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Migranten gehen in der süditalienischen Hafenstadt Reggio Calabria von Bord des deutschen humanitären Schiffes Rise Above. Die Seenotretter der deutschen Organisation Mission Lifeline haben alle 89 Migranten an Bord des Schiffes «Rise Above» in Süditalien an Land bringen dürfen.

© dpa/Valeria Ferraro

Seenotrettung: Minister Piantedosi: Italien ist nicht der einzige sichere Ort

Italiens Innenminister rechtfertigt seine Politik gegen NGO-Schiffe. Er will Seenotrettung jetzt beschränken, indem er internationales Recht neu interpretiert.

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Italiens Innenminister Matteo Piantedosi hat am Mittwoch im Parlament ausführlich seine Politik gegenüber Seenotrettung begründet - und einen veränderten juristischen Standpunkt.

Gleich in den ersten Wochen der Amtszeit der Regierung Meloni hatte Piantedosi mehreren Seenotrettungsschiffen untersagt, schiffbrüchige Migrant:innen in Italien an Land zu bringen, die sie im Mittelmeer an Bord genommen hatten.

Die Schiffe „Humanity 1“ des deutschen Vereins SOS Humanity und „Geo Barents“ von Ärzte ohne Grenzen waren vorige Woche mit insgesamt rund 750 Migranten in den Hafen von Catania auf Sizilien gefahren, wo sie erst nach Tagen alle Geretteten von Bord schicken durften. Auch die „Rise above“ der Dresdner „Mission Lifeline“ konnte ihre Leute schließlich absetzen.

Die „Ocean Viking“ der Organisation SOS Méditerranée fuhr nach Südfrankreich weiter und konnte die Menschen in Toulon an Land gehen lassen. Das Schiff sei zu keinem Zeitpunkt in italienischen Hoheitsgewässern gewesen, betonte Piantedosi.

Minister bestreitet Frankreichs Vorwurf

Es habe auch kein Hilfsersuchen abgesetzt, sondern sich „aus eigenem Entschluss“ an Frankreich gewandt - Frankreich hatte Italien heftige Vorwürfe wegen seines Umgangs mit den Rettungsschiffen gemacht.

Aus Piantedosis Bericht an den Senat, die zweite Parlamentskammer, wurde am Mittwoch deutlich, dass die Regierung Meloni nicht mehr die Linie des früheren Ministers Matteo Salvini verfolgt. Der hatte Italiens Häfen schlicht geschlossen - wofür er sich aktuell vor Gericht verantworten muss.

Italien hat mehr getan als das, wozu es verpflichtet war.

Matteo Piantedosi, italienischer Innenminister

Keinem der Schiffe habe man die Einfahrt verboten, sondern sie so lange bleiben lassen, bis Notsituationen an Bord gelöst waren. Kranke und Schwache hätten die Schiffe verlassen können. Piantedosi betonte auch, dass schließlich alle an Land durften, nachdem Ärzt:innen sie psychologisch untersucht hatten.

Italien, so der Minister, habe im Gegenteil „mehr getan als das, wozu wir verpflichtet waren.“ Obwohl fast alle NGO-Schiffe außerhalb italienischer Gewässer operiert hätten, habe man sie einlaufen lassen. Dagegen hätten weder Malta noch Libyen noch Tunesien auf deren Bitte um sichere Häften reagiert.

„Nicht mehr Weiterverteilung, sondern Ankunft zum Thema machen“

Die Regierung Meloni scheint nun aber die völkerrechtlichen Begriffe, um die es bei der Seenotrettung geht, offenbar neu interpretieren, so den des nächsten „sicheren Hafens“, auf den Schiffe nach internationalem Recht ein Anrecht haben, um Gerettete an Land abzusetzen. „Der sichere Hafen ist nicht zwangsläufig der nächste Hafen“, sagte Piantedosi. Er deutete an, dass sie durchaus in Häfen ihrer Herkunftsländer hätten einlaufen können - alle Schiffe seien modern, funktionstüchtig und gut ausgestattet.

Auch das sehr umfassende Recht der Seenotrettung scheint die Regierung Meloni angreifen zu wollen. „Die Nichtregierungsorganisationen, „private Organisationen“, könnten „nicht systematisch autonom“ und ohne Absprache mit den zuständigen Behörden entscheiden, wohin sie wollen. Und Piantedosi kündigte einen weiteren Perspektivwechsel an. „Im Mittelpunkt steht bisher die Weiterverteilung“ der Migrant:innen, so Piantedosi, man müsse aber „stärker über das Land der ersten Ankunft sprechen“.

In diesem Zusammenhang „fordern wir und werden es weiter fordern, dass die Flaggenstaaten der Schiffe stärker eingebunden werden“. Leider seien Anfragen und Verbalnoten in Deutschland - SOS Humanity und Rise above fahren unter deutscher Flagge - und Norwegen - Flaggennation der Geo Barents - erfolglos geblieben. Beide Länder hätten sich für nicht zuständig erklärt.

Italiens Innenminister Piantedosi während seines Berichts am Mittwoch im Senat

© imago/Riccardo Antimiani

Die Koalition der Willigen war eher unwillig

Es brauche einen europäischen Mechanismus, der wirklich funktioniert“. Das seien das bisherige System der Verteilung von Geflüchteten und das Gemeinsame europäische Asylsystem nicht, sagte Piantedosi, der zugleich auch die Vereinbarung von Malta 2019 für gescheitert erklärte.

Damals hatten Deutschland, Frankreich, Malta und Italien vereinbart, dass die Mittelmeeranrainer auf Hafenschließungen verzichteten, dafür aber Geflüchtete abgenommen bekämen. „Über die Maltavereinbarung sind in drei Jahren gerade einmal tausend Menschen übernommen wurden.“ Mit der Vereinbarung auf Malta hatten die beteiligten Länder versucht, durch eine „Koalition der Willigen“ die jahrzehntealten Blockaden in der gesamteuropäischen Migrations- und Asylpolitik mindestens zu lockern.

Die übrigen Erklärungen Piantedosis blieben weitgehend auf bekannter Linie: Dass das Gros der Menschen, die in Italien landeten, „aus wirtschaftlichen Gründen migriert“ und dass die Anwesenheit von NGO-Schiffen das eigentliche Problem sei: Weil sie im Mittelmeer führen, begünstige das Geschäftsmodell krimineller Schlepperorganisationen und bringe die Menschen erst dazu, sich aufs Meer zu begeben. Piantedosi zitierte als Beleg dafür Erklärungen der EU-Grenzschutzbehörde Frontex. Wissenschaftlich ist die Theorie des „Pullfaktors“ allerdings seit geraumer Zeit widerlegt.

„Eine ernsthafte und entschiedene Antwort“

Piantedosi plädierte erneut dafür, die Lebensbedingungen in den Herkunftsländern der Migrant:innen zu verbessern und kündigte verstärkte wirtschaftliche Hilfe für Staaten an, die in der Migrationskontrolle zur Zusammenarbeit mit Europa bereit seien. Auch dies ist ein Modell, das die europäischen Staaten seit langem verfolgen.

Dass es auch Wege legaler Migration brauche, deutete der Minister nur kurz an. Es gibt sie in Italien derzeit praktisch nicht.

„Es bleibt uns nichts anderes übrig, als eine ernsthafte und entschiedene Antwort auf den Migrationsdruck zu geben.“ Dem sei Italien mit seiner langen Küstenlinie besonders ausgesetzt. „Wir werden weiter die Regeln respektieren und darauf dringen, dass andere dies auch tun“, sagte Piantedosi.

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