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Politik: „Stimmung in der Bude“

Militärexperten sind uneins über die Sinnhaftigkeit eines amerikanischen Raketenschutzschildes auf europäischem Boden

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Berlin - Die USA planen, Teile eines Raketenabwehrsystems auf Basis bilateraler Abkommen in Polen und Tschechien zu stationieren. Die Pläne spalten Deutschland und die Welt: Kritiker wie Russlands Präsident Wladimir Putin und SPD-Chef Kurt Beck sehen in dem Abwehrsystem den Beginn eines neuen Wettrüstens. Auch die Sozialdemokraten in der Europäischen Union warnen vor den Folgen der geplanten Raketenabwehr und plädieren für eine multilaterale Lösung. Die USA betonen hingegen, der Schutzschild sei notwendig, um Amerika und Europa vor iranischen Langstreckenraketen zu schützen. Der Tagesspiegel hat vier Militärexperten zur Bedeutung der amerikanischen Pläne befragt.

Ulrich Weisser, Vizeadmiral a.D.

Die USA sind offenbar fixiert darauf, dass die Iraner ihre Raketenentwicklung so weit treiben, dass sie bis 2015 über Interkontinentalraketen mit Reichweiten zwischen 6 000 und 8 000 Kilometern verfügen und diese mit nuklearen Sprengköpfen bestücken können, die die Vereinigten Staaten tödlich treffen könnten. Wenn das so ist, ist es sinnvoll, sich gegen eine solche Bedrohung zu wehren. Die Frage ist nur, ob die einzige Gegenmaßnahme ein Raketenabwehrsystem ist oder kluge Verhandlungen mit dem Iran, die diese Entwicklungen erst gar nicht entstehen lassen.

Die Iraner wollen einen umfassenden Dialog und möchten nicht als Paria der Völkergemeinschaft behandelt werden. Ich kann nur sagen: In den kältesten Zeiten des Kalten Krieges haben Deutsche und Amerikaner und andere mit der Sowjetunion geredet und weit reichende Verträge und Abkommen zustande gebracht. Mir leuchtet nicht ein, warum sich die Weltmacht USA darauf versteift, kein Wort bilateral mit dem Iran zu verhandeln. Wenn es unausweichlich ist, muss man sein Pulver trocken halten, aber ich würde zunächst den einfacheren, kostensparenden und für die Weltpolitik weniger kritischen Weg beschreiten. Die Sache muss aber auch im Bündnis besprochen werden. Man muss dort zu einer einvernehmlichen Analyse einer möglichen Bedrohungsentwicklung kommen. Diese würde Russland genauso betreffen wie das Bündnis und Europa.

Sascha Lange, Stiftung Wissenschaft und Politik

Der Iran verfügt derzeit nicht über Raketen, die Europa geschweige denn die USA erreichen können. Dazu sind sogenannte Mehrstufenraketen erforderlich, die der Iran nicht hat. Die derzeitig leistungsfähigste Rakete des Iran, die Shahab 3a, hat eine Reichweite von höchstens 1 400 Kilometern. Damit kann man beispielsweise Israel erreichen. Eine Bedrohung aus dem Iran für Europa ist derzeit also nicht gegeben. Ein großer Unsicherheitsfaktor wäre, wenn andere Länder ihr Know-how an den Iran weitergeben. Das könnten China, Pakistan, Russland oder Nordkorea sein.

Was die Pläne für ein Raketenabwehrsystem auf tschechischem und polnischem Boden anlangt, so muss man sagen, dass Russland über den Nato-Russland-Rat in die Planungen eingeweiht war. Es hat sogar schon gemeinsame Tests gegeben. Dass die Russen jetzt sagen, wir wussten von nichts, und von einer Bedrohung sprechen, ist totaler Humbug. Die Russen verfügen selbst über viel mehr Raketen, als ein mit zehn Abwehrkörpern bestückter US-Schild jemals abwehren könnte. Russland bringt die Punkte in die Nato-Diskussion ein, damit wieder Stimmung in die Bude kommt.

Klaus Naumann, General a. D.

Der Schirm ist meiner Meinung nach rein defensiv. Er richtet sich gegen Raketen, die aus dem Raum des Mittleren Ostens abgeschossen werden könnten, und stellt deswegen keine Bedrohung Russlands dar. Zu diesem Vorwurf der Russen muss man sagen, dass die amerikanischen Abwehrraketen keinen Sprengkopf haben, sondern anfliegende Gefechtskörper mit kinetischer Energie zerstören. Wer wie Russland über 2 000 Sprengköpfe verfügt, sollte sich davor nicht fürchten. Wenn die Russen Amerika angreifen würden, würden ihre Raketen ohnehin über den Pol fliegen und von den Abwehrkörpern in Polen gar nicht erfasst werden. Das russische Argument ist also töricht. Auch die Idee eines neuerlichen Wettrüstens ist damit hinfällig. Wenn Russland nicht gefährdet ist, wird es auch keine Gegenmaßnahmen ergreifen müssen. Niemand will zurück in den Kalten Krieg.

Bernd W. Kubbig, Hessische Stiftung Friedens- und Konfliktforschung

Der geplante Raketenschild könnte zu einem doppelten Wettrüsten mit Russland und Iran führen. Aus militärischer Sicht sind die zehn Abfangraketen kein Problem, und Russland hat eine Reihe von Sprengköpfen. Aber psychologisch und politisch gesehen kann ich das Unbehagen und die Kritik aus Moskau verstehen. Mit einer Raketenabwehr in Polen und Tschechien sichert sich die Hegemonialmacht USA für die nächsten Jahrzehnte die Präsenz auf dem alten Kontinent Europa und muss nicht dauernd auf das – aus Sicht der Amerikaner – schreckliche multilaterale Gespenst der Nato Rücksicht nehmen. Sie hat in den vergangenen Jahren die Entwicklung eines Raketenabwehrsystems gebremst. Zudem haben besonders die Polen ein großes Interesse an der Infrastruktur, die an einem solchen Schutzschild hängt. Es geht um Arbeitsplätze, Firmenaufträge – kurz: um Geld.

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