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Wie lange stehen die Ampeln hier noch auf Grün? Chinas Nationalflagge vor der Wertpapieraufsichtsbehöre SSTC in Pekings Financial Street im Bezirk Xicheng.

© REUTERS

Die Zukunft der Volksrepublik: Sinkt Chinas Stern?

Die Volksrepublik hat den Zenit ihres geopolitischen Einflusses wohl schon überschritten. Ein Gastbeitrag.

Ein Gastbeitrag von Bert Rürup

Global Challenges ist eine Marke der DvH Medien. Das neue Institut möchte die Diskussion geopolitischer Themen durch Veröffentlichungen anerkannter Experten vorantreiben. Heute ein Beitrag von Prof. Dr.Bert Rürup, Chefvolkswirt des Handelsblatts und Präsident des Handelsblatt Research Institute, und Michael Brackmann, dem journalistischen Betreuer der Serie Global Challneges.

Weitere AutorInnen sind Sigmar Gabriel, Prof. Dr. Veronika Grimm Günther H. Oettinger, Prof. Dr. Ann-Kristin Achleitner, Prof. Jörg Rocholl PhD, Prof. Dr. Bert Rürup. Prof. Dr. Renate Schubert, Jürgen Trittin und Prof. Dr. Wieland.

Wenn die Delegierten des 20. Parteitags Xi Jinping im Herbst für weitere fünf Jahre als Generalsekretär der Kommunistischen Partei bestätigen, könnte dem 69-Jährigen in der Großen Halle des Volkes ein altes chinesisches Sprichwort in den Sinn kommen: „Adler fliegen alleine, Schafe gehen in Herden.“ Zumal wegen der 2018 geänderten Verfassung außer Zweifel steht, dass Chinas Volkskongress ihn im nächsten Jahr auch als Staatspräsident wiederwählen wird.

Seit dem Tod des „Großen Steuermannes“ Mao Tse-tung vor 46 Jahren stand dann kein Herrscher des kommunistischen China so lange an der Spitze der Machthierarchie wie Xi. Selbst der Wirtschaftsreformer Deng Xiaoping muss im sino-kommunistischen Olymp zu ihnen aufschauen. Xi gilt als „Kern“ und „Anker“ der Partei.

Im Zenit seiner Macht dürfte er wohl kaum an eine andere chinesisches Weisheit denken: „Die Wahrheiten, die wir am wenigsten gern hören, sind diejenigen, die wir am nötigsten kennen sollten.“ Denn Xis Anspruch, dass sein Land die USA spätestens bis 2049 – dem 100. Jahrestag der Gründung der Volksrepublik – als dominierende Wirtschaftsmacht verdrängt, wirkt seit einiger Zeit nicht mehr sonderlich realistisch – aus innen- wie außenpolitischen Gründen.

Dogmatische Null-Covid-Politik

Innenpolitisch erweist sich die dogmatische Null-Covid-Politik, anfangs als Beleg für die Überlegenheit Chinas gegenüber dem westlichen Demokratiemodell gefeiert, zunehmend als nicht länger tragbar und ökonomisch verheerend. Wenn viele Chinesen beim Auftauchen der Polizei panikartig aus Restaurants oder Möbelhäusern flüchten, um nicht in einem Isolationslager zu landen, untergräbt das die Autorität der politischen Führung. Das Heer der Internet-Zensoren kann sich in den sozialen Netzwerken der Flut solcher „Fluchtfotos“ kaum noch erwehren.

Ökonomisch sorgte vor allem der monatelange Lockdown in der Metropole Schanghai dafür, dass Chinas Wirtschaft im zweiten Quartal 2022 gegenüber dem Vorjahreszeitraum nur noch um 0,4 Prozent zulegen konnte. Neben der Industrieproduktion schwächelt inzwischen auch die Binnennachfrage. Kunden kaufen verstärkt Billigwaren statt teurer Markenprodukte.

Während es in der Volksrepublik Geisterstädte mit endlosen Reihen leerstehender Hochhäuser gibt, weigern sich gleichzeitig zahllose Immobilienkäufer, ihre Kredite zu bedienen, da der Bau von Wohnungen wegen Corona-Maßnahmen stockt. Das wiederum schwächt Chinas ohnehin angeschlagenes Bankensystem zusätzlich.

Es ist so gut wie ausgeschlossen, dass die Volksrepublik in diesem Jahr das politisch vorgegebene Wachstumsziel von 5,5 Prozent erreicht – angesichts der Jugendarbeitslosigkeit von fast 20 Prozent eine schwere Hypothek. Die jüngsten Zinssenkungen der chinesischen Zentralbank, die im krassen Gegensatz zu ihren vorherigen Warnungen vor einer zu lockern Geldpolitik stehen, muten schon fast wie Verzweiflungstaten an. Die Maßnahmen dürften kaum geeignet sein, die Kreditnachfrage spürbar zu stimulieren und die Wirtschaft anzukurbeln. Die US-Bank Morgan Stanley jedenfalls erwartet für die chinesische Volkswirtschaft auch im zweiten Halbjahr nur eine „unterdurchschnittliche Erholung“.

