Wohnen: Schwarz-Rot liefert bisher keine fundamentalen Vorschläge, wie Wohnraum bezahlbar werden soll. Zwar will man die „Bauwirtschaft ankurbeln“. Doch das dauert Jahre – es gibt aber schon heute viel zu wenig Mietwohnungen für Menschen, die eine Ausbildung machen oder studieren wollen. Dass die Mietpreisbremse für zwei Jahre verlängert werden soll, ist kein Trost, denn sie wirkt schon heute nicht: In Berlin, Frankfurt, München oder Hamburg zahlen Studierende über 600 Euro für ein WG-Zimmer – wohlgemerkt im Durchschnitt.
  2. Ausbildung und Studium: Die Bafög-Wohnkostenpauschale von 380 Euro reicht vielerorts nicht. Das Bafög wird im Sondierungspapier übrigens genauso häufig erwähnt wie Wohnheime, Hochschulen oder Mindestausbildungsvergütung – nämlich gar nicht. Größere Reformvorschläge im Bildungsbereich gibt es ebenfalls keine. Maßnahmen gegen den Lehrkräftemangel: Fehlanzeige.
  3. Qualifikation: Auch auf die Frage, wie man die über 2,8 Millionen jungen Menschen im Alter von 20 bis maximal 30 ohne formale Qualifikation in den Arbeitsmarkt integrieren will, geben Union und SPD keine überzeugende Antwort. Es kann helfen, die Berufsorientierung in Schulen und Jugendberufsagenturen zu stärken, wie es auf der vorletzten Seite des Papiers heißt. Doch es braucht mehr: massive Investitionen in Weiterbildung oder Nachqualifizierung, eine Stärkung der Ausbildung durch finanzielle Anreize für Betriebe, Maßnahmen für mehr Durchlässigkeit und Chancengleichheit im Bildungssystem.

Insgesamt setzen Union und SPD viel zu wenig auf zukunftsorientierte Themen, die für junge Generationen entscheidend sind. Wichtige Bereiche wie Klimaschutz, Wohnen oder Bildung werden entweder nur oberflächlich behandelt oder vollständig ausgelassen. Das kann sich ändern, wenn in den 16 Arbeitsgruppen der Koalitionsverhandlungen auch die ein oder andere Person unter 50 Jahren sitzt.

Als Mehrheitsbeschaffer für das schwarz-rote-Finanzpaket können die Grünen aber schon jetzt dafür sorgen, dass diese Themen wieder mehr Priorität bekommen. Damit könnte die Partei, die unter Jüngeren zuletzt am stärksten an Zuspruch verloren hat, wieder verlorenes Vertrauen zurückgewinnen.

Doch vor allem wäre eine solche Politik im Sinne junger Menschen. Schließlich müssen sie für die Fehler der Vergangenheit aufkommen. Es wäre gerecht, wenn ihre Interessen dabei nicht vollkommen unter den Tisch fallen.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
console.debug({ userId: "", verifiedBot: "false", botCategory: "" })