
© ZDF und Jule Roehr
Spahn und Reichinnek bei „Maybrit Illner“: Und dann klingt der Unionsfraktionschef plötzlich beinahe wie ein Juso
Bei „Maybrit Illner“ erleben Zuschauer über weite Strecken einen überraschend versöhnlichen Jens Spahn. Umso härter geht er Heidi Reichinnek an. Die TV-Kritik.
Stand:
Die Sicherheitslage in Europa spitzt sich zu, bei „Maybrit Illner“ bleibt man trotzdem lieber bei der Innenpolitik. Die Gäste diskutieren über Reformen des Sozialstaats und Steuergerechtigkeit. Die ZDF-Sendung in der TV-Kritik.
Die Gäste
- Jens Spahn (CDU), Unionsfraktionsvorsitzender im Bundestag
- Heidi Reichinnek, Linken-Fraktionsvorsitzende im Bundestag
- Veronika Grimm, Ökonomin
- Jens Südekum, Ökonom
- Markus Feldenkirchen, Journalist („Der Spiegel“)
Eine Sendung mit Höhen und Tiefen
Der „schlaue Zuschauer“ (Illner) muss zu Beginn der Sendung reichlich Geduld aufbringen, um nicht abzuschalten. Dass der Sozialstaat dringend reformbedürftig ist, darin sind sich bis auf Reichinnek alle Gäste einig. Trotzdem bekommt jeder noch einmal reichlich Gelegenheit, seine längst bekannten Diagnosen zu wiederholen und schnelles Handeln anzumahnen.

© dpa/Michael Kappeler
Spahn macht den Anfang: „Wir brauchen wieder Wachstum“, steigt er ins Phrasendreschen ein. „Schulden machen alleine reicht ja nicht“, sagt er an anderer Stelle. Sein Vorschlag: In den Sozialversicherungssystemen „grundsätzlich ein paar Dinge zu verändern“.
Linken-Fraktionschefin Reichinnek sieht dagegen keinen Kürzungsbedarf: „Diese ganzen Diskussionen, wir können uns den Sozialstaat nicht leisten, stimmen einfach nicht.“ Sie möchte die Sozialsysteme gerechter machen, etwa durch ein Ende der „Zwei-Klassen-Medizin“. So weit, so erwartbar.
Längliche Bürgergelddebatten
Kaum ist die Sendung richtig angelaufen, verfällt die Runde in eine langatmige Bürgergelddebatte. Spahn ist der wenig überraschenden Auffassung: „Wer arbeiten kann, und einen Job nicht annimmt, der gehört nicht zu den Schwächsten“.
„Das ist ja die gleiche Geschichte, die Sie immer spielen“, erwidert Reichinnek. Arbeitsverweigerer seien zwar „ein wunderbares Feindbild“, allerdings zahlenmäßig kaum von Bedeutung.
Die Linken-Fraktionschefin führt lieber die alleinerziehende Bürgergeldempfängerin an, die keine Möglichkeit zur Mehrarbeit habe. „Sie nehmen jetzt all die Beispiele, die ich nicht gemeint habe“, hält Spahn seiner Kontrahentin entgegen. Man redet aneinander vorbei.
Eine Frage der Gerechtigkeit?
Dass sich durch Kürzungen beim Bürgergeld nicht viel wird einsparen lassen, darin sind sich die Ökonomen in der Runde einig. Während Veronika Grimm diese trotzdem befürwortet, um Arbeitsanreize zu schaffen, plädiert Südekum für weniger Abstriche bei Aufstockern und eine intensivere Betreuung der Arbeitslosen.
Spahn beharrt darauf, dass sich im Bürgergeld „drei bis fünf Milliarden sparen“ ließen. Damit bleibt er hinter Bundeskanzler Merz zurück, der von fünf Milliarden gesprochen hatte. Letztlich, das betont Spahn immer wieder, gehe es beim Bürgergeld sowieso um etwas anderes als Finanzbedarfe.