Erfolgsmodell Wohlstandszuwachs

Es drängt sich der Eindruck auf: Die Grundlage des bisherigen chinesischen Erfolgsmodells – die Bevölkerung verzichtet auf nennenswerte politische Mitsprache, im Gegenzug sorgt die politische Führung für eine kontinuierliche Erhöhung des Wohlstands – ist ins Wanken geraten.

Ökonomen warnen, China könne das Schicksal der meisten früheren Entwicklungsländer teilen, in der Middle-Income-Trap stecken zu bleiben. Denn trotz einer historisch beispiellosen ökonomischen Aufholjagd hat das Land, gemessen am Bruttoinlandsprodukt pro Kopf, bislang erst ein Drittel des Niveaus von Südkorea erreicht – vom Abstand gegenüber den USA ganz zu schweigen.

Kommt China nicht aus der Einkommensfalle heraus, dürfte die Strahlkraft der Volksrepublik für zahlreiche Entwicklungs- und Schwellenländer deutlich nachlassen. Es hat sogar den Anschein, dass dieser Prozess bereits in Gange gekommen ist – und zwar ausgerechnet bei Xis wichtigstem geopolitischem Projekt: der Neuen Seidenstraße.

Partnerländer in Asien, Afrika und Europa profitieren zwar von neuen Arbeitsplätzen und einer modernisierten Infrastruktur, die im Rahmen der Initiative geschaffen werden. Derzeit bemüht China sich auch erfolgreich darum, im rohstoffreichen Afghanistan jene Lücke zu füllen, die der Westen dort nach seinem überstürzten Abzug hinterlassen hat.

Mit Krediten in der Schuldenfalle

Dennoch wird die Kritik immer lauter, die Volksrepublik treibe Partnerländer durch ihre Kredite in eine Schuldenfalle. Nach Angaben des New Yorker Research-Instituts Rhodium sind im Rahmen der Seidenstraße chinesische Darlehen in Höhe von 118 Milliarden Dollar ausfallgefährdet. Zuletzt machte das wirtschaftlich darniederliegende Sri Lanka bei seinem Staatsbankrott die Erfahrung, dass der vermeintliche Gönner China das Partnerland im Stich lässt.

Denn milliardenschwere Soforthilfe kam nicht etwa aus Peking, sondern aus Indiens Hauptstadt Neu Delhi. Es ist wahrscheinlich, dass Chinas Verbündete Laos und Kambodscha bald ganz ähnliche Erfahrungen machen werden – in der Folge dürfte der Stern der Volksrepublik als Entwicklungspartner weiter an Strahlkraft verlieren.

Dies gilt umso mehr, als Vorwürfe, China betreibe Landnahme, verletze Menschenrechte und verschmutze die Umwelt, nicht verstummen wollen. Angesichts des vor Ort oft als anmaßend empfundenen Auftretens chinesischer Seidenstraßen-Manager musste Xi bereits versichern, man werde künftig dafür sorgen, dass Gesetze und Gebräuche der jeweiligen Partner-Länder eingehalten würden.

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Vor dem Hintergrund großer Schwierigkeiten im Innern und dem außenpolitisch verblassenden Glanz sollte das westlich-demokratische Lager nicht länger wie paralysiert auf den vermeintlichen Hegemon China starren.

Taten müssen folgen

Richtig wäre es hingegen, Seidenstraßen- Ländern von Angola bis Laos ein generöses Gegenangebot zur Entwicklung ihrer Infrastruktur zu unterbreiten, wie das der G7-Gipfel im Juni auf Schloss Elmau beschlossen hat. Den hehren Worten müssen allerdings bald Taten folgen.

Falsch wäre es jedoch, Chinas Machtelite durch ständige Taiwan-Besuche mehr oder minder hochkarätiger US-Delegationen zu provozieren. Gerade mit Blick auf die Probleme in seinem Riesenreichs könnte Xi ein Ablenkungsmanöver gelegen kommen. Sein Wille, die „abtrünnige Provinz“ mit dem chinesischen Festland zu vereinen, sollte nicht unterschätzt werden.

Deshalb ist der neue amerikanische Gesetzentwurf „Taiwan Policy Act“, der dem Inselstaat nicht nur weitere milliardenschwere Militärhilfen in Aussicht stellt, sondern auch diplomatische Beziehungen mit anderen ausländischen Regierungen avisiert, ein Spiel mit dem Feuer.

Bert Rürup, Michael Brackmann

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