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Annegret Kramp-Karrenbauer hielt eine mit viel Beifall bedachte Rede.

© Matthias Rietschel/Reuters

Kampfansage beim Parteitag: So hat AKK die CDU auf Kurs gebracht – erstmal

Kramp-Karrenbauer hat in Leipzig erfolgreich ihre Entscheidung zum Alles oder Nichts gemacht. Und Merz' Auftritt ließ wie so oft Interpretationsspielraum.

Von Robert Birnbaum

Sie stellt die Vertrauensfrage, kurz und hart. Eineinhalb Stunden hat Annegret Kramp-Karrenbauer zu ihrem Parteitag geredet. Die Delegierten haben ihr meist ganz freundlich applaudiert und gelegentlich sogar begeistert, fanden aber im langen Mittelteil zusehends das Antragsbuch interessanter oder das Smartphone.

Doch jetzt kommt sie zum Schluss. Sie habe ihr Deutschland der Zukunft beschrieben und ihren Weg dorthin, sagt die CDU-Vorsitzende.

Und dann kommt dieser Satz. „Wenn ihr der Meinung seid, dass dieses Deutschland so wie ich es möchte nicht das Deutschland ist, das ihr euch vorstellt, dann lasst es uns heute aussprechen und dann lasst es uns heute beenden.“

In der Leipziger Messehalle steigt ein erschrockenes Aufstöhnen auf. Was macht sie da!? Doch Kramp-Karrenbauer ist schon beim nächsten Satz: Wenn die CDU aber den Weg mit ihr gehen wolle, „dann lasst uns hier und jetzt die Ärmel aufkrempeln und anfangen.“ Der Parteitag erhebt sich.

Der Applaus wirkt ein bisschen erleichtert. Das hätte jetzt gerade noch gefehlt, dass die Vorsitzende sich selbst und den Parteitag in eine offene Feldschlacht zwingt!

„Es war und ist kein leichtes Jahr“, sagt AKK

Aber bei der CDU muss man ja neuerdings mit dem Unmöglichen rechnen. In der Messehalle spannt sich die Tribüne fast über die ganze Frontseite. Mitten in der LED-Leinwand prangt das Motto: „Deutschlands starke Mitte.“ Ein Fragezeichen statt des Punkts am Ende wäre ehrlicher gewesen.

Kramp-Karrenbauer hat kurz vor dem Delegiertentreffen zugegeben, dass ihr erstes Jahr im Amt ziemlich daneben ging, sie wird es gleich wiederholen: „Es war und ist kein leichtes Jahr.“ Die Wahlen enttäuschend, die Umfragen mau, ihre persönlichen Werte unterirdisch. Nach der ersten Fehlerserie, dem verstolperten Rezo-Video wirkte sie auf Besucher im Konrad-Adenauer-Haus monatelang regelrecht verunsichert. Die Rezepte, die im Saarland funktioniert hatten, funktionierten in der Hauptstadtblase nicht.

Und dann ist da immer wieder dieser Mann, der hier in Leipzig im Jahr 2003 schon einmal auf einer Parteitagstribüne stand. Damals musste Friedrich Merz mit zusammengebissenen Zähnen mitansehen, wie Angela Merkel seine Bierdeckelsteuerreform anpries. Diesmal sitzt Merkel am Rand rechts außen auf dem Podium, neben Wolfgang Schäuble und Ursula von der Leyen. Merkel wird später in einem Grußwort daran erinnern, dass sie auf den Tag genau vor 14 Jahren zum ersten Mal zur Kanzlerin gewählt wurde.

Merz ist immer noch und wieder der Herausforderer

Merz sitzt als einfacher Delegierter im Saal. Er ist immer noch und wieder der Herausforderer. Damals hatte Merkel ihn ein Jahr zuvor aus dem Fraktionsvorsitz verdrängt. Ein Jahr liegt es zurück, dass Kramp-Karrenbauer ihm den CDU-Vorsitz wegschnappte. Geschichte wiederholt sich irgendwie also doch.

