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Zu Beginn der Sondersitzung des Innenausschusses des Bundestages zum rassistischen Anschlag in Hanau erheben sich die Abgeordneten um Horst Seehofer für eine Gedenkminute.

© Kay Nietfeld/dpa

Sondersitzung des Innenausschusses: Attentäter von Hanau lieh sich Pistole bei Waffenhändler

Sicherheitsexperten haben den Innenausschuss des Bundestages über die Ermittlungen zum Anschlag von Hanau informiert. Der Täter besaß legal mehrere Waffen.

Von Frank Jansen

Der Attentäter von Hanau hat sich offenbar intensiv auf den Anschlag vorbereitet. Tobias Rathjen habe in den Wochen vor dem Angriff auffällig oft in dem Sportschützenverein geschossen, in dem er Mitglied war, berichtete am Donnerstag der Präsident des Bundeskriminalamts (BKA), Holger Münch, dem Innenausschuss des Bundestages in nicht öffentlicher Sitzung. Der Täter habe zudem eine Pistole bei einem Waffenhändler in Hanau ausgeliehen. Damit habe Rathjen legal über drei Waffen verfügt. Zwei Pistolen habe er beim Anschlag eingesetzt.

Rathjen hatte am 20. Februar in zwei Shisha-Bars und Umgebung neun Menschen mit Migrationshintergrund erschossen. Anschließend fuhr er nach Hause, dort tötete er seine Mutter mit zwei Schüssen in den Kopf und dann sich selbst. Rathjens Vater blieb unverletzt.

Wie der Tagesspiegel erfuhr, verschoss Rathjen an dem Abend insgesamt 52 Projektile des Kalibers neun Millimeter. Bei den eingesetzten Waffen handelte es sich um Pistolen der Marken Sig Sauer und Ceska. Die tschechische Waffe ist allerdings nicht baugleich mit der Ceska 83, die von den NSU-Terroristen Uwe Böhnhardt und Uwe Mundlos bei den Morden an neun Migranten eingesetzt wurde.

Die Abgeordneten waren zu der Sondersitzung zusammengekommen, um sich über die Ermittlungen zum Anschlag in Hanau informieren zu lassen. Auskunft gaben Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU), Generalbundesanwalt Peter Frank, BKA-Chef Münch und der Präsident des Bundesamtes für Verfassungsschutz (BfV), Thomas Haldenwang. Seehofer sprach von einer „Blutspur“ des rechtsextremen Terrors in Deutschland und wandte sich gegen jede Gleichsetzung mit linksextremer Gewalt.

Bei der Sitzung kam auch zur Sprache, dass Rathjen in Hanau kurz vor der Tat von Mitarbeitern des Ordnungsamts angesprochen wurde, weil sein BMW auf einem Behindertenparkplatz stand. Rathjen habe einen nervösen, aber keinen aggressiven Eindruck gemacht, hieß es. Zeugen haben zudem der Polizei den Täter als intelligenten, aber auch ungehaltenen Mann geschildert. Bislang wurden mehr als 70 Personen befragt. Das BKA hat für die Ermittlungen, wie bei größeren Fällen üblich, eine „Besondere Aufbauorganisation“ gebildet. Beim BfV befasst sich eine Sonderauswertungsgruppe mit dem Fall Hanau.

Verbindungen zur rechtsextremen Szene bislang nicht bekannt

Der Nachrichtendienst versucht wie auch das BKA, Rathjens Radikalisierung nachzuvollziehen. Verbindungen zur rechtsextremen Szene sind bislang nicht bekannt. BfV-Chef Haldenwang schilderte Rathjen als psychisch gestört, aber intelligent und bei der Tat planvoll handelnd. Rathjen spähte die Shisha-Bars aus, erkundigte sich nach den Öffnungszeiten und schaute sich zumindest in einem der Lokale um. Er hinterließ zudem ein Manifest mit einem Mix aus Verfolgungswahn und rassistischen Vernichtungsfantasien.

Im November 2019 hatte Rathjen bei der Staatsanwaltschaft in Hanau und bei der Bundesanwaltschaft Anzeigen eingereicht, wegen der angeblichen Überwachung durch Geheimdienste. Generalbundesanwalt Frank betonte im Innenausschuss, aus dem Schriftsatz habe sich keine Gefährdung ergeben. Es gebe keine rechtliche Grundlage, wegen einer solchen Anzeige das nationale Waffenregister zu befragen.

Unklar bleibt, ob Rathjen bei seinen Auslandsreisen Kontakte zu Rassisten hatte. Das FBI prüft, wen Rathjen 2018 bei einem Aufenthalt im US–Bundesstaat Wyoming getroffen haben könnte.

Neue Erkenntnisse zu „Gruppe Werner S.“

Unterdessen gibt es neue Erkenntnisse zu der am 14. Februar ausgehobenen rechtsextremen Terrorgruppe. Mehrere Mitglieder haben sich nach Informationen des Tagesspiegels im vergangenen Jahr in Berlin aufgehalten. Die Männer beteiligten sich am 3. Oktober, dem Jahrestag der Einheit, an einer rechten Demonstration im Stadtteil Mitte. Die von den Behörden nach ihrem Anführer als „Gruppe Werner S.“ bezeichnete Terrorvereinigung hatte sich nach Erkenntnissen der Sicherheitsbehörden einen Monat vor dem Aufmarsch in Berlin gebildet.

Die Bundesanwaltschaft ließ vor zwei Wochen S. und weitere elf Mitglieder der Gruppe festnehmen. Die Rechtsextremisten sollen Anschläge auf Politiker, Muslime und Flüchtlinge geplant haben. Die Gruppe habe unter anderem Grünen-Chef Robert Habeck und den Vorsitzenden der Grünen-Fraktion im Bundestag, Anton Hofreiter, töten wollen, sagen Sicherheitskreise. Gesprochen worden sei auch über Anschläge auf sechs Moscheen, während dort Gottesdienste stattfinden. Laut Bundesanwaltschaft wollte die Gruppe „bürgerkriegsähnliche Zustände“ herbeiführen. Bei einem Treffen am 8. Februar in Minden (NRW) vereinbarten die Mitglieder, Waffen in Tschechien zu beschaffen. Die Bundesanwaltschaft zog die Terroristen rechtzeitig aus dem Verkehr.

Den Aufmarsch in Berlin hatte die rechtsextreme Organisation „Wir für Deutschland“ veranstaltet. Die Polizei zählte 1700 Teilnehmer. Erkenntnisse, dass die Terrorgruppe Werner S. über die Teilnahme von Mitgliedern an der Demonstration hinaus mit der Szene in Berlin vernetzt war, gibt es offenbar nicht.

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