© dpa/Kay Nietfeld
„Die Debatte ist hier nicht zuerst eine Frage von Sparen, sondern von Gerechtigkeit“, befindet er. „Da kann ich mir ja viel für kaufen, wenn ich davon keinen Cent mehr habe“, kontert Reichinnek. Sie fordert einen höheren Mindestlohn sowie höhere Steuern für Spitzenverdiener.
Spahn klingt beinahe wie der Juso-Chef
Wer es bis zu diesem Punkt der Sendung geschafft hat, wird belohnt. Zum einen scheint endlich durch, was der zutiefst politische Kern der Debatte ist, die Frage nämlich, welche Prioritäten eine Regierung setzen soll: Unten zu kürzen oder oben zu nehmen. Zugleich gibt sich Spahn plötzlich derart versöhnlich, dass er selbst Reichinnek ein wenig überrumpelt.
Einkommen sei in Deutschland relativ fair verteilt, sagt Spahn. „Bei der Vermögensverteilung, dass die so nicht in Ordnung ist, stimme ich zu“, ergänzt der Unionsfraktionsvorsitzende.
Es ist ein Problem, die Vermögensverteilung.
Jens Spahn (CDU), Vorsitzender der Unionsfraktion im Bundestag
In Zeiten niedriger Zinsen sei Vermögen stets „ohne größeres eigenes Zutun“ gewachsen: „Wer schon hatte, hatte immer mehr.“ Das könnte auch vom Juso-Chef kommen. Dann wird Spahn noch deutlicher: „Es ist ein Problem, die Vermögensverteilung.“
Was aus dieser Diagnose folgt, lässt der CDU-Politiker allerdings weitgehend offen. Nebulös verweist er auf ein noch ausstehendes Urteil des Bundesverfassungsgerichts zur Erbschaftssteuer. Die bezeichnet CSU-Chef Söder wiederum gerne als „Neidsteuer“ und will sie regionalisieren, um sie zu halbieren.
Dass er zumindest keine Vermögenssteuer im Sinn hat, macht Spahn sicherheitshalber gleich zweimal deutlich. Außerdem habe eine Reform der Sozialsysteme ohnehin Priorität: „Jetzt ist nicht die Zeit für Steuererhöhungen.“ Dennoch ist bemerkenswert, wie offen Spahn von sich aus – und ohne Not – die Frage der Verteilungsgerechtigkeit stellt.
Trotz Kanzler Merz kein Paradies
Überraschend ehrlich zeigt sich der Unionsfraktionsvorsitzende auch in einem anderen Punkt. Als er ausführt, dass Reformen der Sozialsysteme ein längerfristiger Prozess seien, unterbricht ihn Illner mit der Frage, wieso Kanzler Merz dann einen Stimmungswechsel bis zum Sommer versprochen hatte.
„Niemand hat versprochen, dass irgendwie nach 100 Tagen Paradies ist“, versucht sich Spahn noch halbherzig an einer Verteidigung. Dann stellt er resigniert fest: „Die Stimmung ist nicht besser, das ist nicht gelungen, Punkt Ende Aus.“
Am Ende dreht Spahn nochmal auf
Vielleicht um zu zeigen, dass er auch ganz anders als konziliant kann, haut Spahn gegen Ende der Sendung nochmal so richtig auf die Linken drauf. „Sie reden ja nett und freundlich, aber im Kern wollen Sie ein anderes System“, schleudert er in Richtung der Linken-Fraktionsvorsitzenden: „Dieser Sozialismus wird bei der Genossin Reichinnek nicht besser funktionieren als beim Genossen Honecker.“
Spahn unterstellt zudem einzelnen Mitgliedern der Linkspartei, sie würden Millionäre erschießen wollen und hätten sich über den Mord am Trump-nahen US-Influencer Charlie Kirk gefreut. Was davon wahr ist, kann die Moderatorin nicht unmittelbar prüfen; sie verweist auf den Faktencheck zur Sendung. Reichinnek widerspricht Spahn vehement.
Ob sich der Unionsfraktionsvorsitzende einen Gefallen damit tut, jene Linkspartei mit Vorwürfen zu überziehen, auf die Schwarz-Rot immer wieder angewiesen ist, will sie nicht mit der AfD kooperieren, muss Spahn selbst beurteilen.
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