Die Parteivorsitzende ist zur Mittagszeit an der Reihe. Kramp-Karrenbauer redet nicht um den heißen Brei herum. Eine Revolution sei im Vorfeld vorhergesagt worden, ein Aufruhr; von „Insolvenz“ der CDU hat der baden-württembergische Fraktionschef geredet, die Führungsfrage hat der JU-Vorsitzende gestellt. Na schön.

Aber „wir lassen uns nicht in den Ruin hineinschreiben“, ruft die Saarländerin in den Saal und erntet zum ersten Mal starken Beifall. Das wird sich bei jedem Appell wiederholen. Den stürmischsten Beifall bekommt sie für die Absage an die Grüppchen, die die Flügel rechts und links der Partei markieren. „Es gibt nicht die Werte-Union und die Union der Mitte, es gibt nur eine Union, und das ist die CDU Deutschlands“, ruft Kramp-Karrenbauer. Der Saal jubelt.

Der Rest der Rede bekommt hinterher von vielen, die man fragt, das Siegel „solide“. Alle Themen angesprochen, die so in der Luft liegen, vor den Risiken eines umfassenden Niedergangs gewarnt und versprochen, dass sie selbst und die CDU sich dem entgegenstemmen werden: „Ich meine, Herrgottnochmal, im Ingenieur steckt das Wort Genie drin!“

Kramp-Karrenbauer kritisiert die SPD sanft, die Linke und die AfD scharf

Ein Appell, den am Vortag sanft entschärften Huawei-Antrag anzunehmen, eine Verteidigung der Grundrente, ein Bekenntnis zur Frauenquote und dem ebenfalls entschärften Antrag, das Thema bis zum nächsten Jahr in eine Kommission zu verschieben, sanfte Kritik an der SPD und scharfe an Linkspartei und AfD, zuletzt der Aufruf zur Einigkeit: „Ich bin in Hamburg gewählt worden mit 51 Prozent, aber ich bin gewählt worden für 100 Prozent der Partei.“

Solide, wie gesagt. Bis auf die letzten Sätze eben. Aber so ungewöhnlich die Kampfansage ist, so typisch für sie. Kramp-Karrenbauer hat bisher jede Entscheidung zum Alles oder Nichts gemacht. Vor der Saarland-Wahl, der Wahl zur Generalsekretärin, der Entscheidung über den Parteivorsitz, immer lautete ihre Ansage: Entweder der Sieg – oder ich höre auf. Ob das ihre jeweiligen Wähler beeindruckt hat, weiß man nicht. Vielleicht hilft es ihr selbst gegen Druck und Zweifel. Im konkreten Fall freilich hilft es gegen den Mann da unten bei den Delegierten und seine Freunde: Wenn ihr mich weg haben wollt – nur zu!

Merz' „grottenschlecht“-Auftritt nach der Thüringen-Wahl fanden anmaßend

Merz ist allerdings auch so gewarnt, dass das hier für ihn alles andere als ein Selbstläufer wird. Am Vorabend eines Parteitags treffen sich die Landesgruppen und die Vereinigungen, um sich unterzuhaken und letzte strategische Absprachen zu treffen. Bei seinen natürlichen Verbündeten von der Mittelstandsvereinigung MIT wurde er keineswegs als Messias empfangen, sondern allenfalls „höflich“, wie es ein Zeuge formuliert. Daran ist er selber schuld. Merz' „grottenschlecht“-Auftritt nach der Thüringen-Wahl fanden selbst viele von Angela Merkels Gewohnheitskritikern überzogen, ja anmaßend.

Mal eben von der Seitenlinie aus die eigene Mannschaft komplett in die Tonne treten – das macht man nicht. „Merz muss aufpassen“, sagt ein erfahrener Christdemokrat. „Man liebt den Verrat, aber nicht den Verräter.“ Bei der Gelegenheit erinnerte sich auch wieder mancher daran, dass der Sauerländer sich nach der Niederlage in Hamburg eben nicht in die Mühen der Parteiarbeit hatte einbinden lassen, sondern mit dem zeremoniellen Titel eines Vizepräsidenten des CDU-nahen Wirtschaftsrats versehen als Einzelgänger agiert.

Friedrich Merz blieb vergleichsweise zahm.
Friedrich Merz blieb vergleichsweise zahm.

© Kay Nietfeld/dpa

Später am Donnerstagabend entwickelt der Freiherr Christian von Stetten als Talkshow-Gast bei Markus Lanz trotzdem eine Theorie, wie Merz, falls die Sozialdemokraten die Koalition sprengen, zum Bundeskanzler werden könnte. Stetten ist Vorsitzender des Parlamentskreises Mittelstand. Das klingt immer sehr imposant, weil der Vereinigung die halbe Unionsfraktion angehört. Völlig unzulässig ist allerdings die Schlussfolgerung, dass der Freiherr für die halbe Fraktion spricht. Der Weg zu Merzens Kanzlerwerdung, den er sich ausgedacht hat, ist zu kompliziert, um ihn hier darzustellen, und zu abwegig, als dass er die Darstellung lohnt.

Spahn spricht in Leipzig überraschend vor Merz

Merz, um das noch nachzutragen, war am Vorabend auch noch bei den Nordrhein-Westfalen, seinem Heimatverband. Dort blieb der Applaus für seine kurze Ansprache erst recht mau. Dass von Leipzig 2019 ein Signal des Aufbruchs ausgehen müsse wie von Leipzig 2003, löste schon deshalb keinen Beifallsturm aus, weil viele Delegierte „Leipzig 2003“ nur aus dem Geschichtsbuch kennen. Der Auftritt, sagt einer, habe stark an „Opa erzählt aus dem Krieg“ erinnert.

Nach Kramp-Karrenbauers Rede, nach den gut sieben Minuten Beifall, in der Aussprache ist Merz dran. Es hieß, er wolle als erster reden, aber entweder hat er seine Wortmeldung zu spät abgegeben – es zählt die Reihenfolge des Eingangs -, oder er hat sich gedacht, besser etwas warten.

Merz lobt AKK für „eine kämpferische, eine mutige Rede“

Also spricht vor ihm Jens Spahn, der – ohne dass es groß jemand merkt – aus dem berühmten FAZ-Scheidungsbrief Merkels an Helmut Kohl: „Unsere Partei muss wieder einmal laufen lernen.“ Dann fordert MIT-Chef Carsten Linnemann „Standpunkte, Haltung, Meinung“, meint aber konkret nur die Abflachung des steuerlichen Mittelstandsbauchs.

Als Merz ans Pult tritt, wird es ruhig. Er lobt die Vorsitzende für „eine kämpferische, eine mutige Rede“. Er zeigt sich leicht selbstkritisch betroffen, dass sein „grottenschlecht“-Auftritt als die Sozialdemokratisierung der CDU im Fach Vorsitzenden-Demontage kommentiert wurde. Es gebe da aber einen Unterschied: „Die Sozialdemokraten sind strukturell illoyal, und wir sind loyal zu unserer Vorsitzenden und unserer Bundesregierung.“

Der Applaus für Merz bleibt mäßig

Unten im Publikum überlegen erkennbar einige, ob sie lachen sollen. Später versichert er noch, dass es ihm doch nicht um ihn selbst gehe oder „irgendwelche niederen Motive“, und dass er sich einreihen wolle: „Wenn Sie wollen, dass ich dabei bin, bin ich dabei!“

Der Applaus bleibt mäßig, auch eingedenk der Art von Einreihen, die er bisher praktiziert hat. Nur links neben dem Podium, wo die Baden-Württemberger sitzen und der Freiherr von Stetten, hält sich eine kleine Beifallsblase etwas länger. So weit alles in Ordnung, wäre da nicht noch ein anderer Satz gewesen: Die „endgültigen Entscheidungen“ fielen nicht auf diesem Parteitag, sondern erst in einem Jahr. Ob er die Kanzlerkandidatenfrage meint? Man weiß es nicht. Das ist halt immer das Problem bei ihm.

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